Wohnungsbau:Einfach enteignen

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Eine Berliner Initiative will Wohnungen großer Konzerne vergemeinschaften. Die radikale Forderung erfährt angesichts steigender Mieten viel Zuspruch. Vor allem aber ist das Volksbegehren ein Misstrauensvotum gegen die rot-rot-grüne Landesregierung.

Von Jens Bisky

Die Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen - Spekulation bekämpfen" wird nicht lange brauchen, um die erforderlichen 20 000 Unterschriften für die erste Stufe des Berliner Volksbegehrens einzusammeln. Schon am Montag dürften sie beisammen sein, und die Stimmung in der Stadt lässt vermuten, dass auch die folgenden Schritte erfolgreich sein werden. Es geht darum, alle Unternehmen mit Gewinnerzielungsabsicht, die mehr als 3 000 Wohnungen in ihrem Bestand haben, zu vergesellschaften. Die Initiatoren berufen sich auf den Paragrafen 15 des Grundgesetzes, der allerdings noch nie zur Anwendung kam. Er schreibt eine Entschädigung vor.

Die Enteignung schaffe, heißt es unentwegt, keine einzige neue Wohnung. Das stimmt, aber es gilt auch, dass kaum bezahlbare Wohnungen für die vielen entstehen, wenn man die großen Wohnungsunternehmen weiter gewähren lässt wie bisher. Keine der Schutzmaßnahmen, ob Mietpreisbremse, Milieuschutzgebiete oder Vorkaufsrechte, hat die Wohnungskrise entschärft: Die Mieten steigen in Berlin schneller als in jeder anderen europäischen Großstadt. 86 Prozent der 1,9 Millionen Wohnungen sind Mietwohnungen, in der Hälfte davon sitzt die Sorge um die Miethöhe täglich mit am Tisch.

Deswegen erfährt die Initiative mit ihren radikalen Forderungen so viel Zuspruch. Gegen sie wird ideologisch argumentiert oder mit Aufforderungen, sich weiter zu gedulden. Doch droht, sollte das Volksbegehren Erfolg haben, gewiss kein Sozialismus à la DDR, auch kein Ende des Bauens. Der Wunsch nach starken kommunalen Wohnungsunternehmen, die niedrige Mieten und Mitbestimmung ermöglichen, ist weder sittenwidrig noch marktwirtschaftsfeindlich. Allerdings würde ein Vergesellschaftungsgesetz, sofern es vor Gericht besteht, auf Jahrzehnte viele Kräfte binden.

Die Berliner Initiative ist vor allem ein Misstrauensvotum gegen die Landesregierung

Der Senat rechnet mit Entschädigungen um die 30 Milliarden Euro - das entspräche einem Jahreshaushalt. Die Aktivisten kalkulieren mit geringeren Summen und einer Rückzahlung der Kredite aus den Mieteinnahmen. Aber zwei oder vier Milliarden Euro Eigenkapital wären notwendig, und eine Finanzierung über 45 Jahre ist nicht ohne Risiko. Ob die verheißenen, segensreichen Wirkungen eintreten und nach der Vergesellschaftung der Wohnungsmarkt sich für alle deutlich entspannt, kann derzeit keiner bestimmt sagen. Auf jeden Fall wird die wachsende Stadt zusätzlich erschwingliche Wohnungen bauen müssen.

Das Volksbegehren richtet sich gegen Deutsche Wohnen & Co. Es ist aber vor allem ein Misstrauensvotum gegen die rot-rot-grüne Landesregierung. Die Linke unterstützt das Begehren, als wolle sie vom zurückhaltenden, alle enttäuschenden Agieren ihrer Stadtentwicklungssenatorin ablenken. Einige Grüne begrüßen die Enteignungsdrohung als "scharfes Schwert", die Partei wird im Mai über ihre Haltung beraten. Die SPD diskutiert noch, ihr Regierender Bürgermeister ist gegen die Enteignung, ohne zu verraten, was er gegen Wohnungsnot und Mietenwahnsinn unternehmen will. Die Deutsche Wohnen gibt sich gelassen, man vertraue dem Rechtsstaat, heißt es. Die Berliner dagegen haben allen Grund, unruhig zu werden. Seit Jahren schwelen die Probleme, seit Monaten wird über Enteignung diskutiert. Der Senat bestellt Rechtsgutachten und agiert, als verwalte er Berlin nur, statt es zu regieren.

© SZ vom 05.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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