Wirecard:Vorwärts in die Vergangenheit

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Der Finanzminister und potenzielle Kanzlerkandidat Olaf Scholz will im Fall Wirecard den Blick nach vorne richten - seine Kritiker blicken lieber zurück, manche ziemlich weit.

Von Nico Fried, Berlin

Vier Stunden lang musste sich Olaf Scholz befragen lassen. Peter Altmaier entließ der Finanzausschuss des Bundestages am Mittwochabend schon nach 90 Minuten. Ob die Dauer des jeweiligen Auftritts im angemessenen Verhältnis zu Versäumnissen der beiden Minister im Wirecard-Skandal steht, muss die weitere Aufklärung noch zeigen. Durchaus passend ist die zeitliche Differenz aber zu der Tatsache, dass der Finanzminister und potenzielle Kanzlerkandidat der SPD politisch weit mehr zu verlieren hat als sein Kollege Wirtschaftsminister von der CDU.

Der Obmann der FDP im Finanzausschuss, Florian Toncar, äußerte nach der Sitzung die Vermutung, Scholz' Wunsch, Kanzlerkandidat zu werden, führe dazu, dass er die Aufklärung eines Missstandes in seinem Verantwortungsbereich so schnell wie möglich abhaken wolle. Tatsächlich ließ Scholz am Mittwoch keine Gelegenheit aus, seine Sicht der Dinge zu präsentieren: Dem ZDF stand er sowohl in aller Frühe im Morgenmagazin, als auch am Abend im Heute-Journal Rede und Antwort. Und auch die ARD-Tagesthemen durften ihn noch interviewen. Allenthalben bemühte er sich darum, das Augenmerk darauf zu lenken, was nun gesetzgeberisch notwendig sei, um Fälle wie Wirecard künftig zu verhindern. Doch konnte er damit nicht verhindern, dass immer wieder die Frage gestellt wurde, wie es überhaupt zu diesem Skandal kommen konnte.

Nach den Linken und der AfD neigt nun auch die FDP bei der Klärung dieser Frage immer stärker zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Daran führe "eigentlich kein Weg mehr vorbei", sagte Fraktionsvize Christian Dürr. Er erwarte, dass nicht nur Scholz und Altmaier als Zeugen geladen werden, "sondern auch die Bundeskanzlerin". Auch Linken-Finanzexperte Fabio De Masi hält den Untersuchungsausschuss für nötig, weil sich "das Kanzleramt weiterhin wegduckt". Dass die FDP sich trotzdem nicht endgültig festlegt, dürfte damit zu tun haben, dass die Grünen noch zögern. Deren Obfrau im Finanzausschuss, Lisa Paus, ließ immer wieder durchblicken, dass viele Fragen auch der Finanzausschuss klären könne - und das ohne den Zeitverzug, den die Vorbereitung eines Untersuchungsausschusses verursache. Auch Paus ist an der Rolle des Kanzleramtes interessiert, will zu deren Klärung aber zunächst Angela Merkels wirtschaftspolitischen Berater Lars-Hendrik Röller befragen. Sollten die Grünen nicht mitziehen, müsste die FDP den Untersuchungsausschuss mit den Stimmen von Linken und AfD einsetzen.

Mit in den Urlaub nahm Scholz allerdings auch die Erkenntnis, dass seine Kanzlerkandidatur in der SPD selbst noch heftige Diskussionen auszulösen vermag: Auf Twitter verbreitete sich unter dem Hashtag #NOlaf eine Kampagne mit Blick auf seine Rolle bei Wirecard, aber auch auf seine Zeit als SPD-Generalsekretär während der Agenda-Reformen von Gerhard Schröder. Den Ursprung der Kampagne verortete selbst die Parteispitze offenbar in den eigenen Reihen, weshalb SPD-Chefin Saskia Esken das Ende der Schmähungen forderte. Auch wenn man nicht immer einer Meinung sei, müsse man als Sozialdemokraten zusammenstehen, so Esken. "Und Olaf Scholz ist einer von uns."

© SZ vom 31.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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