Walden Pond:Stilles Sehnsuchts-Örtchen

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Der Philosoph Thoreau machte den See in Massachusetts einst berühmt, nun leidet er unter den Bedürfnissen der Badegäste.

Von Kathrin Werner

Als der Philosoph Henry David Thoreau 1845 am Ufer eines beschaulichen Waldsees in Massachusetts über "das eigentliche, wirkliche Leben" sinnierte, meinte er diesen profanen Teil des Lebens wohl nicht: Menschen müssen mal. Doch genau dies ist ein Problem am Walden Pond, seit die Massen zu dem literarischen Sehnsuchtsort pilgern. Dies alarmierte nun sogar Wissenschaftler des New Yorker Paul Smith's College. Hört auf, in den Teich zu pieseln, fordern sie in einer Studie.

Thoreau lebte zwei Jahre, zwei Monate und zwei Tage lang in einer Blockhütte am Walden Pond. Er verfasste einen Bericht über die Erfahrung, "Walden oder Leben in den Wäldern", 500 Seiten über das Leben im Einklang mit der Natur. "Ich zog in den Wald, weil ich den Wunsch hatte, mit Überlegung zu leben", schrieb er. "Damit ich nicht, wenn es zum Sterben ginge, einsehen müsste, dass ich nicht gelebt hatte." Thoreau gibt Tipps zu salzarmer Ernährung und den Freuden der Hausarbeit, in Wirklichkeit aber geht es um Freiheit, Wahrheit und den Sinn des Lebens.

"Walden" zählt zu den Klassikern der US-Literatur. Das Werk, samt seinen legendären Schachtelsätzen, beeindruckte Hermann Hesse, die Internatsschüler im Kinofilm "Der Club der toten Dichter" und Mahatma Gandhi. Zitate aus "Walden" finden sich in Ratgeberbüchern und auf unzähligen Inspirations-Postern. Das Buch machte den Teich zum Ziel von Aussteigern, Hippies und Hobbyphilosophen. Dabei war Pilgertum gar nicht im Sinne des großen Freigeists Thoreau. "Ich möchte um keinen Preis, dass irgendjemand meine Lebensweise befolge", schrieb er. "Ich möchte nur, dass jeder recht sorgfältig trachte, seinen eigenen Weg zu finden."

Doch das Trachten nach dem eigenen Weg führt viele zu seinem See, Massen auf der Suche nach Einsamkeit. Die Ortsverwaltung legte einen Strand, Badehäuser und ein Picknick-Areal an. Zur Bespaßung der Hobby-Angler werden stets frische Forellen eingesetzt. Doch das Idyll ist in Gefahr: Pestizide aus der Landwirtschaft werden ins Wasser geschwemmt, vom Trampelpfad zu einer Nachbildung der Thoreau-Hütte schieben Touristenfüße beständig Matsch in den See.

Und dann ist da die Sache mit den natürlichen Bedürfnissen der Badegäste. "Mehr als die Hälfte des Phosphor-Gehalts des Sees im Sommer ist auf den von Schwimmern freigesetzten Urin zurückzuführen", heißt es in der Studie. Algen wuchern, die das Wasser trüben. Bemühungen der Naturschützer in den vergangenen Jahren haben nicht viel gebracht. Und mit dem Klimawandel werde es nur noch schlimmer. "In den anderthalb Jahrhunderten, seit Thoreau von der Menschheit als von der Natur abgetrennt schrieb, sind wir zu einer eigenen Naturgewalt geworden", sagte Studienautor Carl Sager in einem Interview, "kraftvoll genug, um die Chemie und Temperatur der Atmosphäre und die Ökologie von Seen und Teichen auf der ganzen Welt zu verändern." Wenn es so weitergeht und die Leute nicht endlich ihr Wasser nicht mehr ins Wasser lassen, besteht der Walden-Teich bald aus einer trüben grünen Brühe.

"Ein See ist das Auge der Erde", schrieb Thoreau. "Wer hineinblickt, ermisst an ihm die Tiefe seiner eigenen Natur." Oder die Untiefen.

© SZ vom 12.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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