Wechselmodell:Mehr Platz, mehr Kleider, zwei Paar Stiefel

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Familienexpertin Franziska Brantner, Bundestagsfraktion der Grünen, fordert von Eltern Kompromisse, wenn sie ihr Kind im Wechsel betreuen wollen.

Interview von Ulrike Heidenreich, München

Jede Familie ist verschieden, jede Trennung reißt andere Wunden bei den Partnern auf. Für die Kinder ist das Auseinandergehen einer Familie immer schmerzhaft. Das Bundesfamilienministerium hat vor zwei Jahren eine Studie mit dem Titel "Kindeswohl und Umgangsrecht" in Auftrag gegeben. Untersucht wird seitdem intensiv, wie sich verschiedene Betreuungsmodelle auf das Wohl des Kindes auswirken. Die familienpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Franziska Brantner, begleitet diese Arbeit im parteiübergreifenden Wissenschaftlichen Beirat. Im Fokus steht hier besonders das Wechselmodell, das zum Beispiel einen wöchentlichen Wechsel des Kindes zwischen Mutter und Vater vorsieht.

SZ: Wie weit ist die Arbeit des Beirats gediehen? Haben Sie schon eine Gesetzesvorlage in der Schublade?

Brantner: Die Sitzungen verlaufen sehr kontrovers, die politische Debatte geht ja währenddessen weiter. Die SPD will nun, dass es zu Gesetzesänderungen zugunsten des Wechselmodells kommt. Ich finde es anmaßend und dirigistisch zu bestimmen, welches Modell nach einer Trennung für die Eltern und ihre Kinder passend ist. Das wird der Vielfalt der Familienrealitäten und auch dem Kindeswohl nicht gerecht. Ich finde es richtig, dass bis jetzt kein Modell im Gesetz steht, das favorisiert oder verboten wird - und das sollte auch so bleiben. Es sind die Gerichte, die den Anspruch durchzusetzen haben, dass das Kindeswohl im Mittelpunkt steht - und nicht wir Parlamentarier in Berlin.

Mal bei Mama, mal bei Papa: Die abwechselnde Kinderbetreuung nach einer Trennung kann prinzipiell auch gerichtlich angeordnet werden. (Foto: Andreas Gebert/dpa)

Laut Bundesgerichtshof kann das sogenannte Wechselmodell, die Fifty- fifty- Kinderbetreuung, für getrennt lebende Eltern gerichtlich angeordnet werden.

Wenn Eltern nicht miteinander kommunizieren können, dann kann ein wöchentlicher Wechsel für das Kind zum Horror werden. Man muss wirklich genau hinschauen, ob das für die Kinder passend ist - und welche Voraussetzungen Eltern erfüllen müssen, um ein Wechselmodell leisten zu können. Wenn man sich im Alltag tage- oder wochenweise abwechselt, ist mehr Kommunikation zwischen den Eltern notwendig. Damit es für die Kinder rund läuft, wenn man über Hausaufgaben reden muss oder über den Sportbeutel, da sind zig Sachen zu koordinieren. Wesentlich stärker muss künftig die Mediation in Trennungsverfahren forciert werden. Die Verweigerungshaltung von Eltern darf nicht mehr einfach akzeptiert werden.

Wie wollen Sie denn Eltern zwingen, gemeinsam zur Beratung zu gehen? Wenn sie sich eh schon spinnefeind sind?

Mediation setzt darauf, dass Eltern gemeinsame Lösungen finden. Die Bereitschaft, sich auf Beratung einzulassen, sollte also berücksichtigt werden - wenn es möglicherweise vor Gericht darum geht zu beurteilen, ob Eltern das Wechselmodell im Interesse des Kindes gemeinsam hinbekommen.

Ist das nicht auch anmaßend? Darf dann eine unkooperative Mutter oder ein Vater die Kinder seltener sehen - oder muss mehr zahlen?

Franziska Brantner, 37, ist familienpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion. Seit 2013 gehört sie dem Bundestag an, zuvor war die Politikwissenschaftlerin aus Heidelberg Abgeordnete im Europaparlament. (Foto: imago/Metodi Popow)

Nein, aber wer ein Wechselmodell will, von dem kann der Gesetzgeber erwarten, dass er oder sie sich nicht einer Mediation verweigert. Wer das tut, zeigt keine Kompromissbereitschaft. Der fehlende Wille könnte bei Streitfällen dann ausschlaggebend sein.

Alleinerziehende und Familienanwälte kritisieren ja auch, dass das Wechselmodell das Unterhaltsrecht ausheble.

Ja, in der Debatte gibt es einerseits immer den Vorwurf, dass Väter das Wechselmodell vorschlagen, wenn sie keinen Unterhalt zahlen wollen. Aber es gibt auch jene Väter, die heute schon mehr Verantwortung übernehmen. Wenn das nicht genau hälftig ist, hat das wenig Auswirkungen auf den Unterhalt. Das empfinden viele dann als nicht fair.

Wie lässt sich das ändern?

Die Debatte über das Umgangsrecht hängt mit dem Unterhaltsrecht zusammen, Letzteres muss reformiert werden für eine gerechte Aufteilung. Auch eine Aufrechnung von 30 zu 70 Prozent Betreuung gegen Unterhalt muss möglich sein. So starr darf das nicht bleiben. Wenn ein Kind wirklich an zwei Orten lebt, benötigt es mehr Platz, mehr Kleider, zwei Paar Regenstiefel, alles doppelt. Das ist anders, als wenn es nur am Wochenende oder tageweise da ist. Das muss man finanziell ausgleichen.

Wer sollte das tun?

Gerade Familien im Hartz-IV-Bezug brauchen einen Umgangsmehrbedarf - von Seiten des Staates. De facto muss es für den Vater oder die Mutter für zusätzliche Tage bei der Sorge zusätzliches Geld geben. Jeden Tag, den das Kind beim Vater ist, wird das Sozialgeld derzeit bei der Mutter gekürzt. Auch wenn es nur neun Euro am Tag sind: Wenn das Kind vier, fünf Tage beim Vater ist, ist das durchaus relevant. Die Milch muss man trotzdem frisch kaufen, auch wenn die in der Zeit, in der das Kind nicht da ist, nicht leer getrunken wird. Gerade in armen Familien wird dann sehr viel gestritten, da geht es um das finanzielle Auskommen. Es kann nicht sein, dass Väter sagen: Wenn ich nicht das Wechselmodell bekomme, kann ich mir das Leben nicht mehr leisten. Oder dass Mütter diese Arrangements verhindern, weil sie den kompletten Unterhalt dringend brauchen.

© SZ vom 13.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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