Wende in der Europa-Politik Londons:Tony Blair setzt die EU-Verfassung aufs Spiel

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Entgegen seiner bisherigen Haltung will Blair voraussichtlich am Mittwoch ein Referendum über die europäische Verfassung ankündigen. Angesichts der äußerst europakritischen Einstellung der meisten Briten wird ein negatives Votum erwartet. Eine Ablehnung in einem EU-Mitgliedsland würde das Aus für die Verfassung der gesamten EU bedeuten.

Von Christoph Schwennicke und Alexander Hagelüken

Mit einer Befragung der europakritischen Briten gäbe Blair dem Druck der Opposition und der Boulevardpresse nach. Die Konservativen unter Michael Howard fordern seit langem kategorisch einen Volksentscheid.

Für den Fall eines Sieges der Tories bei der Unterhauswahl - voraussichtlich im nächsten Frühjahr - hat Howard sogar festgelegt, dass es Nach-Verhandlungen über eine schon beschlossene Verfassung geben werde. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die EU-Staaten doch noch auf eine Verfassung einigen, ist unter der irischen Ratspräsidentschaft enorm gestiegen.

Zumal der Regierungswechsel in Spanien, das bisher gemeinsam mit Polen blockierte, eine Einigung bis Ende Juni hat wahrscheinlicher werden lassen. Diese veränderten Kräfteverhältnisse in der EU haben in Großbritannien eine heftige Debatte ausgelöst.

Zuletzt hatte London eine positive Haltung in der Verfassungsfrage erkennen lassen. Das Grundgesetz, mit dem die Entscheidungsprozesse in einer auf 25 Staaten erweiterten Union vereinfacht werden sollen, ist besonders in England umstritten. Kritiker befürchten eine Machtverlagerung nach Brüssel.

Riskantes Unterfangen

Ein EU-Referendum ist für die britische Regierung gerade im Moment ein riskantes Unterfangen. Die Ost-Erweiterung, die schlechten Wirtschaftsdaten der Euro-Länder, namentlich Deutschlands und Frankreichs, und die Verfassungsdebatte haben eine selbst für britische Verhältnisse sehr europafeindliche Stimmung aufkommen lassen.

Die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für die Abstimmung hat Blairs Berater in den letzten Tagen umgetrieben. Nach Zeitungsberichten wird der Premier den Termin zunächst offen lassen. Als wahrscheinlich gilt, dass das Referendum unmittelbar nach der Wahl im kommenden Frühjahr stattfinden wird. Damit wäre allerdings schon die Wahl selbst eine vorweggenommene Abstimmung über die Verfassung. Im Fall einer Ablehnung wird auch in der Labour-Partei davon ausgegangen, dass Blair zurücktreten müsste.

Der Meinungsumschwung Blairs könnte kaum krasser sein. Noch im Oktober vergangenen Jahres, beim ersten Anlauf für eine europäische Verfassung, hatte der Premier öffentlich gesagt: "Es wird kein Referendum geben, weil die Verfassung die Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU nicht grundsätzlich verändert."

Am Wochenende ließ dann eine Formulierung des Regierungschefs aufhorchen. In einem Radiointerview sagte er mit Bezug auf Labours Europa-Politik: "Unsere Politik hat sich nicht geändert, und wenn sich irgendetwas ändern sollte, werden wir es sagen."

Deutlicher wurde Blairs Vize John Prescott. Er sagte der BBC, der Premierminister sei offen für die Argumente eines Referendums und fügte hinzu: "Wir werden das Volk konsultieren, wo wir es für gerechtfertigt und notwendig erachten."

Der Europa-Parlamentarier Elmar Brok (CDU) kritisierte die Pläne, statt das Parlament nun das Volk entscheiden zu lassen. Blair begebe sich "aus Angst vor der eigenen Partei" auf einen Weg, der die Verfassung gefährde. "Ich fürchte, das Referendum geht verloren." Der SPD-Abgeordnete Klaus Hänsch nannte das Vorgehen riskant.

"Die Volksabstimmung könnte die jahrzehntelange Zwitterstellung der Briten beenden, rechtlich in der EU zu sein, mental aber draußen". Der britische Liberale Graham Watson rief Blair dazu auf, den Briten bei der Volksabstimmung "die einzige ehrliche Frage zu stellen: Unterstützen wir die Verfassung oder zieht sich Großbritannien aus der EU zurück, wenn die anderen Staaten weitermachen? Denn das ist die Wahl, vor der wir stehen".

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