Ägypten:In Unterhosen zum Basar

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Im Terror geplagten Ägypten prallen verschiedene Welten aufeinander.

Hans Dieter Kley

Ende Juli 2005 wurden im Badeort Sharm el-Sheikh mehrere Bombenanschläge auf ein Hotel, ein Café und einen Basar verübt. Nach offiziellen Angaben wurden mindestens 64 Menschen, darunter ausländische Touristen, getötet und mehr als hundert verletzt.

Zusammenprall der Kulturen: zwei ganz unterschiedlich Badende. (Foto: Foto: AP)

Der Anschlagserie war eine Werbekampagne der Regierung vorausgegangen, die Ägypten als ein sicheres Reiseland dargestellt hatte. Im Jahr 2004 wurde die Rekordhöhe von sechs Millionen Besuchern erreicht.

Während die Regierung hoffte, die Besucherzahl im folgenden Jahr zu übertreffen, warnte die Egyptian Gazette vor potentiellen Attentätern im kaum kontrollierbaren Menschengewimmel auf Märkten, Bahnhöfen und an Haltestellen.

Reisebusse und Eselkarren

Dort ist man hautnah von zudringlichen Verkäufern, fliegenden Händlern, selbst ernannten Fremdenführern, von Bettlern und Taschendieben umgeben.

Allerorten bekommt der Fremde ein freundliches "Welcome to Egypt" zu hören. Umso stärker ist der Schock über neue Terrorakte. Dem Bombenanschlag im Kairoer Basar folgten nur drei Wochen später zwei weitere Attacken in der Hauptstadt, diesmal in der Nähe des Ägyptischen Museums und an der Zitadelle, einem anderen Touristenmagneten Kairos.

Jeden Tag finden sich hier Dutzende von Reisebussen ein, bewacht von Polizisten, Soldaten und zivilem Personal. Seit dem Massaker, das militante Islamisten 1997 im Tal der Könige bei Luxor verübten und das 62 Menschen das Leben kostete, wurden die Sicherheitsmaßnahmen stetig verstärkt.

Die Behörden konnten sogar einen "Erfolg" melden: Bei dem Anschlag an der Zitadelle wurden "nur" die Attentäter getötet; zwei von ihnen waren junge, verschleierte Frauen, die auf einen Touristenbus geschossen hatten.

Friedfertig, fremdenfreundlich, tolerant

Was bringt Menschen im ältesten Touristenland der Welt dazu, Anschläge auf ausländische Besucher zu verüben? Gelten nicht die Ägypter als friedfertig, fremdenfreundlich, tolerant gegenüber Andersdenkenden?

Von der Terrorgruppe Dama'a al-islamiya (Islamische Gemeinschaft) ist die Gewalttätigkeit immer mehr auf die von al-Qaida gesteuerte Terrororganisation Djihad (Heiliger Krieg) übergegangen. Viele ihrer Helfer kommen aus den Kreisen frustrierter Schulabsolventen, die keine Arbeit finden, ohne berufliche Perspektive in Cafés und Parkanlagen herumsitzen und sich als Gotteskrieger anwerben lassen.

Die islamischen Fundamentalisten sehen die Oberschicht und immer mehr auch die Jugend von westlicher Denk- und Lebensweise infiziert. Mit terroristischen Aktionen wollen sie die Regierung, der sie Verrat an den Bestimmungen des Koran vorwerfen, und die Auswüchse des Massentourismus bekämpfen. Unter ihren Opfern waren viel Unschuldige - vor allem deshalb haben die religiösen Fanatiker, wie ägyptische Gesprächspartner stets betonen, im Volk wenig Sympathie.

Es lässt sich allerdings nicht abstreiten, dass religiöse Tabus verletzt werden, wenn während der Gebetszeit bunt gekleidete, fotografierende Touristenscharen durch die in Alabaster und Lichterschmuck strahlende Mohammed-Ali-Moschee der Zitadelle ziehen, angeführt von ägyptischen Ciceronen, deren Garderobe aus Kairoer Modeboutiquen zu stammen scheint.

Von Wüstenstaub überpudertes Häusermeer

Ein Blick von der Zitadelle auf Kairo macht deutlich, dass Ägypten dem islamisch-arabischen Kulturkreis angehört. Aus dem riesigen, von Wüstenstaub überpuderten Häusermeer ragen unzählige Minarette, nur wenige Kirchtürme hervor.

Fünfmal täglich erschallen die Rufe des Muezzins. Nicht nur in den Moscheen, auch auf freien Plätzen versammeln sich Gläubige zum Gebet gen Mekka. Unter den westlich gekleideten Stadtbewohnern sieht man noch manche lang gewandete, langbärtige Gestalt, mit Turban oder Kufi auf dem Kopf. Und mehr als in früheren Jahren sieht man Frauen und Mädchen mit Kopftüchern, aber auch mit Mobiltelefonen am Ohr, in Sport- oder Stöckelschuhen.

Umm el-dunja (Mutter der Welt) nennen die Ägypter ihre Hauptstadt. Die 17-Millionen-Metropole platzt bald aus allen Nähten. In den letzten Jahrzehnten ihrer tausendjährigen Geschichte entwickelte sie sich zu einem der größten und problemreichsten Ballungsgebiete der Erde. Auf der Suche nach einem besseren Leben strömten Millionen von Fellachen in die Stadt.

In notdürftigen Behausungen, die auch als Viehställe und Abfallplätze dienen, an den Gartenmauern protziger Villen, in den Kuppelgräbern zwischen Mokattam und Heliopolis richteten sie sich ein, verpflanzten sie die bäuerliche Lebensweise in die Stadt.

Appelle zur Familienplanung kommen bei ihnen nicht an. Immer noch gilt die Großfamilie als die beste Altersversorgung. Sie leben von Hungerlöhnen, die für Bestechlichkeit geradeso empfänglich machen wie die erhöhten Lebensansprüche der Mittel- und Oberschicht. Hinzu kommt, dass Ägypten mehr Fachkräfte ausbildet als es beschäftigen kann.

Überall im Nahen und Mittleren Osten arbeiten Ägypter als Lehrer, Techniker und Ärzte. Die Geldüberweisungen aus dem Ausland sind neben dem Tourismus, dem Baumwollexport und den Suezkanalgebühren die wichtigste Devisenquelle Ägyptens. Derweil muss das hoch verschuldete Land von Jahr zu Jahr mehr Geld für die Einfuhr von Lebensmitteln und Industriegütern ausgeben.

Ersticken an Staub und Dreck

Die explosive Bevölkerungszunahme in diesem "Schwellenland" macht den Fortschritt zunichte. Auch Alexandria, die Sechs-Millionen-Stadt am Mittelmeer, hat bessere Zeiten gesehen; auch sie läuft Gefahr, an Staub und Dreck zu ersticken.

Aber auch in dieser traditionell weltoffenen Stadt begegnet der Besucher gastfreundlichen, lebensfrohen, hilfsbereiten Menschen mit Sinn für Komik und Humor. Offenbar nehmen viele Ägypter die Entwicklung mit Fatalismus hin. "Ma'lesch" sagen sie zu den Unzulänglichkeiten des Lebens, "mach dir nichts draus - Allah wird's fügen, Insch'allah".

Ägypther gelten alssprachbegabt, umwerben Touristen in Englisch, Deutsch, Französisch, Italienisch, sogar in Russisch. Doch es kursieren auch abfällige Bemerkungen in Arabisch über allzu freizügig gekleidete Ausländerinnen, über Männer in Shorts, mit langen Haaren, Zöpfen und anzüglichen Tätowierungen.

Touristen, die in Strandkleidung durch die Straßen bummeln, kommen den Einheimischen wie "Leute in Unterwäsche" vor. Tiefste Verachtung trifft alkoholisierte Fremde in der Öffentlichkeit und rauchende Frauen.

Rund neunzig Prozent der Ägypter bekennen sich zum sunnitischen Islam. Dass Touristen in Ägypten vor Diebstählen und Raubüberfällen im allgemeinen sicherer sind als in "fortgeschritteneren" Ländern, wird von Landeskennern auf die starke religiöse Bindung der Ägypter zurückgeführt.

In ihrer Mehrheit folgen sie den Geboten eines moderaten, gewaltfreien Islam. Für den ausländischen Besucher ist Ägypten ein preisgünstiges Reiseland, mehr auf den Normalverdiener eingestellt als auf den gehobenen Tourismus früherer Zeit.

Politik und Wirtschaft setzen auf den Massentourismus, sie versprechen sich von ihm wirtschaftliche Stabilisierung. Jede Störung geht an den Lebensnerv des Landes. In den Fremdenverkehrszentren zwischen Alexandria und Abu Simbel war nie ein größeres Aufgebot an Sicherheitskräften zu beobachten.

Vom Militär eskortiert

Mehr denn je sind Flughäfen, Bahnhöfe, Busparkplätze, Nilschiffe, Hotels, Museen und christliche Kirchen bewacht. Bei Straßenkontrollen werden Touristenfahrzeuge durchgewinkt, aber Linienbusse, Taxis, Pferdefuhrwerke und Eselkarren durchsucht. Auf vielen Touristenrouten fahren von Polizei und Militär eskortierte Konvois.

Viele Ägypter halten die devisenbringenden Touristen für vermögend. Kein Wunder, dass sich dem Fremden überall Bakschisch heischende Hände entgegenstrecken. Das "Welcome" der Händler, Taxifahrer, Kameltreiber mag dem Kundenfang dienen, sie setzen ihre Preise hoch an und erwarten, dass man sich auf den orientalischen Brauch des Feilschens einlässt.

Bei der Schnäppchenjagd wird oft vergessen, dass die günstigen Preise auf einem niedrigeren Lohnniveau beruhen. Vom Fremdenverkehr leben Millionen von Ägyptern, vom Hotelbesitzer bis zum Droschkenkutscher - und auch sie neigen dazu, den Terror zu verharmlosen; auch ihnen ist bewusst, dass vom Tourismus ihre Zukunft abhängt.

© SZ vom 1.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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