Zeitgeschichte:Gemeinsam gegen den Feind

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Ein Sammelband renommierter Historiker beleuchtet die Tragweite des Antikommunismus.

Von Werner Bührer

Norbert Frei, Dominik Rigoll (Hg): Der Antikommunismus in seiner Epoche. Weltanschauung und Politik in Deutschland, Europa und den USA. Wallstein-Verlag, Göttingen 2017. 267 Seiten, 15 Euro. E-Book: 11,99 Euro. (Foto: Verlag)

Während zur Geschichte des Kommunismus zahlreiche, wissenschaftlichen Standards genügende Gesamtdarstellungen vorliegen, fehlen entsprechende Studien zu seinem ideologischen Widerpart bislang. Das ist erstaunlich, stimmen die Autoren und Autorinnen dieses Sammelbandes doch darin überein, dass der Antikommunismus über Jahrzehnte eine beträchtliche "Wirkungsmacht" entfalten konnte. In seiner Einleitung definiert der Tübinger Historiker Anselm Doering-Manteuffel den Antikommunismus als eine "weltanschaulich begründete Haltung", die "einerseits von Angst getragen und von Bedrohungsgefühlen bestimmt ist und die andererseits mit Ängsten spielt und Bedrohungen beschwört. Sie zielt darauf, den Zusammenhalt der eigenen Gesellschaft zu stärken und eine Wertegemeinschaft gegen den gemeinsamen Feind zu beschwören".

Über die Anfänge des Antikommunismus gehen die Ansichten jedoch auseinander: Einige Autoren lassen seine Geschichte mit der Gründung des "Bundes der Kommunisten" 1848 oder der Pariser Kommune 1871 beginnen; die meisten plädieren indes dafür, die Oktoberrevolution von 1917 als Ausgangspunkt zu begreifen. Seither durchlief der Antikommunismus verschiedene Phasen. Für den deutschen Fall unterscheidet Doering-Manteuffel vier: die Zeit changierender Feindbilder in den Zwanziger- und frühen Dreißigerjahren; die von Hitler propagierte "Ausrottung des Kommunismus"; die "Aufspaltung" des Antikommunismus in eine deutsch-nationale, intellektuell "primitive" Spielart und eine "kulturell anspruchsvolle", westlich-internationale Variante; schließlich die "ideologische Erschöpfung im Zuge der Entspannungspolitik". Im Laufe dieser Entwicklung musste sich der Antikommunismus von historischem Ballast befreien, das galt insbesondere für den Antisemitismus, der in den Zwanziger- und Dreißigerjahren eng mit ihm verzahnt gewesen war. Der "jüdische Bolschewismus" wurde nicht nur im NS-Staat zu einem "zentralen Ideologem" (Michael Wildt), sondern etwa auch im Polen und Ungarn der Zwischenkriegszeit. Das "Überschreiben" der antisemitischen Komponenten (Axel Schildt) war deshalb eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sich der westdeutsche Antikommunismus nach 1945 in die Front zur "Verteidigung des Abendlandes gegen den Bolschewismus" einreihen konnte.

Aber ist der Antikommunismus tatsächlich Geschichte? Die Studien zu Spanien und Polen legen einen anderen Schluss nahe. So kommt Stefanie Schüler-Springorum zu dem Fazit, das "antikommunistische Erbe" belaste die spanische Demokratie bis heute. Auch die untersuchten Praktiken der Konstruktion und Propagierung von Feindbildern muten überaus aktuell an. Viele Gründe also, dieses wichtige Buch zu lesen.

© SZ vom 22.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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