Deutsche Bahn:Er kommt. Er kommt nicht. Er kommt. Er kommt nicht.

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Die Bahn hat derzeit keinen guten Lauf. Ob das an ihrem vermeintlich halbbulgarischen Chef liegt? Erlebnisse eines Zugreisenden.

Holger Gertz

Schöner Dialog neulich im ICE von Hannover nach München. Der Zug stand auf freier Strecke, was gelegentlich vorkommt. Während ein paar Passagiere gegen die Scheiben atmeten und in die entstandene Fläche mit dem Zeigefinger ihre Initialen malten, diskutierten ein paar andere über die Gründe dieses außerplanmäßigen Halts im besonderen und aller Zugpannen im allgemeinen.

(Foto: Foto: AP)

Einer sagte, das sei alles kein Wunder, weil doch der Chef der deutschen Eisenbahn halber Bulgare sei, und in Bulgarien seien die Züge für legendäre Verspätungen bekannt. Es ergab sich ein kurzer Moment der Irritation: Von einem aus Bulgarien stammendem Bahnchef war den anderen nichts bekannt, und die Sache klärte sich erst auf, als die Rede auf den Namen des Eisenbahnbosses kam.

Jener, der ihn für einen Bulgaren gehalten hatte, nannte ihn Pantchev-Mehdorn, "dauernd sagen sie im Radio, Herr Pantchev-Mehdorn will doch unbedingt an die Börse und so". Pantchev-Mehdorn klingt in der Tat ausgesprochen halbbulgarisch, ist aber nur ein hübscher Verhörer, weil im Radio dauernd von "Bahnchef Mehdorn" die Rede ist. Wenig später - der ICE stand nach wie vor - wollte einer wissen, wie dieser Mehdorn eigentlich mit Vorname heiße, aber das wusste keiner.

Viel geschenkte Zeit

Wenn man sich bemüht, kann man in fast allem etwas Positives erkennen. Die Deutsche Bahn zum Beispiel bringt die Menschen dazu, miteinander zu kommunizieren und kleine Missverständnisse vor Ort aufzuklären. Es gelingt ihr, weil sie so oft herumsteht, und mit dieser geschenkten Zeit können die Passagiere allerhand Sinnvolles anstellen.

Das Unerfreuliche ist: Die Bahn steht ziemlich oft irgendwo herum, und wer viel mit der Bahn fährt, wird sich notgedrungen angewöhnen, einen Zug eher zu nehmen, nur dann hat er die Gewissheit, halbwegs pünktlich da anzukommen, wo er hin will, aber garantiert ist das auch dann nicht.

Im Moment fallen die besonders schnellen ICE aus, weil sämtliche Achsen kontrolliert werden müssen. Die Bahn will Katastrophen verhindern, das ist sehr zu begrüßen, andererseits führt das aktuelle Problem zu Zugausfällen und Verspätungen. Wer sich in ein Abteil setzt, kann in den Gesichtern der Mitreisenden lesen, dass das Image der Bahn im Moment ungefähr dem Gegenteil vom Image Barack Obamas entspricht.

Lesen Sie weiter, warum eine offene Zugtür einem Bahnreisenden den ganzen Tag versauen kann.

Neulich im ICE von München nach Würzburg, Abfahrt 6.52 Uhr. Es piepst ein paar Mal, dann schließen die Türen, hoffentlich schließen sie, und für die routinierten Bahnreisenden ist das der erste Schreckensmoment. Jeder routinierte Bahnfahrer hat Folgendes ein paar Mal erlebt: Eine Tür geht nicht zu, ICE steht und verspätet sich.

Eine offene Zugtür in München Hauptbahnhof kann dazu führen, dass man kurz nach Mittag den Anschlusszug in Hannover nicht mehr kriegt und unmöglich pünktlich nach Osnabrück kommen kann, wo man sowieso nie wirklich hinwollte. Eine offene Zugtür um 6.52 Uhr kann einem den ganzen Tag versauen.

Kleine Beweise der Unzuverlässigkeit

Ein grundsätzliches Misstrauen fährt immer mit. "Die Bahn ist so zuverlässig wie die Wetteransager", sagen häufig die Passagiere, wobei die Meteorologen auf die Daten vieler Satelliten zurückgreifen können, die ihr Image doch wesentlich verbessert haben.

Die Bahn dagegen belegt ihre Unzuverlässigkeit in zahlreichen Details. Manchmal sind die Toiletten kaputt. Manchmal, wenn man einen Sitzplatz gebucht hat, wird diese Reservierung auf dem kleinen Schild über dem Platz nicht angezeigt, weil das Reservierungssystem ausgefallen ist.

Die Bahn bittet dann über Lautsprecher mehrsprachig darum, den Fehler zu entschuldigen, während man sich mit zotteligen und ungewaschenen Mitpassagieren streiten muss, die kaum bereit sind, den ihnen nicht zustehenden Platz zu räumen.

Wenn es kalt ist, kühlt die Klimaanlage die Temperatur im Abteil gelegentlich dem Gefrierpunkt entgegen. Ist es draußen heiß, fällt die Klimaanlage drinnen gern aus, und man stürzt im Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe aus einem Saunaabteil, fast besinnungslos und dehydriert. Die Züge, in denen die Klimaanlage ausfällt, sind nämlich in der Regel jene, in denen infolge technischer Probleme kein Speisewagen mitgeführt werden kann. Die Bahn bittet dann mehrsprachig über Lautsprecher darum, den Fehler zu entschuldigen.

Der Mann heißt Hartmut

In einem Regionalzug im Osten, der von Gotha nach Gräfenroda und zurück tuckert, lasen vor ein paar Tagen viele Reisende die Super-Illu, die auf der Titelseite eine Geschichte über Howard Carpendale ("Was Howie über ostdeutsche Frauen sagt") und einen Report über die Bahn ("Jetzt reicht's, Herr Mehdorn!") angekündigt hatte und im Inneren sogar dessen Vornamen verriet: Der Mann heißt Hartmut.

In dieser Regionalbahn debattierte die versammelte Gemeinde über die Brüchigkeit der ICE-Achsen, und obwohl Gräfenroda an das ICE-Netz nicht angeschlossen ist, fühlte sich jeder auch hier persönlich angesprochen. "Wenn die Achsen in großen Zügen nichts taugen, taugen sie in kleinen auch nichts", rief eine mittelalte Frau, und deren Freundin, die aus einer in Gräfenroda ansässigen Gartenzwergmanufaktur ein paar schöne Stücke mitgebracht hatte, sagte, dass sie "den Wagen nehmen würde, wenn's Benzin nicht so schweineteuer wär."

Erfahren Sie auf der nächsten Seite, dass der Service der Zugbegleiter besser ist als ihr Ruf.

Das Gejammere über die Bahn berührt sicher auch die im Deutschen fest verankerte Bereitschaft, bei jeder Gelegenheit laut aufzuheulen wie ein Hund, dem jemand auf den Schwanz getreten hat. Andererseits sagte die Frau mit den Gartenzwergen: "Haben Sie nicht auch gehört, dass die Bahn jetzt dauernd Kinder aussetzt, die keine Fahrkarte haben?"

Die Bahn hat einen Antilauf

Es hat diese Fälle wirklich gegeben, nicht dauernd, aber auch nicht nur einmal, und irgendwie ist das auch ein Problem der Bahn. Sie hat, wie Fußballjournalisten sagen würden, "keinen Lauf". Sie hat sogar einen Antilauf, und nicht nur deshalb, weil das mit dem Börsengang nicht geklappt hat.

Neulich ist in München ein Zug, der für eine Reise nach Hamburg bereitgestellt werden sollte, irgendwie außer Kontrolle geraten und hat Teile des Bahnhofs ramponiert. Ein Kind, das wegen einer fehlenden Bahnkarte des Zuges verwiesen wurde, musste auf dem Nachhauseweg auch noch ein schweres Musikinstrument schleppen, ein Cello.

Die Bahn hat inzwischen mitteilen lassen, jedes Fehlverhalten von Zugbegleitern werde arbeitsrechtliche Konsequenzen haben, aber dieses Bild hat sich bei jedem Fahrgast eingebrannt: Die teure, dauernd verspätete, von einem Halbbulgaren angeführte Bahn, die ihre Fahrgäste im Winter bibbern und im Sommer schwitzen lässt, diese Bahn bestraft ein kleines Kind, das, bekleidet nur mit einem Musikinstrument, und lediglich den Fahrschein zu Hause vergessen hat.

Die Geduld der Zugbegleiter

Der Zug von Gräfenroda war pünktlich, auch der Anschluss nach Göttingen klappte perfekt. Man wäre ungerecht, wenn man nur das Üble an der Bahn sähe. Die sogenannten Zugbegleiter zum Beispiel sind in der Regel ausgesprochen umgänglich, gemessen daran, dass sie ja für alles verantwortlich gemacht werden. Diejenigen, die Kinder aus dem Zug werfen, müssen Einzelfälle sein.

In den ICEs jedenfalls sind durchweg freundliche Schaffner und Schaffnerinnen am Werk, manchmal tragen sie selbst den Kaffee herbei, und neulich war einer an Bord, der hat gesungen. Einige verraten den Passagieren sogar, dass der Zug am nächsten Bahnhof ein paar Minuten länger Aufenthalt hat, "falls jemand draußen eine Zigarette rauchen will". Seit gut einem Jahr herscht totales Rauchverbot in Zügen, da ist man als Raucher dankbar für solche Hinweise.

Manchmal stehen, wenn ein Zug an einem Bahnhof etwas länger als geplant zum Stillstand kommt, Reisende draußen und sogar Zugbegleiter, die gemeinsam eine rauchen. Das hilft bei der Bewältigung des Stresses. Weil aber praktisch alle Aschenbecher in den Bahnhöfen abmontiert worden sind, werfen Reisende und Zugbegleiter die Kippen ins Gleisbett. Vermutlich ist auch das verboten, aber Herr Pantchev-Mehdorn tut gut daran, ein Auge zuzudrücken, wie es in Bulgarien ja auch Sitte ist.

© SZ vom 15.11.2008/lpr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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