Der erste Urlaub allein: Unter Freunden:Männer im Halbsüden

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Mit seinen Freunden fuhr unser Autor Richtung Nordspanien - fast wären sie alle auf einer Ausfallstraße für immer verloren gegangen.

Harald Hordych

Wir hatten nicht viel Ahnung, als wir uns vor 26 Jahren in den Wagen setzten, aber wir hatten ein Ziel, zumindest hatten wir eine Himmelsrichtung: Süden. Wir fuhren nach Frankreich. Auch wenn der Westen Frankreichs von einer nordhessischen Kleinstadt aus betrachtet strenggenommen nur Halbsüden war, so war es doch der Anfang der ersten großen Reise mit dem eigenen Auto.

(Foto: Foto: Istockphoto)

Auf den Halbsüden folgte der Dreiviertelsüden, das nördliche Spanien. Wir hätten ewig so weiter fahren können, das ganze Leben lang Männerurlaub machen. Wir kamen nicht mal bis Pamplona. Wer weiß, wozu es gut war.

Diese erste große Reise war mehr als all die anderen, die noch folgen sollten, auf Träumen errichtet. Grob gesagt, hatten wir drei Dinge, nämlich ein Auto mit Schiebedach, Schlafsäcke und einen ADAC-Autoatlas, auf dem wir die Eckpunkte festgelegt hatten: Paris. Meer. Biarritz. San Sebastian. Pamplona.

Unsere Sehnsüchte entzündeten sich an den Namen berühmter Orte, die wir aus Büchern kannten. Allen voran: Pamplona, die Stadt, die Hemingway in "Fiesta" für alle Zeiten als Sehnsuchtsort heroischer Männermelancholie in meinem Kopf errichtet hat. Es waren Städte mit einem magischen Klang. Irgendwann waren sie in unsere Köpfe gelangt und nun von dort nicht mehr wegzudenken.

Was wir wollten? Wir wollten Teil eines Landes werden, das den Namen Süden trug, wir wollten genau genommen keine Reise unternehmen, sondern ins Paradies für Zwanzigjährige eingehen: Wenn wir drei aus Zucker bestanden hätten, dann wären wir am liebsten sofort in einen Café au lait geworfen worden. Glücklich hätten wir uns in Wärme und Süße aufgelöst: Au lait! Olé! Fiesta mexicana!

"Fiesta" hatte ich übrigens dreimal gelesen, ach was, gefressen und verschlungen hatte ich diesen Roman. Auf der Widmungsseite meiner Ausgabe hatte ich einen Satz des Dadaisten Richard Huelsenbeck gekritzelt: "Ich halte den Krieg und den Frieden in meiner Toga, aber ich entscheide mich für den Cherry Brandy Flip." Wir hielten uns kongenial an dieses Zitat. Entschlossen nahmen wir von weiterer Reiselektüre Abstand. Nichts wissen macht braun! Halbwissen macht halbseiden.

Wir stiegen am Tag unserer Abreise ins Auto, drehten das Schiebedach auf und stellten das Radio laut. Paris war unsere erste Etappe. Es war Juli, und woher sollten wir wissen, dass außer uns und den anderen Touristen kein vernünftiger Mensch um diese Zeit in Paris ist?

(Foto: Foto: Privat)

Nachdem wir uns mehrere Stunden durch den Pariser Verkehr gewühlt hatten, fanden wir die Champs-Élysées und liefen sie einmal rauf, und im Anschluss sofort wieder hinunter. Wir fragten uns, aber niemanden von den Parisern, wo denn der Eiffelturm ist, wir fanden keine Antwort und stiegen wieder ins Auto. Paris, das war nur eine Etappe. Aber was für eine! Wir würden wiederkommen.

Als wir aus Paris rausfuhren, fragten wir einen Mofafahrer, wo es dann nach Nantes ginge respektive zum Meer! Er sagte nur: périphérique! Weite Teile der Menschheit wissen, dass dieses Wort die große, die Kernstadt umrundende Umgehungsstraße bezeichnet. Wir dachten: Klar, die nächste Stadt heißt "périphérique"!

Und dann fuhren wir einmal um Paris, und riefen immer wieder staunend: dieses Périphérique ist ja riesig, und wir wunderten uns, bis dahin nichts von diesem Périphérique gehört zu haben. Überall standen Schilder mit Aufschriften wie: périphérique nord, périphérique sud, périphérique ouest. Aber nach einer Runde um ganz Paris kamen wir dann drauf.

Die Nacht war so schwarz wie zu Hause, und wir mussten höllisch aufpassen. Natürlich wollten wir die Autobahngebühren sparen. Infolgedessen verloren wir ein ums andere Mal unsere Fahrtroute aus den Augen, weil plötzlich die Orte auf den Schildern fehlten, an denen wir uns auf den geraden Landstraßen so leichtfüßig orientiert hatten. Bis der nächste Kreisverkehr kam, und nur das nächste Dorf, aber nicht die nächste Metropole angekündigt war.

Das Einzige, was uns dazu einfiel, war der Witz, dass die Franzosen seinerzeit die deutschen Panzer auf diese Weise in die Irre, nämlich zurück ins deutsche Reich lenken wollten. Aber spätestens nach dem dritten Verfahrer stritten wir uns dann doch, wer die Schuld an diesem Versagen trug. Am Morgen fanden wir das Meer.

Die kleine Badestadt lag am Atlantik. Wie der Ort heißt, habe ich vergessen. In Hotels konnten wir nicht gehen. Das hätte Geld gekostet.

Wir zogen die Badehosen an, legten uns an den Strand, die Sonne hieß uns willkommen, und wir schlummerten ein. Wir ahnten nicht, dass wir als etwas Neues aufwachen sollten. Gegen Mittag waren aus drei Freunden, die nichts auseinanderbringen konnte, drei Touristen-Lager geworden:

Jürgen, der Superbräuner. Seine Haut war St. Tropez-fest. Das Ergebnis stundenlangen Sonnenbadens waren zwei winzige Brandpünktchen auf der Nasenspitze und an einem der Schultereckgelenke.

Ich war mehr der deutsche Naturtyp, blond und belastbar. Meine Oberarme und meine Oberschenkel waren nun eine Sonnenbrandzone. Aber ich war weiterhin bereit für die Sonne.

Uli hatte rote Haare und weiße Haut, beziehungsweise: Er hatte weiße Haut gehabt. Nach vier Stunden französischer Vormittagssonne war er Ton in Ton: Er war mit Haut und Haaren rot! Von nun an zog er sich für den Strand an wie andere Leute für einen Winterausflug.

Dieser erste Tag machte uns trotzdem sonnensüchtig. Wir genossen das Gefühl totaler Unabhängigkeit. Das heißt, wir setzten uns um drei Uhr in ein Café und tranken Pernod. Dann gingen wir an den Strand und tranken anschließend einen Pernod. Und abends gingen wir in eine Kneipe und tranken schnell noch ein paar Pernod. Wir schliefen glänzend. Am nächsten Tag fuhren wir weiter. Großes erwartete uns, Biarritz zum Beispiel.

In Biarritz gefielen uns die alten Hotels, der Luxus, die Idee, plötzlich Teil einer großen, schicken Welt zu sein. Wir schliefen am Strand, bis uns die Flics weckten, unsanft muss man sagen. Monsieur, zack, zack, aus dem Schlafsack! Wir entwickelten ein Strandleben, das am Rhythmus von Ebbe und Flut orientiert war.

Wir hatten nämlich ein Problem: Jürgen wollte in die Sonne, an den Strand, Uli wollte in den Schatten. Beides ließ sich nicht leicht miteinander vereinbaren.

Außerdem hatten wir nichts, aber auch gar nichts zu lesen mitgenommen, noch nicht mal den Kicker, und so redeten und redeten wir, bis wir merkten, dass uns bei dieser Vorgehensweise in drei Tagen die Themen und das Geld ausgehen würden.

Außerdem begannen wir uns zu fragen, wo eigentlich die schönen Mädchen in Biarritz sind. Die Antwort konnten wir nur in San Sebastian finden.Auf dem Weg dorthin passierte das komischste und das gefährlichste dieser an Gefahren nicht armen Reise. Aus Übermut bogen wir ohne Grund auf eine Seitenstraße ab. Dort kurvten wir in Schlangenlinien dahin, denn sonst fuhr niemand auf dieser Straße.

Da sagte einer meiner Freunde, er müsse mal austreten, und wir lenkten widerstrebend und murrend das Gefährt an den Straßenrand. Während der Freund tat, was zu tun war, schlenderte ich die leicht ansteigende Straße weiter und fragte mich schläfrig, warum eine Straße ansteigt, wenn sie durch eine Ebene verläuft, die nicht nur trocken, sondern eben auch flach wie ein Brett ist.

Die Straße stieg trotzdem an, recht stark übrigens, wie ich fand, und während ich zu ahnen begann, dass die Straße in einer weiten Kurve offenkundig zu einer Brücke führte, die bald unsere Hauptstraße überqueren würde, da endete sie plötzlich ungefähr zehn Meter von der Hauptstraße entfernt, wie eine Sprungschanze auf einer Höhe von schätzungsweise drei Metern.

Ich war allein, und so sah niemand mein dummes Gesicht. Es muss dem geähnelt haben, das ich gemacht hätte, wenn wir mit 60 Stundenkilometern, ein Lied auf den Lippen (Dreamer!, you're nothing but a Dreamer!) die Steigung hinaufgebraust wären, um dann weidlich überrascht zum Sprung über die Straße anzusetzen.

Von einem Schild übrigens, welches das Ende der Straße angekündigt hätte, keine Spur, auch keine Straßensperre, nichts, was uns am Weiterfahren gehindert hätte. Wir haben dann längere Zeit schweigend an der Autoschanze gestanden, länger als wir noch vor jeder Brandung bei dieser Reise verweilen sollten. Wir haben darüber nachgedacht, wie gut es doch ist, von Zeit zu Zeit pinkeln zu müssen.

Wir kamen voller Dankbarkeit in San Sebastian an, aufs Neue bereit für das Schöne und das Gute im Leben: San Sebastian war die Erfüllung unseres Traums.

Es war die ideale Stadt, sie lag am Meer, sah aber nicht so aus, viel feiner. Das Sinnliche und das Intellektuelle, das Strahlende und das Melancholische war in den Mauern dieser Stadt Wahrheit geworden. Nicht nur, dass San Sebastian noch schöner und großzügiger war als Biarritz, es war wie Paris ohne Verkehr und ohne Hitze, und es lag doch am Meer, und nachts verwandelte es sich sogar in die Düsseldorfer Altstadt, es hatte Kneipen zu bieten, die so dunkel und so voll und so voller Bier waren, dass wir gar nicht mehr nach Hause fahren brauchten.

Es war die Stadt, in der wir alt werden konnten. Sehr schnell wahrscheinlich, aber auch sehr gern. Wir lernten drei Spanier kennen in einer der höhlenartigen Kneipen der Altstadt und pflegten diese auf Fußball und Politikgesprächen aufgebaute Völkerfreundchaft mit Freuden und mit Ausdauer. Nach einem Wiedersehen am nächsten Tag beschlossen wir nach Pamplona zur Fiesta zu fahren!

Die Euphorie war grenzenlos, bis wir bemerkten, die falsche Ausfallstraße erwischt zu haben. Wir mussten wenden. Entschlossen gab ich Gas, und schon knallte es und dann knallte es gleich wieder. Es handelte sich um eine kleine europäische Massenkarambolage, weil das Auto, das uns getroffen hatte, wie eine Billardkugel von unserem Auto auf ein weiteres Auto weitergelenkt worden war, das sich zum Auffahren auf die Straße bereitgehalten hatte.

In diesem Fahrzeug saßen jede Menge Leute, die uns eifrig zugewinkt hatten. Wie sich herausstellte, hatten sie uns per Handzeichen daran hindern wollen, das verbotene Wendemanöver durchzuführen.

Wir blieben danach noch drei Tage in San Sebastian, und zwar in einem mit drei Betten vollgequetschten Hotelzimmer. Niemand hatte sich verletzt, die beiden spanischen Autos waren ziemlich kaputt, bei unserem hatte es nur den Kotflügel erwischt, sogar das Licht ging noch.

Wir hätten gleich weiterfahren können, aber die Polizei hatte etwas dagegen und das deutsche Konsulat auch. Die Vernehmung war wie stille Post. Der Polizist sprach nur Spanisch, eine Spanierin konnte Französisch, eine Französin sprach Englisch. Was wiederum eine Sprache war, in der auch meine Freunde und ich uns zu verständigen wussten.

Als die Kaution von der Versicherung eintraf, durften wir weiterfahren. Aber dieser neunte Tag unseres Urlaubs war ein trauriger Tag, wie wir bald merkten. Die Sonne hielt sich hinter dicken Wolken versteckt.

Und als wir abends in einer Kneipe an der Landstraße auf dem Weg nach Pamplona von einem Gast darüber in Kenntnis gesetzt wurden, dass alle Deutschen Nazis sind, schauten wir uns an, nickten kurz und fuhren zurück in den Halbnorden, zurück nach Deutschland, ohne großen Pausen, einfach in einem Rutsch durch.

Das war ein toller Urlaub, haben wir später festgestellt. Aber wirklich erst viel später.

© SZ vom 16.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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