Wirtschaft:Der Staat gibt alles

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Die Bundesregierung hilft der Wirtschaft mit einem beispiellosen Rettungspaket. Sie muss nun dafür sorgen, dass das Geld zielgenau verteilt wird, und nur dort, wo es wirklich gebraucht wird.

Von Cerstin Gammelin

Die Bundesregierung geht bei der Bekämpfung der Corona-Epidemie in die Vollen. Schon an diesem Montag will das Bundeskabinett staatliche Hilfen in Höhe von zunächst 756 Milliarden Euro auf den Weg bringen, um die wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Folgen der Restriktionen zu mildern, die erlassen worden sind, um die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus zu verlangsamen. Damit legt die Koalition aus CDU, CSU und SPD ein Rettungspaket auf, das es so noch nie gegeben hat; weder in dieser Dimension, noch in dieser Geschwindigkeit.

Es ist eine gute Nachricht, dass die Koalition nicht wartet, sondern handelt. Das schafft Vertrauen in einer Situation, von der niemand weiß, wie dramatisch sie schon in ein paar Tagen sein kann. Die Kehrseite ist freilich, dass das rigorose Handeln auch zeigt, dass die Regierung mit dem Schlimmsten rechnet. Diese Mischung aus Ungewissheit, Verantwortungsgefühl und dem Wissen um einen gut gefüllten Haushalt erklärt, wieso sich CDU, CSU und SPD binnen Stunden darauf einigen konnten, die bisher zum Fetisch erhobenen Haushaltsziele aufzugeben. War da mal was mit der schwarzen Null? Schon die Erwähnung klingt wie ein Relikt aus lange zurück liegenden Zeiten.

Die Regierung springt mit viel Geld ein. Später muss sie auch von den Gewinnen profitieren

Noch schwerer wiegt freilich, dass sich die Bundesregierung in der nächsten Woche die Erlaubnis vom Bundestag holen will unbegrenzt Schulden machen zu dürfen. Die Koalition will die Notfallklausel der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse aktivieren, um gerüstet zu sein für den Ernstfall. Dieser träte etwa ein, wenn weitere Milliarden gebraucht würden, aber die parlamentarischen Gremien nicht mehr handlungsfähig wären, weil der Bundestag wegen zu hoher Infektionszahlen nicht mehr zusammenkommen könnte. Um den Staat handlungsfähig zu halten, soll deshalb in der nächsten Woche die Vollmacht zum Schuldenmachen erteilt werden. Das ist richtig.

Die Bundesregierung steht mit dieser Vollmacht aber auch umso mehr in der Pflicht. Sie muss dafür sorgen, dass das Geld zielgenau verteilt wird, und nur dort, wo es wirklich gebraucht wird. Dass kein Bedürftiger vergessen, aber auch nicht doppelt kassiert wird. Das ist noch lange nicht geschafft. Der Abstimmungsbedarf mit den Ländern, die eigene Programme aufgelegt haben, ist immens. Schlecht ist auch, dass am Wochenende der Eindruck entstand, der Überblick über die verschiedenen Hilfen gehe verloren. Hier gilt: Ja, bitte schnell. Aber keine Panik.

Selbst wenn es der Bund ist, der jetzt neue Schulden macht - es ist das Geld der Steuerzahler, das jetzt in großem Stil verteilt wird. Ja, die Regierung organisiert die staatliche Hilfe. Aber es sind die Bürger und Steuerzahler, die sich solidarisch zeigen. Es darf also nicht wieder vorkommen, dass Steuerzahler jetzt die Verluste schultern, aber nach der Krise, wenn die Wirtschaft anzieht, die Gewinne privatisiert werden. Die Versprechen aus der Finanzkrise sind nicht vergessen.

Die Beschlüsse der vergangenen Tage legen nahe, dass die Koalition sich an dieses Versprechen wenigstens teilweise erinnert. Fünfzig Milliarden Euro soll es an Zuschüssen für Kleinstunternehmer und Solo-Selbständige geben; der Zugang zur Grundsicherung wird erleichtert. Richtig ist, dass der Staat sich an strauchelnden Großunternehmen beteiligt. Trotzdem ist Vorsicht geboten: Wenn der Staat jetzt als Retter willkommen ist, muss er auch später von Gewinnen profitieren. Offen ist dagegen, ob das unbegrenzte Kreditprogramm für Unternehmen tatsächlich Unternehmen hilft - oder doch wieder Banken. Die Kreditgarantien des Bundes gelten nämlich gegenüber den Banken; die Unternehmen, die nichts mehr produzieren oder verkaufen können, haften wie üblich selbst. Wenn es der Bund nicht auf eine Pleitewelle ankommen lassen will, muss er hier nachbessern.

Gut ist, dass er das auch kann. Wenn es eine wirklich beruhigende Nachricht in dieser tragischen Epidemie gibt, dann die, dass die Bundesrepublik finanziell so gut gerüstet ist für Hilfen wie kaum ein anderes Land. Die Schuldenquote liegt unterhalb des europäisch erlaubten Limits, neue Schulden sind seit fünf Jahren nicht mehr gemacht worden. Deutsche Staatsanleihen sind so begehrt, dass der Bund noch Geld dazu bekommt, wenn er sich welches leiht. Wenn Bundesfinanzminister Olaf Scholz also wie geplant mehr als 350 Milliarden Euro neue Schulden macht, kann er das zum Nulltarif tun.

Ganz anders sieht das in Italien aus. Die Regierung in Rom muss gerade nicht nur mit unvorstellbarem Leid in der Bevölkerung fertig werden, sondern auch damit, dass die Schulden für sie immer teurer werden. Das schnürt dem Land gleich von zwei Seiten die Kehle zu. Nein, es ist jetzt in Rom überhaupt nicht die richtige Zeit, um über Schuldenberge nachzudenken. Aber es ist der richtige Zeitpunkt für die Bundesregierung, den Italienern zu signalisieren, dass sie auch in Sachen Solidarität in die Vollen gehen wird.

© SZ vom 23.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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