Berliner Botschaften (V):Russische Klassik

Gottfried Knapp

Eine andere politische Weltachse hat Unter den Linden ihr dröhnendes Monument hinterlassen. An der Stelle, an der seit 1837 die Russische Gesandtschaft residierte, ließ die Sowjetunion in den frühen 50er Jahren den schlossartigen Monumentalkomplex seiner Botschaft errichten. Dieses letzte Prunkstück des Stalinismus bekam im Lauf der folgenden Jahrzehnte eine Schule, einen Wohnkomplex, ein Klubhaus, eine Schwimmhalle und die Niederlassung der Aeroflot zugeteilt und wuchs so zur wohl größten diplomatischen Exklave außerhalb der Sowjetunion heran.

Platz für etwa 400 Gäste. Hier werden für Repräsentanten aus Politik, Wirtschaft sowie der deutschen Öffentlichkeit und des diplomatischen Corps regelmäßig festliche Kultur- und Musikveranstaltungen mit russischen Künstlern dargeboten. (Foto: N/A)

Im Inneren sind nur die Repräsentationsräume am Ehrenhof Unter den Linden interessant. Doch sie gehören in ihrem unverblümten Rückgriff auf die Zarenzeit zum Eindrücklichsten, was der Historismus sozialistischer Prägung hervorgebracht hat. Mit dem wertvollen Marmor, den Hitler gehortet hatte, konnten die Architekten das Vestibül üppig auskleiden. Das gewaltige Treppenhaus führt nach hinten in den riesigen Konzertsaal, der die beiden Höfe trennt und sicher zu den akustisch besten Sälen der Stadt gehört. Vorne führt der Weg hinauf in den hohen, durch Glasmalereien pathetisch dominierten Kuppelsaal und in die beiden seitlichen Spiegelsäle, die mit ihren je drei Kristalllüstern Erinnerungen an die besten Kreationen des frühen russischen Klassizismus wecken. Benutzt werden die Räume heute fast gar nicht mehr; das neue Russland scheint sich mit der sozialistischen Hinterlassenschaft, die jeden Besitzer eines Luxushotels vor Neid erblassen ließe, derzeit noch nicht richtig identifizieren zu können.

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