Zensus in den Achtzigern:Der Widerspenstigen Zählung

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Aufstieg, Fall und Wiederauferstehung des Datenschutzes: Warum die Volkszählung in den achtziger Jahren so ein Aufreger war - und was daraus wurde.

Heribert Prantl

Die Computerisierung der Staatsbehörden hatte gerade begonnen, als 1982 das Volkszählungs-Gesetz beschlossen wurde. Viele Leuten hatten Angst vor diesem Gesetz, vor dem "Menschen im Computer", vor dem "gläsernen Bürger". Bürgerinitiativen wurden gegründet und rebellisch, die Grünen, damals noch nicht im Bundestag, liefen Sturm, Datenschützer und Computerfachleute warnten vor dem Missbrauch der Informationen; Boykottaufrufe wurden plakatiert und von Theaterbühnen verkündet.

Jeder Bürger sollte gefragt werden nach Namen, Anschrift, Geschlecht, Geburtstag, Familienstand, Religion, Staatsangehörigkeit, nach den Quellen des Lebensunterhalts, nach Beruf, Ausbildung, der Arbeitsstelle, dem Weg dorthin, nach Arbeitszeit und nach Art, Größe, Ausstattung, Alter der Wohnung sowie Höhe der Miete. Die Kritiker sahen die Orwellschen Visionen totalitärer Überwachungssysteme Wirklichkeit werden.

Aber die Regierung Schmidt gab nicht nach, und die Regierung Kohl genauso wenig: Die Volkszählung sollte am 27. April 1983 stattfinden, Punkt und aus, denn 100 Millionen Mark seien zur Vorbereitung dieses Tages schon ausgegeben worden, erklärte Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann, CSU.

Zwei Hamburger Anwältinnen, Maja Stadler-Euler und Gisela Wild, wagten den in diesem Fall nicht ganz einfachen Weg zum Bundesverfassungsgericht. Sie legten Verfassungsbeschwerde ein, am 5. März 1983, die sie auf 18 Seiten penibel begründeten. Der politische Gegendruck war heftig, er kam sogar von den Grünen, weil deren linker Flügel den "Volkszorn" wollte und nicht eine juristische Korrektur innerhalb des Systems.

Mit der Faust auf den Tisch

Von tausend Verfassungsbeschwerden hat höchstens eine Erfolg; die Sache schien ziemlich aussichtslos zu sein. Aber das "Wunder", wie es der Berliner Rechtslehrer Uwe Wesel nannte, geschah drei Wochen später: Das Gericht lud zur mündlichen Verhandlung, die Volkszählung wurde, zwei Wochen vor dem Stichtag, ausgesetzt; im Dezember kam die endgültige Entscheidung - mit noch einer Sensation: Die Richter formulierten ein neues Grundrecht, das "Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung". Das Verfahren wurde so zu einem der größten Erfolge der bundesdeutschen Anwaltschaft.

Das Gericht ließ die Formulare für die Volkszählung in den Reißwolf werfen. Und die Sätze aus dem Urteil vom 15. Dezember 1983 schlugen wie mit der Faust auf den Tisch von Bundesinnenminister Zimmermann. Die Richter wandten sich gegen eine Gesellschaftsordnung, "in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß".

Der Bürger soll, so hieß es, nicht befürchten müssen, dass "abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet und weitergegeben werden dürfen". Konkret: Wer damit rechne, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder Bürgerinitiative behördlich registriert werde und wer fürchte, dass ihm dadurch Risiken entstehen könnten, verzichte möglicherweise "auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte".

Das Grundgesetz, so die Verfassungsrichter, schütze deshalb im Zeitalter der "modernen Datenverarbeitung" den einzelnen Bürger "gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten". Die Volkszählung dürfe nur unter Beachtung strikter Auflagen durchgeführt werden. Zwei Jahre später beschloss der Bundestag ein neues Gesetz zur Volkszählung. Es war besser, sah mehr Bürgerschutz vor.

Später Sieg für Zimmermann

Zehn Jahre später freilich hatte der Datenschutz seine Kraft verloren. In der Politik der inneren Sicherheit kursierte das Schlagwort "Datenschutz ist Täterschutz". Ein Jahrzehnt nach dem Volkszählungsurteil war es so, dass sich in der öffentlichen Debatte erst einmal entschuldigen musste, wer über die Gefährdung der Privatsphäre reden wollte - und dann zunächst folgendes Bekenntnis ablegen musste: "Ich bin gegen übertriebenen Datenschutz, bin auch kein Maschinenstürmer, will dem Fortschritt von Technik und Wissenschaft nicht im Weg stehen, nicht den Staat künstlich dumm machen und die Verbrechensbekämpfung nicht behindern...".

Datenschutz wurde beinah zu etwas Unanständigem für unanständige Leute. Es war ein später Sieg von Minister Zimmermann.

Das beginnt sich erst jüngst wieder zu drehen. Im Zusammenhang mit Vorratsdatenspeicherung aller Kommunikationsdaten und der geplanten Online-Durchsuchung erwachen neue Sensibilitäten.

Und vor einigen Wochen, im Urteil zu den Konto-Stammdaten, hat das Bundesverfassungsgericht angekündigt, einer staatlichen Datenschnüffelei Grenzen zu setzen. Der Datenschutz steht offenbar vor seiner Wiederauferstehung.

© SZ vom 21.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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