Widersprüchlicher Programmentwurf:Die losen Blätter der CDU

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Die CDU will mit ihrem neuen Grundsatzprogramm wieder attraktiver für eine breite Wählerschaft werden. Der Entwurf dazu enthält zwar beachtliche Sprünge in die Moderne, aus einem Guss ist er aber nicht.

Jens Schneider

Am Anfang stand ein Schock. Es war ein Schock, der seinerzeit die ganze CDU getroffen hat. Für die Parteivorsitzende Angela Merkel ist daraus ein Trauma geworden, das ihre Politik prägt und an das sie die Weggefährten erinnert, wenn ein forscher Reformer dem Wähler ganz schnell sehr viel zumuten möchte. Dann reicht der Parteichefin ein kurzer Hinweis auf den Abend des 18. September 2005, als sie die sichergeglaubte Kanzlerschaft beinahe noch an die SPD verlor.

Damals schenkte die Union den vermuteten uneinholbaren Vorsprung her, weil sie sich im Gefühl des sicheren Sieges nicht um Ängste der Wähler scherte, sondern freimütig die Grausamkeiten ankündigte, die nach einem Wahlsieg der Union zu erwarten wären - und sich um soziale Sicherheit nicht kümmerte.

Nur wer dieses Trauma der Kanzlerin im Blick behält, kann ihre Politik verstehen - sei es in ihrem Wirken als Chefin des Bundeskabinetts oder als Parteivorsitzende der CDU. Nie wieder will sie zu weit vorpreschen. Nie wieder den Fehler begehen, die Sorgen der Bürger vor lauter Reformeifer beiseite zu wischen.

Kind des Schocks

Als hätte es die energische Reformerin des Leipziger Parteitags nie gegeben, hat Merkel für sich entdeckt, dass sie in ihrem ganzen Leben immer eine Person des Ausgleichs gewesen ist. Dieser Wandel wird langjährige Merkel-Beobachter in ihrem Eindruck bestätigen, dass sie gern biegsam ihre persönliche Geschichte im Lichte neuer Erkenntnisse für sich umdeutet. Dennoch ist das ein Zeichen politischer Lernfähigkeit. Nur darf diese nicht dazu führen, dass die Ziele nebulös werden - wie es Merkel zu oft passiert.

Als Kanzlerin hält sie sich stets auffallend lange im Hintergrund, wenn es um scharfe Schnitte oder weitreichende Reformen wie den Ausbau der Krippenbetreuung geht. In diesem Geiste der Zurückhaltung ist auch der Entwurf des neuen Grundsatzprogramms der CDU entstanden.

Es ist ein Kind des Schocks vom September 2005. Mit der Arbeit daran wurde begonnen, um eine belastende Diskussion über Fehler des Wahlkampfs zu vermeiden. Merkel überließ es vor allem Generalsekretär Ronald Pofalla und Familienministerin Ursula von der Leyen, die Modernisierung in der Familienpolitik zu forcieren, die ihre CDU braucht, um für Großstädter und junge Frauen wieder attraktiv zu werden.

Tatsächlich enthält das Programm beachtliche Sprünge in die Moderne, die vor zehn Jahren für die CDU unvorstellbar waren - beim Familienbild, bei der Umweltpolitik und bei der Integration von Zuwanderern. Doch ist dabei keine klare, mutige und konsistente Definition einer modernen bürgerlichen Partei herausgekommen. Es ist kein Entwurf aus einem Guss.

Statt dessen stehen Signale des Modernen und Verbeugungen vor der Parteitradition und ihren Flügeln unvermittelt nebeneinander. Das Streben, jetzt bloß nicht wieder Anhänger unter den Konservativen zu verprellen, hat ein Werk ohne klare Überschrift produziert. Alle werden bedient. Der Symbolbegriff von der ,,Leitkultur'' steht beziehungslos im Text - als ob es nur darum ginge, dem Programm-Macher Pofalla eine Argumentationshilfe in den eigenen konservativen Reihen zu geben.

Die Parteiführung weiß eben nicht, wie sehr sie dem eingeschlagenen Kurs trauen will. Gewiss, auf den ersten Blick sind die CDU und Merkel gemessen an den Umfragen in einer guten Lage. Doch noch immer ist die CDU fern von dem Ziel, das der Generalsekretär zur Maßgabe gemacht hat: wieder bundesweit über 40 Prozent zu kommen. Und die Strategen müssen fürchten, dass ihre neue Familienpolitik letztlich mehr konservative Wähler irritiert als moderne anzieht; dass sie zwar Sympathien in Schichten einbringt, die nicht traditionell CDU wählen, aber nicht deren Stimmen.

Ähnlich heikel, aber noch entscheidender für eine Renaissance als echte Volkspartei ist der Versuch der Wiederannäherung an jene Wähler, die fürchten, das sie von der wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt werden. Sie haben sich bei der Bundestagswahl massiv von der kalt erscheinenden Partei abgewandt.

Begrenzt heilsamer Schock

Hier geht es nicht nur um Langzeitarbeitslose, sondern um jene Mittelschicht, deren Arbeitsplätze vor zwanzig Jahren als lebenslang sicher erschienen und es jetzt nicht mehr sind. Für sie war Merkels von Bundespräsident Köhler entlehnter Slogan, wonach wir alle so viel besser werden müssen, wie wir teurer sein wollen, keine Verheißung und keine Ermutigung - sondern Ausdruck einer Bedrohung. Wie sollten sie das schaffen?

Nun hat man daraus ein wenig gelernt. Im Programm wird der Begriff der sozialen Sicherheit sehr prominent eingeführt. Es taucht ein Bekenntnis gegen sittenwidrige Löhne auf, auch die Forderung nach einer längeren Zahlung des Arbeitslosengeldes I.

Aber auch hier steht all das wie in einer Lose-Blatt-Sammlung neben Forderungen zur Flexibilisierung beim Kündigungsschutz oder betrieblichen Bündnissen. Der fatale Wahlkampf 2005 ist einfach um eine soziale Komponente ergänzt worden. Wenn die CDU aber Arbeiter und Arbeitslose wieder erreichen will, sind Bekenntnisse nach allen Seiten nicht genug. Der Wahlschock vom September 2005 hat also bislang nur eine begrenzt heilsame Wirkung entfaltet.

© SZ vom 09.05.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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