Wahlkampf:Eine Frage der Kompetenz

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Wenn die Opposition ein Schattenkabinett aufstellt, ist das für die Wähler eine feine Sache: Sie wissen dann genau, wer im Falle eines Machtwechsels was machen wird, sie können Programm und Statur der Kandidaten vor dem Hintergrund der neuen Aufgaben prüfen. Angela Merkel hat kein Schattenkabinett aufgestellt; wie schon Edmund Stoiber vor drei Jahren wählte die Kanzlerkandidatin die unverbindliche Form eines "Kompetenzteams".

Nikolaus Piper

Für die Wähler ist das misslich, denn sie wissen nicht, wer welches Ministeramt übernehmen soll, sondern nur, dass ein paar respektable Fachleute die Kandidatin bei ihrer Politik unterstützen. Solche Teams vernebeln in der Regel eher, als dass sie etwas klarstellen. Im vorliegenden Fall trägt die Wahl der Personen sogar noch dazu bei, Unklarheiten und Unschärfen im Programm der Unionsparteien zu unterstreichen. Jedenfalls in der Finanz- und Wirtschaftspolitik ist das so.

Aus Merkels Kompetenzteam (v.l.): Peter Müller (CDU, vorgesehen für Wirtschaft und Soziales, Paul Kirchhof (parteilos, Finanzen), Ursula von der Leyen (CDU, Soziales/Gesundheit) und Anette Schavan (CDU, Bildung) (Foto: Foto: dpa)

Zum Beispiel rechnet kein Mensch damit, dass Paul Kirchhof tatsächlich Nachfolger von Hans Eichel im Bundesfinanzministerium wird - und zwar aus vielen Gründen. Der ehemalige Verfassungsrichter, der in Merkels Kompetenzteam die Themen Finanzen und Haushalt besetzen soll, ist einer der brillantesten Steuerrechtler des Landes. Aber wäre er ein Finanzminister, der mit seinen Ministerkollegen um Einsparungen streitet, der sich die Nächte in Brüssel um die Ohren schlägt und unpopuläre Entscheidungen einer verunsicherten Öffentlichkeit verkauft? Wohl kaum.

Die Irritationen über die Benennung Kirchhofs gehen aber noch weiter. Kirchhof hat ein eigenes, radikal vereinfachtes Modell für die Einkommensteuer entwickelt: Abschaffung aller Subventionen, einheitlicher Steuersatz von 25 Prozent.

Zwei ehrenwerte Ansätze

Ein einfacheres Steuerrecht verlangen CDU und CSU in ihrem Programm zwar ebenfalls, bisher haben sie sich jedoch an einem ganz anderen Modell orientiert, dem der so genannten dualen Einkommensteuer, bei der Unternehmen relativ besser gestellt werden. Vereinfacht ausgedrückt: Kirchhofs Modell ist eher juristisch gedacht, ihm geht es um Gleichheit, die Steuerpolitiker der Union dachten eher ökonomisch: Wie können im internationalen Steuerwettbewerb Arbeitsplätze gehalten werden?

Beide Ansätze sind ehrenwert, nur können sie nicht gleichzeitig verwirklicht werden. Und die Wähler fragen sich: Ja was denn nun? Ganz abgesehen von der Tatsache, dass Kirchhof bisher die von Angela Merkel geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer entschieden ablehnt.

Auch ihr Kandidat im Kompetenzteam für das Thema Wirtschaft macht das Bild nicht klarer: Peter Müller, angesehener Ministerpräsident des Saarlandes, fiel zuletzt auf durch die Idee, mittels Ausnahmen bei der Mehrwertsteuer die Familien besser zu stellen. Ein wirtschaftspolitisches Konzept ist das nicht.

Stoibers Zaudern ist eine Zumutung

Für Merkels wirkliches Problem beim Thema Finanzen und Wirtschaft stehen zwei andere Namen: Friedrich Merz und Edmund Stoiber. Der eine ist unbestritten der beste Fachmann, den die Union derzeit zu bieten hat; er stünde für ein scharf konturiertes, liberales Reformprogramm nach der Wahl. Doch haben weder Merkel noch Merz einen Weg gefunden, ihr zerrüttetes persönliches Verhältnis rechtzeitig wieder in Ordnung zu bringen.

Und der bayerische Ministerpräsident blockiert das Kompetenzteam, weil er sich die Entscheidung, ob Berlin oder nicht, bis nach der Wahl offen halten will. Stoibers Zaudern ist eine Zumutung für die Kandidatin und sorgt dafür, dass nicht nur personelle, sondern auch inhaltliche Fragen im Vagen bleiben - Beispiel: Steuerpolitik.

Was Wunder, dass Angela Merkel bei ihrer Suche nach geeigneten Kandidaten in der Wirtschaft aufgeben musste: Weder Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Ludolf von Wartenberg, noch Siemens-Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer wollten unter diesen Bedingungen in Merkels Team.

Die Unschärfe der Union bei Wirtschaftsfragen wird allmählich besorgniserregend. Arbeitnehmer, Verbraucher und Unternehmer müssen jetzt wissen, woran sie nach dem 18. September sind. Gerhard Schröder ging den Weg zu Neuwahlen, weil er sich - zu Recht - nicht mehr zutraute, das als richtig Erkannte in der Wirtschaftspolitik durchzusetzen. Die allgemeine Lähmung drohte ein weiteres Jahr anzuhalten. Des Kanzlers unechtes Misstrauensvotum wirkte daher wie ein Befreiungsschlag.

Merkel-Bonus für die Wirtschaft?

Doch jetzt stehen die Wähler vor der Alternative zwischen einem Kanzler, der zwar für die Fortsetzung der Reformen steht, dessen Partei sich aber weit von ihm entfernt hat - und einer Herausforderin, deren Profil zunehmend verschwimmt. Fast zwangsläufig, dass diese Situation zu allerlei Planspielen über große Koalitionen verleitet, ob nun unter einer Kanzlerin Merkel oder, auch das gibt es, unter einem Kanzler Schröder.

Viele in der Union gehen heute von der anmaßenden Prämisse aus, ein Merkel-Bonus werde bald die Wirtschaft beflügeln. Diesen Bonus wird es nicht geben, wenn dahinter kein Programm steht. Im eigenen Interesse, aber auch in dem des ganzen Landes sollte die Kandidatin schnell für einen klaren Wirtschaftskurs sorgen.

(SZ vom 17.8.2005)

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