Amerika, der Länge nach (XVIII):Mexiko City auf die sichere Art

Lesezeit: 4 min

In der Hauptstadt unterwegs mit modernen Pauschaltouristen: Kontakt zu Einheimischen, Entdeckungen abseits der empfohlenen Routen - alles viel zu gefährlich, mahnt der Backpacker-Führer "Lonely Planet".

Robert Jacobi

In Mexiko City betrete ich die Backpackerszene. Dabei handelt es sich um Menschen zwischen zwanzig und dreißig. Sie kommen aus Israel, Deutschland, Schweiz, Australien, Dänemark oder den Niederlanden. Für einige Monate reisen sie im Bus durch Lateinamerika. Warum, wissen sie nicht genau. Wenn sie nicht im Bus schlafen, dann im Schlafsaal eines Hostels, das der Lonely Planet empfohlen hat.

(Foto: Grafik: Thiessat)

Das ist die moderne Art des Pauschaltourismus. Die Route ist festgelegt und führt zu genau den Orten, die im Reiseführer als sehenswert eingezeichnet sind. Die Hostels bieten Gruppenausflüge in die Gegend an. Das Risiko ist begrenzt. Der Kontakt mit Einheimischen auch. Manchmal schleicht sich ein älterer, alleinreisender Mann in die Hostels, der sich teuer hat scheiden lassen und die Welt sehen will.

Ich mache mit. Zu einsam bin ich im Ford durchs Land gefahren. Auf dem Sofa im Hostal Moneda in Mexiko City sitzen Sivan und Tali aus Tel Aviv. Sie überreden mich, die Tour zu den Pyramiden der Azteken in Tenochtitlan zu buchen. Die Tour kostet fünfundzwanzig Dollar. Fünf Mal mehr als das Bett im Schlafsaal. Und zehn Mal mehr, als mit dem Linienbus zu fahren. Aber ich freue mich.

Nach dem langen Tag mit Reifenpanne, Verfolgungsjagd und Tankbetrug habe ich im Bus über Guadalajara nach Mexiko City tief geschlafen. Am Terminal del Norte steige ich aus. Die Sonne scheint, und die Stadt ist freundlich. Niemand überfällt mich, es stinkt nicht und der Himmel ist blau. Sofort finde ich einen Bus in die Innenstadt. An Präsidentenpalast und Kathedrale vorbei komme ich zum Hostal.

Dort fülle ich die Wäschetrommel. Auf der Straße kaufe ich drei Tacos und einen Fruchtsalat. Dann schlafe ich wieder. Am Morgen sitze ich mit Sivan und Tali im Kleinbus. Vorne scherzt unser Führer. Hinten sitzen noch David aus Mexiko, Annaliese aus England, ein Amerikaner aus Boston, dessen Namen ich vergessen habe, und ein junges, scheinbar sehr verliebtes Paar aus Landshut.

Am Platz der Drei Kulturen erfahren wir, dass das Militär vor den Olympischen Spielen 1968 hier mehrere hundert Studenten erschossen hat. Am Schrein der Jungfrau von Guadelupe sehen wir kranke Menschen, die auf ihren Knien zur Wallfahrtsstätte rutschen. In einem Vorort zeigt uns ein Mexikaner, wie Tequila aus Agavensaft hergestellt wird. Wir betrinken uns. Ich kaufe eine Flasche.

Irgendwo in Mexiko City gibt es Slums. Die sehe ich als Backpacker nicht. Wir besteigen erst die kleine, dann die große Pyramide. Abends trinken wir auf der Dachterrasse des Hostels wieder Tequila. Ein Feuerwerk beginnt. Sivan geht schlafen. Israelis mögen Feuerwerk nicht. Der Barkeeper verbietet uns, den mitgebrachten Tequila zu trinken. Wir verstecken uns mit der Flasche auf einem Bett im Schlafsaal.

Backpacker gehen abends in Mexiko City nicht aus. Im Lonely Planet steht, dass es zu gefährlich ist. Der Verlag will nicht verklagt werden. Tagsüber nehme ich die Metro ins Künstlerviertel Coyoacan. Ich besuche das blaue Haus von Frida Kahlo und Diego Rivera. Danach das Haus von Leo Trotzki. Stalin hatte ihn verjagt. Kahlo schlief mit Trotzki. Rivera hat sich getrennt.

Bildstrecke
:Mexiko City bis Guatemala

Tief verwurzelt in Religion und jahrtausendealter Kultur geht das Leben in Mittelamerika seinen Gang.

In Trotzkis Haus steht der Schreibtisch, auf den sein Kopf fiel, nachdem ein sowjetischer Agent ihn mit einer Axt eingeschlagen hat. Ich fotografiere Trotzkis Bett und Trotzkis Toilette.

(Foto: N/A)

Zurück auf dem Zocalo, dem Platz vor der Kathedrale, will ich mir von zwei Männern in weißen Anzügen den Teufel austreiben lassen. Leider stehen schon zu viele Kunden an. Der Exorzist trinkt Coca-Cola.

Ein paar Meter weiter schreit ein Volkstribun in sein Mikrofon. Hinter ihm hängt ein Bild von Che Guevara. Erst vor ein paar Wochen haben hunderte Studenten den Platz fürs Militär geräumt. Die Parade zum Nationalfeiertag sollte geordnet ablaufen. Die Studenten unterstützen Andres Manuel Obrador. Die Präsidentschaftswahl hat Obrador verloren, will das aber nicht einsehen. Viele Demonstranten sind wieder da.

Ich reise mit David und Annaliese weiter. Unser nächstes Ziel ist Oaxaca. David unterrichtet an einem College in Texas. In Wirklichkeit ist er nicht Mexikaner, sondern Amerikaner mit mexikanischen Eltern. Einmal im Jahr reist er nach Mexiko, um seine Identität zu suchen. Annaliese ist zehn Jahre jünger und Köchin. Wir drei mögen uns. Abends lesen wir uns gegenseitig aus unseren Büchern vor.

Mexiko ist unregierbar. Ständig gibt es irgendwo Aufstände, viele Staaten wären gerne unabhängig, und den Indios geht es schlecht. Da wäre auch Gerhard Schroeder überfordert. Wir kommen nach Oaxaca, bevor die Bundespolizei einrückt und der Präsident seine Hubschrauber schickt. Längst aber stehen die Zelte der streikenden Lehrer. Barrikaden und kleine Feuer versperren die Strassen.

Sonst ist Oaxaca eine gemütliche Stadt. Wir besichtigen Ruinen. Dann mieten wir uns einen Käfer und fahren in die Berge nach Benito Juarez. Dort essen wir Forellen und schauen ins Tal.

Abends wird David unfreundlich und anstrengend. Er hat sich in Annaliese verliebt. Er versucht, zu zeigen, dass er der lässigere Mann ist. In Texas wartet seine Freundin. Sie ist beleidigt. David war verreist, ohne sie zu fragen.

Im nächsten Nachtbus stelle ich fest, dass es nicht schlecht ist, alleine zu reisen. Wir planschen im Pazifik. Die Strömung ist zu gefährlich, um zu schwimmen. Annaliese ist blond und schlank. David ist traurig. Abends entscheide ich mich, weiterzufahren. Annaliese muss nach Guatemala, um dort einen Sprachkurs anzufangen. Die Flüge nach Mexiko waren billiger. Ich muss auch nach Süden und nehme sie mit.

Die Grenze zwischen Mexiko und Guatemala ist verwirrend. Ich tausche die Pesos aus dem Verkauf meines Autos in Quetzals. Im Bus sitzen Mayas in bunten Kleidern. Es läuft laute Musik. Die Menschen lachen, weil der Gang für mich zu niedrig ist. Wir übernachten in Quetzaltenango. Nach dem Abendessen sagt mir Annaliese, dass sie nur als Freundin mit mir reisen will, nicht mehr.

Vorbei an Vulkanen fahren wir zum Lago de Atitlan. Die Menschen nennen die Gegend hier Alaska. Neben mir im alten amerikanischen Schulbus sitzt Emanuela Antonietta. Sie kommt aus einem Maya-Dorf in den Bergen. Ihr Vater arbeitet in New York, damit die Kinder irgendwann studieren können. Die jüngste Tochter der Familie ist ein Jahr alt. Der Vater hat sie noch nicht gesehen. Nächstes Jahr vielleicht.

In Antigua trinke ich mit Annaliese einige Biere. Wir küssen und umarmen uns. Dann setze ich sie bei ihrer Gastfamilie ab und gehe in mein Hotel.

Diplom-Journalist Robert Jacobi (29) arbeitete bei der Süddeutschen Zeitung als Wirtschaftsredakteur und Parlamentskorrespondent in Berlin. Durch seine journalistische Arbeit hat er bereits mehrere Preise gewonnen, unter anderem den Alexander-Rhomberg-Preis für deutsche Sprache, den Georg-von-Holtzbrinck-Preis für Wirtschaftspublizistik und den Arthur-F.-Burns Journalistenpreis des Auswärtigen Amtes. Nach seinem Harvard-Abschluss in Internationaler Wirtschaft hat er sich auf den Weg gemacht - von Alaska nach Chile.

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