WHO:Virus-Notstand als Politikum

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Hausgemachter Virenschutz: Ein Mädchen in China benutzt dafür eine Plastikflasche. (Foto: Kevin Frayer/Getty Images)

Die Weltgesundheits­organisation stellt fest: Die Entscheidung, wegen des Coronavirus eine "gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite" auszurufen, sei kein Misstrauensvotum gegen China.

Von Lea Deuber, Peking

Fast vier Wochen nach Bekanntwerden des Ausbruches des neuen Coronavirus in China hat die Weltgesundheitsorganisation WHO die Epidemie zu einer "gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite" erklärt. Zweimal schob die WHO diesen Schritt in der vergangenen Woche auf. Inzwischen liegt die Zahl der Infizierten bei fast 10 000. Mindestens 213 Menschen starben. In allen Metropolen, Provinzen und Regionen des Landes gibt es jetzt Krankheitsfälle.

Auch im Ausland steigt die Zahl der Infizierten. Betroffen sind unter anderem die ostasiatischen Länder, Australien, die USA und Europa. Die USA erklären am Freitagabend eine öffentliche Notlage und verbieten die Einreise von ausländischen Personen, von denen eine Ansteckungsgefahr ausgehen könnte. In Deutschland war die Zahl der Erkrankten bis Freitagabend auf sieben gestiegen. An diesem Samstag sollen 130 Menschen mit einem Flieger der Luftwaffe aus der isolierten Stadt Wuhan nach Deutschland gebracht werden.

Mit der Erklärung eines globalen Gesundheitsnotstands haben die mehr als 190 WHO-Mitgliedsländer diese Woche nun begonnen, ihr Krisenmanagement zu koordinieren. Staaten mit einem schlechten Gesundheitssystem kann in den kommenden Wochen gezielter geholfen werden. Außerdem soll die Arbeit an Medikamenten und Impfstoffen vorangehen.

Sieben Mal hat die Organisation in den vergangenen 15 Jahren solche Maßnahmen ergriffen. Die Entscheidung sei kein Misstrauensvotum gegenüber China, stellte der Chef der Gesundheitsorganisation, Tedros Adhanom Ghebreyesus, am Donnerstag gleich zweimal klar. Genau die Angst vor diesem Eindruck dürfte aber ein Grund gewesen sein, warum die WHO so lange gezögert hat. Zuletzt unterstützte die Staatengemeinschaft beim Ausbruch des Ebola-Virus Kongo; beim Zika-Virus ging es um eine koordinierte Erforschung der bis dato unbekannten Krankheit in Lateinamerika. Das sind alles Weltregionen, in denen China zuletzt selbst immer stärker als politische Macht und als Helfer aufgetreten ist. Aus Pekings Sicht dürfte der internationale Eingriff als eine politische Schmach gesehen werden.

Mit der Erklärung der Notlage muss China einen Teil seiner Kompetenzen an die WHO abtreten. Die Entscheidung wird der heimischen Wirtschaft schaden, die bereits durch die Zwangspause in den vergangenen Wochen deutlich unter Druck geraten ist. Mehr Länder dürften in den kommenden Tagen Reise- und Handelsbeschränkungen verhängen.

Peking reagiert empfindlich auf Einmischung von außen. Für die Weltgesundheitsorganisation ist der Kontakt mit der Regierung deshalb heikel. Selbst wurde sie 2009 dafür kritisiert, dass sie bei der Schweinegrippe den Notstand zu früh ausgerufen hatte, 2014 bei Ebola zu spät. Nun muss sie sich bemühen, China nicht zu verärgern. Die WHO ist in der jetzigen Situation darauf angewiesen, dass die chinesischen Behörden weiterhin Informationen weitergeben und über den Stand des Ausbruchs informieren. Theoretisch dürfte die WHO sogar verlangen, dass das Land innerhalb vorgeschriebener Fristen Auskunft gibt über seine bisherigen Maßnahmen im Kampf gegen den Virus.

Bisher scheint sich die Organisation aber vor allem um einen diplomatischen Ton zu bemühen. Obwohl die Behörden anscheinend wochenlang versucht haben, den Ausbruch zu vertuschen, sprach WHO-Chef Ghebreyesus diese Woche über die angeblich beeindruckenden chinesischen Gegenmaßnahmen. Die Tatsache, dass es bislang nur so wenige Fälle im Ausland gebe, sei den rigorosen Maßnahmen der Behörden zu verdanken.

Trotz der wachsenden Kritik wurde die Entscheidung am Donnerstag auch ohne das Beisein Taiwans getroffen. Seit 2016 verhindert Peking aus politischen Gründen, dass Vertreter der chinesischen Demokratie an den jährlichen Sitzungen der WHO teilnehmen können. Eine Million Menschen des Inselstaats vor der chinesischen Küste leben temporär in der Volksrepublik. Viele von ihnen reisen jedes Jahr fürs Neujahrsfest zurück.

© SZ vom 01.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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