Abenteuer Arktis (13):Des Tourists Gespür für Schnee

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Aus hauptsächlich touristischen Gründen wird mitten in der Arktis eine "Station" errichtet. Was das wirklich bedeutet, wissen die meisten Gäste gar nicht.

Birgit Lutz-Temsch

Wer in die Arktis reist, muss vor allem anderen vor allem eines haben: Geld. Denn alles, was man in dieser extremen Region macht, kostet Geld, viel Geld. Die Gründe sind einfach: Die Distanzen sind weit, die Versorgung ist schwierig, und die Kälte macht alles, was nicht schon kompliziert ist, noch komplizierter. Über jeden Schritt in diesen Regionen muss doppelt, dreifach, und dann noch einmal von vorne nachgedacht werden.

Für eine Skitour heißt das zum Beispiel: Normales Plastik an Bindungen bricht, übliche Zeltstangen brechen, an normale Skischuhe ist nicht zu denken. Das alles sind Kinkerlitzchen. Aber dadurch sind die Probleme gut hochrechenbar, denen sich jemand gegenübersieht, der eine ganze Station im Eismeer errichten will, nicht weit entfernt vom Nordpol. Denn in der Arktis kann ein Fehler bei scheinbar nebensächlichen Dingen fatal sein.

In Longyearbyen auf Spitzbergen sitzen seit einer Woche Marathonläufer und Tourengeher fest. Der Plan ist: Alle werden zu der Drifteisstation Barneo geflogen, die jedes Jahr im arktischen Frühling errichtet wird. Von dort laufen die einen den nördlichsten Marathon der Welt, die anderen gehen mit Skiern zum Pol. Doch seit einer Woche gibt es Schwierigkeiten beim Bau der Landebahn.

Der Chef Barneos, Victor Boyarsky, erklärt bei den täglichen Informationstreffen wieder und wieder den Bau der Station. Und erst jetzt wird einigen Marathonläufern zumindest teilweise klar, welcher Aufwand da getrieben wird. Die meisten der Läufer kommen aus Großbritannien, Irland, einige aus Schweden. Auf den Lauf gestoßen sind fast alle im Internet.

Die Motivation der Läufer ist, einen Marathon zu absolvieren, der möglichst ungewöhnlich ist. Die wenigsten bringen weiteres Interesse für die arktische Region mit. Das bedeutet, dass den meisten die absolut lebensfeindlichen Bedingungen absolut unbekannt sind. Und so kommt es, dass Menschen, die kurz davor stehen, 1350 Kilometer weit ins Eismeer zu fliegen, fragen, ob sie nach dem Laufen duschen können. Im Ernst.

Boyarsky und Richard Donovan, der Organisator des Marathons, sind an solche Fragen gewöhnt. Donovan meint, dass die Art der Fragen, die Herangehensweise und die Erwartungshaltung der Gäste jedes Jahr schlimmer werden.

Als Boyarsky erklärt, dass der Traktor, der die Landebahn errichtet, nicht zurückgebracht, sondern auf dem Eis zurückgelassen wird, wie so vieles, aus dem das Camp besteht, wird es kurz still im Raum. Wenn das Eis schmilzt, versinkt das Camp weitgehend im Meer.

Warum die Sachen nicht zurückgeflogen werden, fragt einer. Und Boyarsky antwortet, weil das unmöglich, zu teuer, und den Aufwand nicht wert sei. Doch im Endeffekt interessiert das niemanden so richtig unter den Gästen. Denn es ist sind weder Zeichen des Widerspruchs, noch der Verwunderung, geschweige denn des Entsetzens zu vernehmen. Vielmehr interessiert, ob das Wasser im Versorgungszelt nicht frieren wird.

Eric Philipps ist einer der Führer, der eine Skifahrergruppe zum Pol führen wird. Den Aufwand, mit dem diese Unternehmungen möglich gemacht werden, findet er vertretbar. Dass außer den überlebensnotwendigen Informationen - heißt: welche Ausrüstung brauche und wie packe ich sie - nichts weiter über die Region vermittelt wird, ist für ihn unwichtig.

"Wir müssen diesen Trips keine theoretischen ökologischen Lehrstunden hinzufügen", sagt er. "In all den Jahren, in denen ich Touren zum Pol führe, hatte ich keinen Gast, der nicht verändert zurück kam. Jeder, der hier war, wird von der Schönheit und gleichzeitig der Grausamkeit dieses Lebensraums so ergriffen, dass er automatisch zu einem 'Botschafter' der Arktis und damit zu einem Gewinn für die Region wird. Was soll falsch daran sein?"

Falsch daran könnte sein, dass ein jeder, der hier ist, seine eigene Klimabilanz für ungefähr zehn Leben in ein unfassbares Ungleichgewicht bringt. Dass es schizophren ist, einerseits immer mit dem Fahrrad zum Supermarkt zu fahren und Energiesparlampen zu verwenden, und andererseits dann drei Privatflüge für die Reparatur eines Traktors am Nordpol zu unterstützen.

Einer der Tourengeher arbeitet für eine große Unternehmensberatung in der Sparte, die sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die Industrie weltweit beschäftigt. Er will genau das für Boyarsky tun: Ausrechnen, wieviel Dreck bei dieser Unternehmung pro Kopf in die Atmosphäre geblasen wird.

Um herauszufinden, wieviele Klima-Aktien jeder kaufen müsste, um das wieder auszugleichen - wenn man davon überhaupt reden kann. Das Ergebnis wird interessant. Der weitere Plan sieht vor, dass wir morgen ins Eis fliegen.

sueddeutsche.de hat eine Reporterin ins Eis geschickt. In unregelmäßigen Abständen gibt es hier Frisches aus dem Norden.

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