Warten auf Asyl:Voll verplant

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Allein in den Nürnberger Flüchtlingsheimen leben 4000 Menschen, die ihren Asylantrag noch nicht stellen konnten. Dazu bräuchten sie zunächst einmal einen Termin beim Bundesamt.

Von Jan Bielicki, Nürnberg

Eigentlich hat Olaf Kuch beste Verbindungen ins Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Mit der Straßenbahn-Linie 8 ist der Leiter des Nürnberger Melde- und Ausländeramtes in einer guten Viertelstunde in der ehemaligen SS-Kaserne im Süden der Stadt, in der die Bundesbehörde, kurz Bamf genannt, untergebracht ist. In der täglichen Amtspraxis funktionieren die Verbindungen nicht so reibungslos. Wenn das Bundesamt etwa Daten von Flüchtlingen an die städtische Ausländerbehörde übermittelt, geschieht das fast wie zu vordigitalen Zeiten - per Fax. "Wir müssen das dann alles erst wieder in unsere Computer einscannen", erzählt Kuch.

Und das ist noch eines der kleineren Probleme, die der städtische Amtschef mit der nahen Bundesbehörde hat. Viel schlimmer ist für ihn, was eben nicht aus der Fax-Leitung kommt: "Das Bamf entscheidet nichts", klagt Kuch. Allein in den Nürnberger Flüchtlingsheimen leben knapp 4000 Menschen, die Asyl beantragt haben - und noch mal so viele, die ihren Antrag noch gar nicht stellen konnten. Das nämlich darf nur, wer einen Termin in einer der Außenstellen des Bundesamtes bekommt. Doch diese Termine gibt es nicht, jedenfalls nicht auf absehbare Zeit. Aufgrund des "sehr hohen Zugangs der letzten Monate konnten Termine zur Antragstellung teilweise nur mit Verzögerung vergeben werden", lässt das Amt mitteilen. Daher habe man sich dazu entschlossen, "zunächst Termine nur für drei Monate zu vergeben". Die freilich sind meist längst verplant, und darum müssen viele Flüchtlinge lange warten auf den amtlichen Brief mit dem Datum, an dem sie ihren Antrag auf Asyl stellen dürfen. Und sie wissen nicht einmal, wie lange.

Das Ende ihrer Reise ist der Anfang ihres Wartens: Flüchtlinge bitten in Berlin um Nummern, um sich registrieren zu können. (Foto: Odd Andersen/AFP)

Auch die Behörde scheint den Überblick verloren zu haben. Auf durchschnittlich 5,2 Monate habe sich die Bearbeitungsdauer eines Asylantrags im dritten Quartal 2015 verringert, melden zwar die Bamf-Statistiken erstaunlich präzise. Doch diese Zahl, gemessen von der Antragstellung bis zur Entscheidung, verkündet nur die halbe Wahrheit. Wie lange es davor dauert, bis ein Flüchtling nach Ankunft und Registrierung endlich sein Asylgesuch abgeben kann, wird gar nicht erst erfasst. Einen Anhaltspunkt bietet allein die wachsende Kluft zwischen den Zahlen der Ankömmlinge und der tatsächlich abgebenen Asylanträge. 760 000 Flüchtlinge wurden im laufenden Jahr bis Ende Oktober registriert (inzwischen sind es weit mehr als 900 000), doch nur 360 000 Asylanträge hat das Bamf im selben Zeitraum entgegengenommen. Gleichzeitig stapeln sich 330 000 unerledigte Verfahren auf den Schreibtischen des Amtes.

"Die Lage ist nicht gut", sagte der neue Amtsleiter Frank-Jürgen Weise bei einem seiner seltenen öffentlichen Auftritte in der Nürnberger Bamf-Zentrale, "wer etwas anderes sagt, der träumt." Von "gruseligen" Arbeitsabläufen sprach er. Über die klagt auch der städtische Behördenleiter Kuch, dessen Amt Flüchtlingen die Aufenthaltstitel ausstellt: Bis zu fünfmal würden Ankömmlinge registriert - "und dreimal ist der Name verschieden geschrieben".

Bundesamtschef Weise setzt vor allem einen raschen Ausbau und die Digitalisierung des Amtes. Inzwischen kommen den 465 Asylentscheidern weitere 600 Mitarbeitern aus anderen Behörden zu Hilfe, gerade auch aus der ebenfalls von Weise geleiteten Bundesagentur für Arbeit. Sie werden im Schnellverfahren ausgebildet, in neuen Entscheidungszentren Asylanträge zu bearbeiten, die in vereinfachten Verfahren abgewickelt werden. Gerade dadurch, dass das Amt seit November 2014 bei Asylsuchenden aus Syrien auf Anhörungen verzichtet, hat sich für diese das Verfahren auf knappe vier Monate verkürzt. Künftig soll es nach dem Willen der Innenminister aus Bund und Ländern aber auch für Syrer wieder Einzelfallprüfungen geben. Das dauert sehr viel länger - bei den wenigen Syrern, die sich einer Anhörung stellen müssen, derzeit fast sieben Monate, bei Afghanen gar dreimal so lange.

Aussicht auf schnelle Besserung kann auch Weise nicht bieten. Im Augenblick würden höchstens die Hälfte der eigentlich notwendigen Asylentscheidungen getroffen, teilte er den am Freitag in Koblenz versammelten Innenministern mit. Zwar sollen 2016 bereits 1700 Entscheider die Masse der Anträge bewältigen, doch frühestens im April sei das neue Personal ausreichend eingearbeitet. Eine genauere Prognose lieferte der Behördenchef nicht - zum Unmut seiner Zuhörer: Die Darlegung sei "weitestgehend enttäuschend und in manchen Teilen sogar erschreckend" gewesen, mäkelte Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD).

Auch bei öffentlichen Auftritten verbreitet Weise eher vagen Manager-Optimismus: "Jetzt arbeiten wir daran und dann werden wir gut sein." Für Olaf Kuch klingt das nur halb wie ein Versprechen. Denn wenn das Bundesamt erst einmal hunderttausendfach entscheiden sollte, geht es für Städte wie Nürnberg erst richtig los. Anerkannte Flüchtlinge integrieren, mit allem, was an Bürokratie dazugehört, abgelehnte Asylbewerber abschieben, und das tausendfach: "Manchmal", sagt Kuch, "wird mir himmelangst".

© SZ vom 05.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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