Deutschland:Om am See

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Auch das noch! Schon lange kann man auf keinen See mehr schauen, ohne Steh-Paddler zu sehen. Jetzt machen sie sogar Yoga-Kurse auf den Brettern. Angeblich kommt man dabei zur Ruhe. Also raus aus dem Studio, rauf aufs Brett!

Von Florian Sanktjohanser

Als ich meinen linken Arm nach oben strecke und zur Hand emporschaue, beginnt das Surfboard unter mir gefährlich zu kippeln. Das eine Bein ist gestreckt, das andere gebeugt, mit der rechten Hand stütze ich mich auf das Brett und versuche krampfhaft, nicht umzufallen. "Lächeln", ruft der Yogi, "lächeln und atmen".

Der Yogi heißt Percy Shakti Johannsen, ist 39 Jahre alt und sagt, er sei früher ein schlimmer Macho gewesen. Produktionsleiter beim Musiksender MTV, Kampfsportler. Dann kam der Burnout, und beim Capoeira fiel er auf den Kopf. Doppelter Bandscheibenvorfall. "Ein Glücksfall", sagt er. "Ich konnte weder am Schreibtisch sitzen noch Capoeira machen." Johannsen kündigte bei MTV und begann eine dreijährige Ausbildung zum Yogalehrer. Sein Guru gab ihm seinen spirituellen Namen: Shakti, die weibliche Urkraft.

Heute sieht Johannsen aus wie ein Shaolin-Krieger. Der Kopf ist kahl geschoren, der Bart am Kinn lang, unter dem ärmellosen Shirt wölben sich die Muskeln. Auf seinen Unterarm ist "Namaste" tätowiert, der unter Hindus übliche Gruß. So heißt auch sein Yogastudio in Herrsching am Ammersee. Ein Feintuer aber ist Johannsen nicht geworden, er redet schnell und lacht viel. "Ich bin nicht der Öko-Fritz, der nur Om-singend im Studio sitzt", sagt er. "Ich mach' Hang Loose aufm Board."

Was die Jungs auf dem Sprungturm über uns reden, will man lieber nicht wissen

Was Johannsen damit sagen will: Er ist einer der ersten Yogis in Deutschland, der seine Übungen auf einem Stand up Paddle Board macht. Auf den Brettern paddelt man normalerweise stehend übers Wasser. SUP, wie es abgekürzt heißt, kommt aus Polynesien und ist längst zum Trendsport geworden. Seit Jahren sieht man immer mehr Stehpaddler auf Seen und Flüssen und selbst in hohen Wellen im Meer. Und jetzt also SUP-Yoga.

Wir paddeln breitbeinig vom Herrschinger Strandbad hinaus auf den Ammersee, schnallen das Paddel ans Brett und hocken uns in den Schneidersitz. Bauchatmung, Brustatmung, zur Ruhe kommen. Eine Entenfamilie schwimmt vorbei, die tief stehende Sonne lässt das Wasser glitzern. Vom Steg des Strandbads hört man eine Festgesellschaft. Als ich blinzle, sehe ich, dass eine Frau Fotos von uns macht. Was die Jugendlichen in den Liegestühlen und auf dem Sprungturm über uns reden, höre ich zum Glück nicht.

"Einatmen, den Kopf weit nach rechts lehnen", sagt Johannsen. Das Brett zittert, ich kippe zum ersten Mal fast in den See. Dabei sitze ich auf einem speziellen Yoga-Board. Das aufgeblasene Brett ist breiter, dicker und weicher und hat eine Gummischicht auf der ganzen Oberseite, damit man bei den Asanas nicht abrutscht. Mehrere Hersteller bieten diese Boards an. Offenbar gibt es eine Nachfrage.

Mittlerweile machten auf jedem größeren See in Deutschland Leute SUP-Yoga, sagt Johannsen. Er ist einer der Vorreiter der Bewegung. 2010 traf er am Herrschinger Strand Carsten Kurmis, ein Urgestein unter den Surfern am Münchner Eisbach. Und einer der ersten Stand-up-Paddler. "Ich bin mit ihm rausgegangen und wusste: Endlich hat sich mein Sommerloch erledigt."

Zuvor war Johannsen genervt, wenn die anderen im Sommer an den See gingen und er im Studio saß. Jetzt verlegte er die Stunden aufs Wasser. In diesem Sommer kämen jeden Donnerstagabend zehn Leute und mehr, sagt er. Yoga-Begeisterte und Anfänger, Alte und Junge, Surfer und Nichtschwimmer. Ende Juli gibt Johannsen den ersten Kurs für SUP-Yoga-Lehrer. Und zu seinem jährlichen Yogafestival will er andere SUP-Yoga-Lehrer einladen. "Wenn alle Menschen auf der Welt Yoga machen", sagt er, "dann gibt es keine Kriege mehr."

Hehre Ziele. Mir geht es im Moment aber vor allem darum, umfallfrei den Krieger, das Kind und den Hund aufs Brett zu bringen. Bein nach hinten ausstrecken, Bein nach vorne, Arme in die Höhe, in den Himmel schauen. Grundsätzlich könne man auf dem Wasser alle Übungen machen, sagt Johannsen. Manche Asanas seien sogar einfacher. Zum Beispiel der Kopfstand. "Die meisten verlieren auf dem Wasser die Angst vor dem Umfallen." Beim nächsten Mal vielleicht.

Am Ende liegen wir rücklings auf dem Brett, die Handflächen nach oben, tief atmend. Gerade ist ein Ausflugsdampfer in Herrsching eingelaufen, die Wellen schaukeln uns ein wenig. "Ist das nicht wunderschön?", sagt Johannsen. Ich drehe den Kopf zur Seite, öffne die Augen. Sehe das Wasser, die Bäume am Ufer, die untergehende Sonne, die Alpen am Horizont. Shakti hat recht.

© SZ vom 16.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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