Zeitgeschichte:Razzien und Trümmer

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Ein Briefroman über die Edelweißpiraten in Köln, der den Überlebensmut der Mitglieder dieser jugendlichen Widerstandsgruppe zeigt.

Von RALF HUSEMANN

Helden sind schwer zu fassen. Nach einer älteren Definition haben sie "durch tapfere Thaten Ruhm erlanget und sich über den gemeinen Stand derer Menschen erhoben". Sie bleiben damit nicht als Individuen im Gedächtnis, sondern allein wegen ihrer Taten, ihrer Heldentaten eben.

Diese Begriffe sind inzwischen anrüchig, zu sehr wurden sie missbraucht. Heute spricht man lieber nüchterner von "Vorbildern", was aber an ihrer Herausgehobenheit nichts ändert. Das gilt inzwischen sogar für Gruppen junger Leute, die in der Nazizeit und auch noch lange in der Bundesrepublik als kriminelle Herumtreiber und unmoralische Drückeberger galten. Wegen Wehrkraftzersetzung oder "Defätismus" wurden viele "Edelweißpiraten" in der NS-Zeit verfolgt, gefoltert, in Strafbataillone gesteckt, in Lagern und Zuchthäusern ermordet oder sogar zur Abschreckung öffentlich hingerichtet. Die jungen Leute, die aus der sogenannten Bündischen Jugend hervorgingen, widersetzten sich der autoritären nationalsozialistischen Hitlerjugend, feierten auf Wanderungen und am Lagerfeuer in kurzen Lederhosen mit frechen Liedern ihre Unabhängigkeit und opponierten mit Flugblättern und Parolen auf Hauswänden gegen den Naziterror und die Kriegsgräuel.

Das ist inzwischen bekannt, mehrere Bücher, ein Film und ein Theaterstück haben die Edelweißpiraten längst rehabilitiert.

Dem Schriftsteller und Drehbuchautor Frank Maria Reifenberg ging es deshalb nicht primär darum, noch einmal die Heldentaten dieser Gruppen zu würdigen, sondern sie als ganz "normale" junge Menschen vorzustellen, die sich verlieben, sich prügeln und auch viele Fehler machen. Er wählte dafür die inzwischen rar gewordene Form des Briefromans, um, wie er selbst sagt, den (fiktiven) Freundinnen Lene und Rosi, ihren Freunden und ihren (mit ihnen oft über Kreuz liegenden) Geschwistern "eine Stimme aus ihrem jeweiligen Alltag und ganz privaten Erleben heraus zu geben". Er stützt sich aber dabei auf den Stand der aktuellen Forschung, vor allem des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln.

1942 spielt dort die Geschichte, als die Domstadt durch Bombenangriffe dem Erdboden gleichgemacht wurde. Doch selbst in den Trümmern, trotz aller Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, trotz Razzien und Verhaftungen gab es hier immer wieder Überlebensmut und in dem totalen Überwachungsstaat gewagte und deshalb auch selbstzerstörerische Korrespondenzen. Sie gibt der Autor einfühlsam, trotz aller Schrecknisse immer wieder auch mit Humor und ganz und gar unheroisch wider.

(ab 14 Jahre)

Frank Maria Reifenberg : Wo die Freiheit wächst. Ars Edition, München 2019. 379 Seiten, 15 Euro.

© SZ vom 30.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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