Bahnchaos in der Schweiz:Stillstand nach Kettenreaktion

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Ein Kurzschluss hat die größte Panne in der Geschichte der Schweizerischen Bundesbahnen ausgelöst. 200.000 Passagiere saßen bei brütender Hitze zwischen 18 und 21.30 Uhr fest. Insgesamt waren 1500 Züge betroffen.

Von Judith Raupp und Klaus Ott

Am Donnerstag verkehrten aber fast alle Züge wieder pünktlich. Es habe nur noch einzelne Verspätungen gegeben, sagte ein Sprecher der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB). Auch in Deutschland habe sich die Lage normalisiert, heißt es bei der Deutschen Bahn. Mehrere Hundert Passagiere aus Deutschland saßen nach dem Blackout im Grenzverkehr fest.

Auslöser für das Chaos war ein Kurzschluss in einer Übertragungsleitung zwischen Amsteg und Rotkreuz. Ein doppeladriges Ausweichkabel, das die Stromversorgung zwischen der Nord- und der Südschweiz hätte übernehmen können, sei wegen Bauarbeiten an einem Strommasten außer Betrieb gewesen, teilten die SBB mit.

Nach dem Kurzschluss hätten die Kraftwerke am Gotthard nur noch das Tessin mit Energie beliefern können. So kam es im Süden zu einer Überlastung, im Norden zu Strommangel. In einer "fatalen Kettenreaktion", so die SBB, hätten sich daraufhin mehrere Kraftwerke automatisch abgeschaltet. Dann sei die Stromversorgung ganz zusammengebrochen.

Ursache weiter unklar

Warum der Kurzschluss entstand, vermochten die SBB nicht zu sagen. Dies werde nun untersucht, hieß es. Geklärt werden müsse auch, weshalb die Automatik versagte, die sonst dafür sorgt, dass sich der Strom nach einem Kurzschluss wieder einschaltet.

Fachleute kritisierten, das Stromnetz der SBB habe zu wenige Querverbindungen. Das erhöhe die Gefahr für einen Totalausfall, weil der Strom zu wenig Ausweichwege habe. Seit Jahren will die Bahn weitere Leitungen bauen. Bisher scheiterte dieses Vorhaben laut SBB am Protest von Bauern und Umweltschützern.

Der Blackout kostet die Schweizer Bahn umgerechnet vier bis sechs Millionen Euro. Soviel muss sie voraussichtlich für die 220 Ersatzbusse, 300 Taxifahrten und Hotelrechnungen gestrandeter Fahrgäste ausgeben. Die SBB haben am Mittwochabend auch Fahrtgutscheine im Wert von zwei Millionen Euro und Getränke verschenkt. Eventuell müssen die Schweizer der Deutschen Bahn Kosten erstatten. Die DB hatte mit Bussen ausgeholfen und musste ihre Fahrgäste im Grenzgebiet teils per Taxi transportieren.

Deutsches System dezentral aufgebaut

Bei der Deutschen Bahn gilt ein bundesweiter Stromausfall als unwahrscheinlich. Die Hochspannungsleitungen werden von 55 Kraftwerken und Umspannanlagen aus dezentral versorgt, eine zentrale Leitstelle überwacht das Stromnetz ständig, außerdem gibt es laut einem DB-Sprecher noch "Energiereserven", falls Engpässe auftreten sollten. Vorsorglich will sich die DB von der SBB aber unterrichten lassen, was dort warum passiert ist, um daraus lernen zu können.

Immerhin waren bei der DB schon einmal viele Züge auf einen Schlag stillgestanden. Am 1. Dezember 1998 hatte sich das gesamte Netz in Bayern aus Sicherheitsgründen auf einen Schlag abgeschaltet, weil eine Starkstromleitung in Unterfranken plötzlich überlastet war. "Das war ein Sonderfall, wie zu Hause bei einem Kurzschluss", erklärte die DB damals.

Die meisten Schweizer Passagiere nahmen ihr Schicksal am Mittwoch gelassen. In manchen Bahnhöfen entstanden spontane Volksfeste. Einem Fahrgast war aber überhaupt nicht zum Feiern zu Mute: Benedikt Weibel, Chef der SBB, steckte auf dem Weg von Paris in die Schweiz kurz vor Bern fest. "Das ist mir hochgradig peinlich. Ich entschuldige mich in aller Form für den Vorfall", sagte Weibel. Der Bahnchef erreichte die Schweizer Hauptstadt drei Stunden zu spät mit dem Bus.

© SZ vom 24.06.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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