Wahl-Überprüfung in Iran:Wächter der Macht

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Irans geistlicher Führer Chamenei verspricht die Präsidentschaftswahl zu überprüfen. Das klingt nach einem Erfolg für die Opposition. Doch das könnte täuschen.

Tomas Avenarius

Nach drei Tagen der Demonstrationen, der Krawalle und der Gewalt auf Teherans Straßen gab Ayatollah Ali Chamenei nach: Er forderte den "Wächterrat" auf, das umstrittene Ergebnis der iranischen Präsidentschaftswahl "eingehend zu überprüfen".

Nach drei Tagen mit Krawallen und Gewalt auf Teherans Straßen, lässt Ayatollah Ali Chamenei die Wahl überprüfen. (Foto: Foto: dpa)

Chamenei fügte hinzu: "Diese Frage muss auf rechtmäßigem Weg geklärt werden." Der Geistliche Führer, in Iran fast allmächtig, reagierte damit auf die Straßenschlachten zwischen der Polizei und den Demonstranten, die immer wieder das Wort "Wahlbetrug" skandierten.

Offenbar hat auch ein Brief Wirkung gezeigt, den der bei der Wahl angeblich unterlegene Oppositionskandidat Mir Hussein Mussawi geschrieben hat. Mussawi, der sich inzwischen mit Ayatollah Chamenei getroffen haben soll, erhebt den Vorwurf massiver Wahlfälschungen. Er sieht "die Säulen der Islamischen Republik durch Betrug und Diktatur" gefährdet.

Das bringt Chamenei in eine schwierige Lage: Denn er hatte den Wahlsieg des alten und neuen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad bereits anerkannt. Aber Chamenei muss nun fürchten, dass die vorerst vor allem auf die iranische Hauptstadt begrenzte Revolte sich auf andere Landesteile ausweiten könnte.

Das Einlenken des Geistlichen Führers klingt nach einem Erfolg der Opposition. Doch das könnte täuschen: Möglicherweise spielt Chamenei, der sich schon vor der Wahl indirekt für Achmadinedschad ausgesprochen hatte, einfach nur auf Zeit. Der Wächterrat hat nun zehn Tage, sein Urteil zu fällen.

Offen ist, ob Mussawi seine protestierenden Anhänger für diesen Zeitraum auf der Straße halten kann - und ob es ihm dabei gleichzeitig gelingt, die frustrierten Wähler von jeglicher Gewalt abzuhalten. Chamenei hat Mussawi bereits gewarnt: Es gehe darum, "jede Eskalation zu vermeiden und mit Würde zu handeln".

Das könnte angesichts der jüngsten Bilder von den Straßenschlachten in der Hauptstadt schwierig werden. So begannen die Protestierenden am Montagnachmittag einen Marsch durch Teheran - und das, obwohl das Innenministerium die Demonstration verboten und Mussawi seine Anhänger zum Verzicht aufgefordert hatte.

Die Wahrscheinlichkeit, dass der gelegentlich mit einem "iranischen Politbüro" verglichene Wächterrat das Wahlergebnis nach Ablauf der Zehn-Tages-Frist grundsätzlich in Frage stellt, ist allerdings gering. Der Opposition dürfte es zudem schwer fallen, Verstöße wasserdicht zu belegen. Ihre Wahlbeobachter hatten Medienberichten zufolge keinen ungehinderten Zugang zu den Wahlbüros. Das Innenministerium hingegen, das die Präsidentschaftswahl überwacht hat, untersteht einem Ahmadinedschad nahestehenden Politiker: Alle Wahlunterlagen sind in der Hand des Innenministeriums.

Und der Wächterrat ist dem Revolutionsführer institutionell verbunden. Der Rat ist ein Verfassungsorgan, das westlichen Demokratien unbekannt ist. Das von Ayatollah Ruhollah Chomeini nach der Revolution von 1979 eingeführte Regierungssystem der Islamischen Republik ähnelt nur auf den ersten Blick dem westlichen Staatsmodell. Es sieht einen direkt gewählten Präsidenten vor, ein Parlament und eine formal unabhängige Justiz.

Chomeinis "Wächterschaft des Rechtsgelehrten" unterscheidet sich aber in einem zentralen Punkt: Über der klassischen Triade aus Legislative, Exekutive und Judikative steht der "Oberste geistliche Führer". Dieser Revolutionsführer wird von einem Kreis religiöser Würdenträger bestimmt. Er hat das letzte Wort in allen entscheidenden Fragen. Als Kontrollorgane sind ihm mehrere "Räte" beigeordnet; und deren Mitglieder werden teilweise direkt vom Revolutionsführer bestallt.

Die Räte kontrollieren, ob die Politik mit den islamischen Prinzipen übereinstimmt. So überprüft der Wächterrat, ob die Gesetzgebung des Parlaments gegen islamisches Recht verstößt. Der mit sechs Geistlichen und sechs Rechtsgelehrten besetzte Rat entscheidet auch über die Zulassung von Präsidentschaftskandidaten. Und er hat die Oberaufsicht über die Wahlen.

Allerdings sprechen zahlreiche Indizien für starke Unregelmäßigkeiten bei den Präsidentschaftswahlen. Westliche Medien und iranische Blogger hatten berichtet, dass der Internet- und Mobiltelefonverkehr am Wahltag kaum noch funktioniert habe - die Opposition wollte die Überwachung der Wahl mit E-Mails und SMS-Botschaften organisieren.

Außerdem gab es nicht genug Wahlzettel in einzelnen Wahllokalen. Und das, obwohl angesichts der absehbaren Rekordwahlbeteiligung eigens mehrere Millionen zusätzlicher Wahlzettel gedruckt worden waren. Iran-Experten weisen zudem darauf hin, dass die veröffentlichten Zahlen so kaum stimmen können: Der Amtsinhaber soll fast doppelt so viel Stimmen bekommen haben wie die drei Oppositionskandidaten zusammen.

Auch wenn der Rückhalt für den sich bei jeder Gelegenheit auf die Islamische Revolution berufenden Präsidenten weit größer ist als aus westlicher Sicht nachvollziehbar: Ahmadinedschad hat Gegner auch in der schiitischen Geistlichkeit, im eigenen konservativen Lager und unter den einflussreichen Geschäftsleuten.

Die Mittelschicht und Teile der Jugend tendieren ohnehin zu den als "Reformern" betitelten Oppositionspolitikern. Hinzu kommt die ethnische Zusammensetzung: Fast 45 Prozent der Iraner gehören ethnischen Minderheiten an.

Oppositionskandidat Mussawi entstammt der aserbeidschanischen Bevölkerungsgruppe, sein Mitbewerber Mehdi Karrubi ist ein Lore. Und die ethnischen Minderheiten dürften kaum so geschlossen für den persischstämmigen Amtsinhaber Ahmadinedschad gestimmt haben, wie es die offiziellen Ergebnisse nahe legen. Indizien allein aber werden den Wächterrat kaum überzeugen, die Opposition braucht Fakten.

© SZ vom 16.06.2009/blg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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