Bergsteigen:Mit Geld auf den Gipfel

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Achttausender als Statussymbol: Bergführer über den zunehmenden Gipfel-Tourismus und eine Kundschaft, die zwar reich ist, aber arm an Erfahrung.

Katharina Bromberger

Edward Whymper, Sir Edmund Hillary, Reinhold Messner, Hans Kammerlander: Sie sind für den Berg geboren. Sie standen auf den höchsten und schwierigsten Gipfeln dieser Erde, waren dem Himmel näher, als viele es jemals sein werden. Sie haben erreicht, wovon viele nur träumen können - zumindest konnten.

Mount Everest
:Berg voller Rekorde und Tragödien

Der Mount Everest ist der höchste Berg der Welt und treibt viele zu Höchstleistungen an. Aber die Bezwingung eines Mythos aus Fels und Eis birgt viele Gefahren.

1865, als Whymper erstmals das Matterhorn bestieg, auch 1953 noch, als Sir Edmund Hillary auf dem Mount Everest stand, waren derartige Leistungen der Stoff, der Bücher füllte. Die Bergsteiger waren Helden und wurden zu Legenden. Und heute?

Längst ist eine Mount-Everest-Besteigung nicht mal mehr eine Kurzmeldung wert. Der Bergtourismus boomt. Sieben- und Achttausender locken Tausende von Menschen an - ob passionierte Bergsteiger, Wanderer oder Geschäftsleute. Bergführer und Träger sollen sie auf den Gipfel bringen.

Die "Seven Summits", die höchsten Gipfel der sieben Kontinente, üben eine magische Anziehungskraft aus. Allein auf den Kilimandscharo in Afrika, der mit seinen 5895 Metern als der leichteste der "Big Seven" gilt, pilgern jährlich 10.000 bis 20.000 Touristen.

Bereits für knapp 2000 Euro werden sie von Bergführern auf den Gipfel gebracht. Die Besteigung des Aconcagua, mit 6962 Metern der höchste Berg Südamerikas, ist für circa 6000 Euro zu haben. Doch diese Berge verblassen vor dem Mount Everest - preis- wie höhenmäßig. Seit den 80er Jahren ist ein wahrer Run auf den höchsten Berg der Welt ausgebrochen.

Mehr als 3000 Mal wurde er bisher bestiegen. Für etwa 30.000 Euro erfüllen Expeditionsanbieter den Traum, auf das Dach der Welt zu steigen. Im Preis inbegriffen sind in der Regel ein Bergführer, die Träger, der Flug, die Transfers, Verpflegung am Berg, die Genehmigung für die Besteigung - und eine Versicherung.

Unter einigen überzeugten Alpinisten gilt der Everest nicht mehr als erstrebenswertes Ziel; die Kommerzialisierung kritisieren viele. Das Basislager ist verdreckt, es ist ein Zeltdorf mit Hunderten Einwohnern, mit Fernseher und Internetcafé. Den Gipfel schaffen die meisten nur mit Sauerstoffmaske. Bergführer Michael Wärthl ist sich sicher, dass man dort auf jene Menschen trifft, "die sich nur aus dem Prestigegedanken heraus einen Achttausender zulegen. Er wird zum Statussymbol wie ein dickes Auto".

Wärthl selbst habe noch keinen derartigen Kunden gehabt. Dennoch gab es Situationen, in denen der 37-jährige Neubiberger seinen Beruf in Frage stellte. Kein Bergführer sei scharf darauf, dass "Leute im Gebirge herumspringen, die dort nichts verloren haben. Und irgendwie wird man plötzlich mitverantwortlich dafür". Andererseits könne man so Gefahren und Risiken kontrollieren. Auch Michael Schott plädiert dafür, einen Bergführer zu buchen, bevor man durch Unkenntnis sich und andere in Gefahr bringe.

Der Geschäftsführer von Hauser-Exkursionen in München trifft "jedes Wochenende" in den Bergen auf Menschen, "die dort vor allem auf Grund ihrer technischen Fähigkeiten nicht hingehören". Und dabei spricht Schott nicht vom Himalaya, sondern von den Alpen.

Wärthl erkennt ein Umdenken. Immer mehr Kunden buchen seiner Meinung nach einen Bergführer, "weil sie sich absichern wollen". Den Grund für den "wahren Boom" bei organisierten Unternehmungen sieht Bergführer Schott vor allem in mangelnder Zeit.

Früher habe man oft ein ganzes Jahr nur in die Planung einer Expedition investiert. "Das ist heute nicht mehr drin. Man ist zu sehr ins Tagesgeschäft eingebunden."

Ganz unterschiedliche Motive sind es, die Kunden zu Bergführern wie Wärthl führen. Die Suche nach einer Grenzerfahrung und einem außergewöhnlichen Erlebnis sei das eine. Für Schott hängt der Drang nach dem Berg eng mit dem Leben in "einer Art Retorte" zusammen. "Man sitzt vor dem Fernseher, im Büro, im Auto, - das alles ist nichts Echtes, man erlebt nichts Authentisches. Sich selbst und die Umwelt kann man erst spüren, wenn man draußen ist."

Einen ähnlichen Grundgedanken beschreibt Michael Roepke, Geschäftsführer des DAV Summit Clubs in München. "Man will etwas Schönes erleben. Und die Berge stehen für Schönheit und Natur pur."

Solche Wünsche könnte aber auch eine Bergwanderung erfüllen. Was aber treibt die Menschen auf 4000 Meter und höher? Bergführer Roepke sieht dahinter zum Teil eine natürliche Entwicklung. Wer regelmäßig Bergtouren in den Alpen unternehme, "wird nach immer Höherem streben. Das ist eine typische Folge des menschlichen Daseins. Man will sich selbst beweisen."

Schott hält das aber auch für ein "Dilemma". Früher seien die Leute schrittweise in den Alpinismus hineingewachsen: wandern, dann erste Klettertouren, irgendwann Hochtouren mit steigendem technischen Anspruch. Das habe sich markant geändert, als Bergsteigen Anfang der 90er Jahre zum Trendsport wurde. "Alles ist schneller geworden."

Viele seien gut trainiert, brächten es beispielsweise im Sportklettern schnell auf ein relativ hohes Leistungsniveau. Das sage jedoch nichts über Erfahrung oder über alpines Wissen aus, betont Schott. "Plötzlich hat man einige hundert Meter Luft unter sich. Plötzlich sind die Verhältnisse nicht mehr optimal. Auf einmal ist man auf sich gestellt. In schwierigen Situation kann man nur richtig reagieren, wenn man sie erlebt hat."

Auch Michael Wärthl hat die Erfahrung gemacht, dass viele oft nicht an der körperlichen Fitness scheitern. Oft kämen sie am Berg zum ersten Mal in ihrem Leben in eine Extremsituation. Am Cho Oyo beispielsweise - der nach dem Mount Everest meistbestiegene Achttausender zählt zu den leichteren seiner Art - sei man pausenlos im Schnee unterwegs, ständig Nässe und enormer Kälte ausgesetzt. "Das kennen viele bis dahin nicht. Etliche müssen aufgeben."

Weil auch die Psyche nicht mehr mitspielt.

Dass sich Kunden komplett falsch einschätzen, kommt laut Wärthl selten vor. Allein deshalb, weil eine Expedition viel Geld und Freizeit koste "gehen die meisten recht ehrlich mit der Sache um". "Und im Notfall müssen sie eben im Basislager bleiben", sagt Michael Schott. Dass der Bergführer vor Ort die Notbremse ziehen muss, ist laut Wärthl aber eher die Ausnahme.

"Die meisten merken selbst, dass es keinen Sinn macht." Von jenen "unseriösen Anbietern", bei denen ein gut gefülltes Bankkonto für das Gipfelerlebnis ausreicht, distanzieren sich die Bergführer. Der Münchner Rainer Bolesch weiß, dass es Kollegen gibt, "die Leute für das nötige Kleingeld auf fast jeden Berg schleifen".

Ein Bergführer aber mache seinen Job nur dann gut, wenn "die Leute Spaß haben und alles bewusst erleben können". Das wiederum sei nur mit der richtigen Vorbereitung möglich.

Bolesch, Wärthl und Kollegen verlangen vor einer anspruchsvollen Unternehmung einen Tourenbericht der Teilnehmer, in dem die Touren der vergangenen drei bis fünf Jahre aufgelistet sind. Natürlich sind sie sich bewusst, dass "Papier geduldig ist".

Deshalb sollen Vorgespräche endgültig klären, ob die Kunden den Anforderungen gewachsen sind. Mindestvoraussetzung sind eine gute Kondition, Trittsicherheit, Schwindelfreiheit und dass man mit Seil, Steigeisen und Pickel vertraut ist. Je nach technischer Schwierigkeit des Berges werden weitere Anforderungen an die Teilnehmer gestellt. Wichtig für Michael Schott ist vor allem der Aspekt Kontinuität. Es reiche nicht aus, alle paar Wochen mal einen Gipfel zu erklimmen.

"Bergsteigen muss die größte Leidenschaft, das Hobby Nummer eins sein." Zudem sei bei Expeditionen der selbständige Bergsteiger gefragt. Der Bergführer ist für das Einrichten der Hochlager und das Anbringen von Fixseilen zuständig, und dafür, zu erkennen, ob jemand sein Limit übersteigt oder ob das Wetter ein Weitermarschieren zulässt.

"Gehen aber muss jeder allein", so Schott. Bei einer Gruppengröße von elf bis zwölf Leuten kann ein Bergführer nicht jeden einzeln betreuen.

Anders im Hochtourenbereich. Auf Viertausender wie das Matterhorn oder den Mont Blanc gehen Bergführer in der Regel mit einem oder zwei Kunden. In den Alpen zeige sich, so Michael Roedke, schnell, ob jemand falsche Angaben über sein Können gemacht hat. "Wer über die erste Felsstufe am Matterhorn nicht drüberkommt, kehrt um." Erst kürzlich hat Bergführer Schott zwei junge Burschen nicht mit auf den Ortler genommen.

"Sie haben mich gefragt, was ein Steigeisen ist." Die beiden Jungs blieben auf der Hütte - schon nach dem Aufstieg dorthin waren sie konditionell "am Ende".

Ein erfahrener Bergführer sieht laut Schott in der Regel schon, wie die Leute aus ihrem Auto aussteigen, ihren Rucksack aufsetzen und sich die Schuhe binden, ob jemand ein Bergsteiger ist oder nicht. Ein eindeutiges Zeichen für Unerfahrenheit sei: "Die Leute nesteln ständig an ihren Klamotten herum und suchen irgendetwas in ihrem Rucksack - um dann festzustellen, dass sie es in ihre Hosentasche gepackt haben."

Dennoch kann auch der Unerfahrene eine Tour auf die Dächer der Welt genießen, wenn er dieses Manko durch Fitness in Körper und Geist kompensiert. Erst unlängst hat sich am Cho Oyo für Michael Wärthl wieder bestätigt, warum er den Beruf Bergführer mit Leidenschaft ausübt.

"Der, der in der Gruppe am wenigsten Bergsteiger-Erfahrung hatte, stand mit auf dem Gipfel. Er hat sich einen Traum erfüllt. Das Gefühl, das dir solche Menschen geben, ist unbeschreiblich."

© SZ vom 21.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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