Alpen:Da hört der Spaß nicht auf

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Die Alpen im Zeichen des Klimawandels: Gemeinden und Liftbetreiber arbeiten daran, aus den Bergen künstlich beschneite Spielplätze und Multifunktionsflächen zu machen.

Dominik Prantl

Vor einigen Tagen war noch einmal Protest angesagt. Ein paar Mitglieder der Grünen besuchten den Jenner, 1874 Meter hoch im Berchtesgadener Land, manche trugen Schnorchel und Taucherbrille.

Sep Daxenebrger und Mitglieder der Grünen protestieren auf dem Jenner. (Foto: Foto: Bündnis 90/Die Grünen Ortsverband Berchtesgadener Tal)

Sepp Daxenberger, der Fraktionsvorsitzende im Bayerischen Landtag, setzte sich auf etwa 1200 Metern im Geröll an einer Baustelle in einen Liegestuhl, um ihn herum standen leicht bekleidete Parteikollegen.

Es war eine Demonstration im Gewand einer Strandparty, aber letztlich ging es nicht mehr darum, die neue Beschneiungsanlage und den 48.500 Kubikmeter fassenden Speichersee zu verhindern. Dazu ist es ohnehin viel zu spät.

Es ging ums Prinzip, einen Wink mit dem Zaunpfahl und die übergeordnete Frage: Wie weit darf das Ökosystem Berg für wirtschaftliche Interessen genutzt werden, wo doch speziell in den Alpen die Auswirkungen des globalen Fiebers immer prekärer werden?

Michael Vogel war nicht auf der Beachparty, die unverhohlene Meinungsäußerung ist nicht die Welt des Leiters der Nationalparkverwaltung Berchtesgaden. Er sagt beispielsweise: "Wie ich persönlich zu der Sache stehe, sage ich Ihnen nicht."

Mit Sache meint er die neue Schneesicherheitsoffensive im Berchtesgadener Land, doch je länger man mit Vogel spricht, desto mehr sagt er, etwa: "Die Baustelle da oben hat mich etwas an die Bilder aus den 1940ern erinnert, als der Obersalzberg bombardiert wurde." Der Anblick habe ihn geschüttelt. Aber seine Aufgabe war klar: "Ich hatte darauf zu achten, dass jene Auflagen erfüllt werden, die von Gesetzes wegen bestehen." Da habe es anfangs zwar "geknirscht", doch letztlich seien die Auflagen sauber abgearbeitet worden.

Die Natur hat keine Anwälte

Demonstrieren, sauber abarbeiten, Knirschen verhindern. Das scheint derzeit die Rolle der Alpenschützer zu sein, die im besten Fall kleine Korrekturen vornehmen, aber selten große Vorhaben verhindern.

Sie leiden an dem fundamentalen Problem des Umweltschutzes, dass der Natur die Anwälte fehlen - oder zumindest verfügen sie in ihren Plädoyers kaum über Schlagwörter wie Anlagenoptimierung, Angebotserweiterung und Arbeitsplatzsicherung. Ihre Argumente heißen Biotoperhalt, Schutz der sensiblen Bergregionen, Landschaftsästhetik, und ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse sind nur mit Mühe in wirtschaftliche Kenngrößen umzuwandeln.

Erfahren Sie auf der nächsten Seite, wie mittels Beschneiung versucht wird, den multifunktionalen Berg zu schaffen.

Dagegen lassen sich mit dem Wettbewerbsdruck allerlei andere Bedenken bei Investitionen in die Mangel nehmen. Südtirol sei, so das Touristikercredo hierzulande, 20 Jahre voraus, was künstliche Beschneiung betrifft; in Österreich wird fusioniert, kooperiert und modernisiert.

Der überdimensionale Adlerhorst am Gschöllkopf im Rofan gehört zu einer Fahrgeschäft-Attraktion. (Foto: Foto: Dominik Prantl)

2050 könnte auf dem Watzmann kein Schnee mehr liegen

Im Betriebsjahr 2008 investierten die Seilbahnunternehmen Österreichs allein in die Modernisierung und den Neubau von Beschneiungsanlagen 203 Millionen Euro.

Da wirken die 4,1 Millionen der Berchtesgadener Bergbahn AG für die Beschneiung der Talabfahrt und Inbetriebnahme von 53 neuen Schneekanonen und -lanzen am Jenner zwar wie der - im Wortsinne - Tropfen auf dem heißen Stein.

Für ein Skigebiet dieser geringen Größe und in einer Lage zwischen 610 und 1800 Metern hält Vogel das ökologisch und ökonomisch für zumindest fragwürdig. "Es gibt Szenarien, wonach im Jahr 2050 selbst auf dem Watzmann kein Schnee mehr liegen bleibt. Da muss man im Hinterkopf behalten, ob sich die Investitionen lohnen", sagt Vogel. Dabei wolle nur ein kleiner Teil der Urlauber in der Region alpinen Skisport treiben.

Wertschöpfung auch im Winter

Wilfried Däuber sieht die Angelegenheit natürlich anders. Er vertritt als Betriebsleiter der Berchtesgadener Bergbahn AG schließlich die Gegenseite und spricht einen dieser Investorensätze: "Wir müssen die Wertschöpfung, die wir zusätzlich brauchen, im Winter kreieren. Denn da können wir noch expandieren", sagt er, und ist stolz, dass in den Wintermonaten inzwischen 30 Prozent des Jahresgeschäfts erwirtschaftet werden.

Früher seien es nur 20 Prozent gewesen. Bedenken lässt er nicht gelten. Er verweist auf den geringen Energieverbrauch ("braucht nicht mehr als ein öffentlicher Bus") und die günstige Inversionswetterlage. In den niederen Lagen schneie es sogar öfter. Auf der eigenen Internetseite teilen die Bergbahnen hingegen mit: "Im Schnitt konnten wir in den vergangenen Jahren nur mehr an rund 20 Tagen bis ins Tal mit den Skiern fahren."

Der multifunktionale Berg

Letztlich ist der Jenner auch nur das am kontroversesten diskutierte Beispiel im südöstlichsten Winkel Deutschlands. Günther Aloys, der als Radikalvisionär das Bergdorf Ischgl rigoros in einen Funpark verwandelte und als Schrittmacher des spaßorientierten Alpentourismus gilt, hat einmal gefordert, man müsse den "multifunktionalen Berg" schaffen.

Aus dieser Perspektive war es sicher ein guter Sommer. Auch weiter westlich wurde in der Nordkette der Alpen gebaut, wie am Garmischer Hausberg, wo die Gemeinde fleißig für die Alpine Ski-WM 2011 aufrüstet, oder am Fellhorn nahe Oberstdorf, wo auch ein Speichersee entstand. Die Bayern Tourismus Marketing GmbH hat für diesen Winter die Kampagne "Schneebayern" ins Leben rufen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie man mit avantgardistischer Bergarchitektur auf den Klimaschutz aufmerksam machen will.

Allerdings sitzen an den Schaltstellen des Alpentourismus längst nicht nur reine Profitdenker und engstirnige Wertschöpfungsknechte. Über Augustin Kröll, Geschäftsführer der Fellhornbahn, ist sogar von der Gegenseite Lob zu hören.

Und Kröll hält es wiederum für gut, dass "seitens des Umweltschutzes so lange auf das Thema Beschneiung geschaut wurde. Da hat sich auch viel am Bewusstsein geändert". Die Standards seien inzwischen sehr hoch, die Kritikpunkte Energiebedarf, Wasserverbrauch und Verschandelung der Hänge nur schwer haltbar.

Tatsächlich räumen inzwischen selbst Beschneiungsskeptiker ein, dass der Wasserbedarf in vielen Regionen nicht das Problem sei und kürzere Vegetationszeiten durch den Düngeeffekt kompensiert würden.

Der Speichersee soll eine touristische Attraktion werden

Was die Landschaftsästhetik betrifft, glaubt Kröll zudem wie Kollege Däuber, dass aus dem im Sommer noch hässlich gähnenden Erdloch zur Anlage des Speichersees bald eine touristische Attraktion werde. "In zwei Jahren wird keiner mehr erkennen, dass das kein natürlicher See ist."

Für eine positive Energiebilanz wirbt er mit dem Slogan: "Skifahren vor der Haustüre." Es sei doch besser, wenn die Energie nicht auf der Fahrt nach Frankreich oder Südtirol verschleudert werde. Und überhaupt: "Generell gibt es keine Alternative zum Skifahren und Beschneien."

Zudem sind Alternativen ebenfalls mit Eingriffen verbunden, denn die wachsende Bedeutung des Sommergeschäfts erweitert offenbar das Spektrum der Bauvorhaben in den Bergen. Krölls Bergbahnen haben an der Kanzelwand einen Klettersteig errichtet, weil "ein neuer Aufbruch durch die Jugend einfach zu spüren ist" - und dem Berg damit ein Stahlseil angelegt.

Auffällige Architektur wirbt für Klimaschutz

Andernorts wird mit avantgardistischer Bergarchitektur eben auf die sensible Bergwelt und den Klimaschutz aufmerksam gemacht. So ist an der Bergstation der Karwendelbahn ein umstrittenes, als Riesen-Fernrohr konzipiertes Naturinformationszentrum entstanden.

In der Eröffnungslaudatio sagte der ehemalige Ministerpräsident Günther Beckstein vor wenigen Monaten: "Es zeichnet Bayern aus, dass in der Umweltpolitik alle Kräfte zusammenarbeiten." Michael Pröttel, Vorsitzender der Alpenschutzorganisation Mountain Wilderness Deutschland, nennt das Projekt "gut gemeint und doch voll daneben".

Schlimmer findet Pröttel aber das, was im Rofangebirge, einer klassischen Sommerdestination, passierte. Dort ist vor knapp einem Jahr mit dem Airrofan ein volksfestähnliches Fahrgeschäft entstanden, das mit einem überdimensionalen Adlerhorst verbunden ist. "Damit wird der Wintertourismus in den Sommer transportiert", sagt Pröttel.

Der Betriebsleiter der Rofanseilbahn, Hermann Kirchner, spricht von einer "Ergänzung vor allem für junge Gäste". Aber nur an guten Tagen habe man die erhofften Gästezahlen übertroffen.

Wer letztlich wirklich über die Angebote entscheidet? Oben an der Bergstation des Rofan stand an einem der letzten schönen Herbsttage kürzlich eine Frau. Sie trug weder Taucherbrille noch Bikini, und demonstrieren wollte sie offensichtlich auch nicht. Irgendwie hat sie es unbewusst doch getan. Als sie an der Einstiegsstelle des Airrofan auf die Öffnungszeiten blickte, sagte sie: "Ah, es hätte sogar noch offen gehabt. Jetzt bin ich aber doch lieber gelaufen als mit dem Ding da gefahren."

Auf der nächsten Seite finden Sie allgemeine Informationen über die Investitionen in Beschneiungsanlagen, Pistenausbau und Speicherteiche in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Informationen

Beschneiungsanlagen, Pistenausbau, Speicherteiche - auch im Sommer 2008 sind in den deutschen Alpen Millionenbeträge aufgewendet worden.

In Garmisch-Partenkirchen, wo 2011 die Alpinen Ski-Weltmeisterschaften stattfinden, gibt es mittlerweile fünf beschneite Abfahrten - drei mehr als im Vorjahr.

Innerhalb von 70 Stunden können die Talabfahrten maschinell beschneit werden. Allein an der Kandahar-Abfahrt sind 23 Schneeerzeuger hinzugekommen. Die Pisten der beiden Talabfahrten am Hausberg sowie der Olympia-Abfahrt sind umgestaltet und ebenfalls mit Beschneiungsanlagen ausgestattet worden. Die Kosten der Investitionen belaufen sich insgesamt auf 23 Millionen Euro, wovon 15 Millionen von Bund und Land getragen werden.

In Oberstdorf und im Kleinwalsertal sind am Nebelhorn, am Fellhorn und am Heuberg insgesamt drei Beschneiungsanlagen für 13,4 Millionen Euro gebaut worden. Nächstes Jahr sollen für das Sommergeschäft im Bereich des Skigebiets etwa drei Millionen Euro in Naturerlebnispfade und die weitere Erschließung des "Bergs der Sinne", so der Marketingname des Walmendingerhorns, investiert werden.

Deutschland nimmt damit alpenweit keine Sonderstellung ein. In Österreich haben dieses Jahr 261 Seilbahnunternehmen insgesamt 557 Millionen Euro investiert, davon allein 203 Millionen in Beschneiung. Über 60 Prozent der österreichischen Pistenfläche können nach Angaben der Seilbahnen Österreichs beschneit werden.

Auch die Zusammenschließung von Skigebieten schreitet weiter voran. So wurden Matrei Goldried und Kals am Großglockner über Verbindungslifte inklusive neuem Bergrestaurant und Aussichtsplattform am Cimaross miteinander verbunden.

Auch die Schweizer Seilbahnbranche gab nach Angaben des Verbands dieses Jahr 264 Millionen Franken (etwa 178 Millionen Euro) für Pisten, Beschneiung, Snowparks aus - allerdings acht Millionen Franken (5,4 Millionen Euro) weniger als im Vorjahr.

In Italiens großem Skigebietsverbund - Dolomiti Superski - wurden allein 51 Millionen Euro in die Erneuerung und den Neubau von Liften investiert. Nahezu 100 Prozent der Pisten können dort bereits maschinell beschneit werden. mga

© SZ vom 06.11.2008/lpr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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