Walter Scheel wird 90:Der Bundespräsident aus der Hitparade

Lesezeit: 3 min

Ein begeisterter Sänger, ein fröhlicher Herr, ein knallharter Politiker: dem Liberalen Walter Scheel zum 90. Geburtstag.

Heribert Prantl

Johannes Heesters hat seinerzeit den "Grafen von Luxemburg" auf der Bühne des Deutschen Theaters glänzend gespielt. Walter Scheel hat ihn auf der Bühne der damaligen Bundeshauptstadt Bonn glänzend gelebt: als großartiger Unterhalter, als Anekdoten-Erzähler von hohen Graden, als Ausbund an Lebensfreude - und als gewiefter, gerissener, eisenharter FDP-Politiker. Seine Fröhlichkeit war so echt, dass seine politischen Freunde und Feinde seine Härte oft gar nicht oder jedenfalls zu spät bemerkten.

Der frühere FDP-Chef, Außenminister und Bundespräsident Walter Scheel wird 90. Das Foto aus dem Jahr 2006 zeigt ihn mit seiner Frau Barbara. (Foto: Foto: dpa)

Auf diese Weise brachte er mehrere Bundesregierungen zu Fall, auf diese Weise stieß er einst, nach der Spiegel-Affäre, Franz Josef Strauß vom Bonner Ministersessel; auf diese Weise beendete er die schwarz-gelbe Koalition unter Ludwig Erhard; es passt zum perlenden Ruf von Scheel, dass er Erhards Regierung scheitern ließ, als sie (unter anderem) die Sektsteuer erhöhen wollte.

Sein politisches Meisterstück war es, wie er der sozial-liberalen Koalition unter Kanzler Willy Brandt und der neuen Ostpolitik den Weg bereitete. Er war hierbei der Dritte im Bunde von Brandt und Egon Bahr; er vertrat als Außenminister die politischen Schachzüge, die Bahr ersonnen hatte. "Liberal sein bedeutet", so sagt er in seinem Buch "Erinnerungen und Einsichten" (im Gespräch mit dem Journalisten Jürgen Engert), "immer auch offen sein für Veränderungen." Er selbst bezeichnete es als den wichtigsten Erfolg in seinem Amt als FDP-Vorsitzender, dass er 1969, am Abend vor der Wahl des Bundespräsidenten, bei den Wahlmännern und Wahlfrauen seiner Partei den SPD-Politiker Gustav Heinemann durchsetzen konnte.

Vierzig Jahre ist dieser Coup jetzt her: Erst wurde der Bundespräsident, dann der Bundestag, dann der neue Kanzler Brandt gewählt. Die Wahl Heinemanns mit den Stimmen der FDP war, wie Heinemann es dann formulierte, "ein Stück Machtwechsel". Scheel selbst folgte Heinemann dann als Bundespräsident nach.

Der Politiker Scheel hielt es für seine Schuldigkeit, stets gut gelaunt aufzutreten, er hielt das für die Pflicht aller Repräsentanten einer Demokratie. Die Krankheiten, die ihn sein Leben lang plagten, verbarg er als seine Privatsache; er war und ist ein Mann von altrömischer Selbstdisziplin. Die liebenswürdige Jovialität des Politikers Scheel war nie eine Maske, sie war echt. Wer Scheel heute begegnet, sieht und spürt das sofort: Aus dem schmal gewordenen, zerfältelten Gesicht strahlt innere Heiterkeit. Aber diese Heiterkeit war immer nur die eine Seite dieses großen Politikers. Es hat nicht den einen, sondern zwei Walter Scheel gegeben: den fröhlichen Sänger Walter und den knallharten FDP-Politiker.

Er ist der erste und bisher einzige Bundespräsident, der sich in die Schlager-Hitparaden sang: Für den fröhlichen Walter war es keine Marketing-Aktion, als er mit dem Düsseldorfer Männergesangsverein "Hoch auf dem gelben Wagen" schmetterte. So ist er einfach, das gehört zu ihm. Deshalb wurde er stets für einen Rheinländer gehalten, der er gar nicht ist; er stammt aus dem Bergischen Land, sein Vater war Stellmacher in Solingen. Laute Lustbarkeiten liebte Scheel allerdings nie: "Wenn auf den Tischen getanzt wird, gilt für mich nur eines: die Flucht", hat er einmal gestanden.

Der andere, der zweite Scheel war ein unglaublich zielstrebiger, selbstbeherrschter Politiker, der seinen Weg mit eiserner Härte gehen konnte - ein Praktiker der Macht; er konnte Konfrontationen auf die Spitze treiben, um dann, zu guter Letzt, zu einem Kompromiss zu kommen, der für ihn und die FDP viel günstiger ausfiel, als das am Beginn des Konflikts zu erwarten gewesen war. Scheel war kein Theoretiker, er hatte aber, wie später Helmut Kohl, die Gabe, hervorragende Leute um sich zu versammeln; diese lieferten ihm das theoretische Rüstzeug, das erfolgreiche Politik braucht; der kürzlich verstorbene Ralf Dahrendorf gehörte zu ihnen, er war Scheels Staatssekretär im Auswärtigen Amt.

Als Scheel seinen sechzigsten Geburtstag feierte, lag das Amt des Bundespräsidenten, der er von 1974 bis 1979 war, hinter ihm. Eine zweite Amtszeit hat er nicht angestrebt. Er wäre auf einige Stimmen aus der Union angewiesen gewesen; die waren ihm zwar von Kohl versprochen worden, aber er mochte das nicht. Aus seinem langen Ruhestand, der schon so lang ist wie seine Zeit als aktiver Politiker, hat Scheel dann ein glückliches neues Leben gemacht - gefüllt mit Ehrenpräsidentschaften, aus denen er sich in den vergangenen Jahren zurückgezogen hat.

Vielleicht ist die Berliner Politik von heute auch deswegen so traurig, weil kaum einer der Politiker mehr die Lebensfreude ausstrahlt, die dieser Walter Scheel mit neunzig Jahren noch hat. Heute feiert er seinen 90. Geburtstag in Bad Krozingen, nahe der Schweizer Grenze, wo er das Glück seiner späten Jahre gefunden hat.

© SZ vom 08.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Walter Scheel
:Mister Bundesrepublik wird 90

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: