Der schöne Schein:Familienurlaub für 15,50 Euro

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Was man von einer billigst im Internet ersteigerten Türkeireise erwarten kann - und was nicht.

Stefan Salger

Seit seiner Erfindung blieb der Kapitalismus eine zentrale Antwort schuldig: Was kostet die Welt? Und auch seine Kritiker Marx und Engels füllten im 19. Jahrhundert zwar dicke Schinken, konnten aber kaum zur Erhellung beitragen.

Mit Kind kann ein Urlaub teuer werden. Da sind Billigangebote noch verlockender. Doch auch der Nachwuchs kommt nicht Tag für Tag nur mit dem Frühstück aus... (Foto: Foto: iStock)

Unserem Niveau entsprechend steigen wir hinab von der globalen Ebene und wenden uns der übersichtlicheren Frage zu: Was kostet die Türkei? Oder noch besser: Was kostet ein einwöchiger Urlaub an der türkischen Riviera?

Die Antwort finden wir im Internet. Dort, wo im Geiste des reinen Kapitalismus Angebot auf Nachfrage trifft: Ebay rückt um genau 15:50:46 endlich heraus mit der Antwort: 15,50 Euro, zuzüglich fünf Euro Versand, dafür aber inklusive zweitägigem Ausflug zu den Kalksteinterrassen von Pamukkale sowie nach Antalya.

Fünf Mitbewerbern war diese Welt, versteigert von einem Handyverkäufer, offenbar zu teuer. Ihnen blieb der Zuschlag für "Eine Woche im Fünfsternehotel zu zweit, Artikelnummer 120025017269" versagt. Die "Produktbeschreibung" ("Artikelzustand: neu") weckt Fernweh:

"Wellness, Shoppen und Kultur erleben - Genießen Sie eine Woche lang die Vielfalt der türkischen Riviera. Antalya ist als die schönste Stadt an der türkischen Riviera bekannt. Ihre besondere Lage, auf einem Vorgebirge in einer traumhaft schönen Bucht, mit dem kristallklaren, türkisfarbenen Meer und dem Taurusgebirge im Hintergrund, verdankt sie den Namen Perle der türkischen Küste."

Gut, der Flug ist leider nicht inklusive, und Halb- oder Vollpension müsste man extra buchen, aber die Fotos von tiefblauen Lagunen und hell leuchtenden Sandstränden lassen keinen Zweifel am Traumurlaub aufkommen. Kann das klappen, für 15,50 Euro?

Dem Billigflieger entstiegen, der uns für 320 Euro nach Antalya gebracht hat, nähern wir uns, Vater, Mutter, Kind, mit großem Koffer einer blauen Lagune - etwa so, wie es seinerzeit Brooke Shields und Christopher Atkins im gleichnamigen Schmachtstreifen aus den Achtzigern machten. Auch wir sind auf der Suche nach Romantik, aber bitteschön zum Schnäppchenpreis.

Zwischen Antalya und Alanya der türkischen Südküste reiht sich ein Hotel ans andere. All inclusive zwischen Straße und Strand. Leider aber nicht für uns drei Sparfüchse. Bei uns ist nur Frühstück inklusive.

Wir wollen zunächst nicht 100 Euro für vier Abendessen bezahlen. Doch am Ende ist die Angst vor einem über Zwangsdiät klagenden kleinen Balg größer und wir zahlen. 100 Euro, das ist etwa das Monatsgehalt eines Teppichknüpfers im türkischen Landesinneren - und das letztlich für vier Abendessen minderer Qualität. Aber nette kleine Restaurants sind am Rande des türkischen Highways nicht erkennbar.

Die Welt im Holiday Garden Resort, einem angeblichen Fünfsternehotel, dreht sich nach den Regeln der Farbenlehre: Das weiße Plastikarmband weist den Besitzer als Unterklasse (nur Frühstück) aus, die abendessende Mittelschicht trägt Orange und die Upper Class, die sich fast rund um die Uhr den Bauch vollschlagen kann, trägt dunkelrot. Immerhin, auch für Weiß-Träger sind die Zimmer groß und sauber.

Der ganze Hotelklotz entspricht nicht dem deutschen 5-Sterne-Standard, erfüllt aber durchaus mittlere Ansprüche. In der Nachsaison hat das Kinderparadies allerdings die Rollläden heruntergelassen und die Wasserrutsche bleibt meist trocken. Aber es gibt ein türkisches Bad, einen Pool, einen Kieselstrand, Liegestühle gratis - sowie eine eher drittklassige Abendanimation.

Ansonsten kostet praktisch alles Aufpreis, egal ob Massage oder Gepäckaufbewahrung, aber darauf waren wir ja vorbereitet.

Am zweiten Tag wartet ein gepflegter Herr mit schwarzen Locken nach dem Frühstück in der Lobby. Als "Hussein" stellt sich der fließend deutsch sprechende Reiseführer vor.

Er gibt einen kurzen Überblick über die Umgebung und spricht von boomendem Tourismus in der Region.

Später wird Mehmet, der Taxifahrer, sein "derzeit tote Hose" dagegensetzen. Hussein jedenfalls kommt nach einem "Begrüßungscocktail" aus gefärbtem Zuckerwasser schnell auf den Punkt und zückt seinen Quittungsblock: Ja, die Ausflüge aus dem Reiseprogramm gibt es, aber, naja, pro Ausflugstag müsse man für zehn Euro ein Mittagessen dazu buchen. Das sei Pflicht, und, naja, das hätte der Reiseveranstalter wohl versäumt in den Katalog zu schreiben.

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Auf der zweitägigen Reise zu den Kalksteinterrassen von Pamukkale kommt es, wie es kommen muss. Die zusammengewürfelte achtköpfige Besuchergruppe trifft auf ihren ersten Reisesponsor: eine Schmuckfabrik auf der grünen Wiese - Flucht unmöglich. Jeder Tourist bekommt einen netten Berater an die Seite gestellt, ob er will oder nicht.

Erkennt dieser aber, dass sein Werben für türkischen Goldschmuck nicht von Verkaufserfolg gekrönt wird, dann kühlt sich die Höflichkeit merklich ab. Einen halben Tag hat die deutsch/schweizerische Notgemeinschaft später Zeit, um im Laufschritt einen Ausschnitt des Unesco-Weltkulturerbes Pamukkale zu erhaschen.

Mehr Zeit steht dann wieder im Teppichknüpfzentrum zur Verfügung, in dem Herr Ali, der in Deutschland Betriebswirtschaftslehre studiert hat, seine wirklich prächtigen, handgeknüpften Unikate anpreist. Wer zwischen 200 und 8000 Euro übrig hat, kann zugreifen.

Der Teppich fliegt sodann und wird frei Haus zugestellt. Keiner aus der Gruppe greift zu. Immerhin wird im Laufe des zwanglosen Gesprächs bei türkischem Kaffee und Raki-Schnaps schnell klar, dass hier acht Billigheimer zusammengefunden haben.

Das Schweizer Pärchen hat die Reise für ein Illustrierten-Abonnement bekommen. Zwei Rheinländer haben sich über einen Gewinn in einem Preisausschreiben gefreut - bis sie begriffen haben, dass die zweite Person zuzahlen muss und auch noch ein saftiger Saisonaufschlag fällig wird, bevor die Reise in die Nachsaison losgehen kann.

Und Jurij und Vika, die beiden Deutsch-Russen, die seit acht Jahren in der Nähe von Köln wohnen, haben einen Handy-Vertrag abgeschlossen und die Reise als Dreingabe bekommen. Zwei aus der Gruppe immerhin haben einen regulären Preis bezahlt - zusammen rund 450 Euro, inclusive Flug.

Herr Ali lernt übrigens gerade Russisch, "denn die Russen sind mittlerweile unsere besten Kunden. Und die sind auch bereit, für Qualität Geld auszugeben." In dieser Hinsicht befinde sich Deutschland längst auf dem absteigenden Ast.

Die Langeweile der Dolmetscher

Das gleiche Spielchen wiederholt sich nochmals in einem Ledergeschäft in Antalya: Auf eine kurze Modenschau folgt langes Verhandeln. Unserem wie üblich deutsch sprechenden Begleitpersonal vergeht irgendwann die Lust. Die Lederjacke zum Etikettpreis von 650 Euro bietet er in einem letzten Aufbäumen noch für 200 Euro feil.

Am Ende der einwöchigen Pauschalreise hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Türkei durchaus sehr billig zu bereisen ist - oder aber, wie sich Herr Ali ärgerte, "förmlich verramscht" wird.

So mancher Gast, der nicht über ein starkes Nervenkostüm verfügt, bezahlt dafür aber mit eingeschränktem Erholungswert - außer, wenn er sich ohnehin nur mit einem guten Buch an den Strand legen will und keinen Wert auf Animation oder ein anderes Begleitprogramm legt. In der Vor- oder Nachsaison sind auch ganz regulär recht gemütliche kleine Hotels für etwa 25 Euro pro klimatisiertem Doppelzimmer inklusive Frühstück zu bekommen, so zum Beispiel im sauberen, ganzjährig geöffneten Dreisterne-Hotel Lotus in Side.

Und die liegen dann auch zentraler und kommen ohne Fallstricke und Hintertürchen aus. Ein ordentlicher Urlaub hat also auch in der Türkei seinen - allerdings vergleichsweise immer noch günstigen - Preis. In unserem Fall waren es letztlich rund 500 Euro.

© SZ vom 14.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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