Wahl-Thesentest: Analyse nach Geschlecht:Männer denken anders, Frauen auch

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Wenn wir die Ergebnisse unseres Wahl-Thesentests zur Europawahl nach Geschlecht vergleichen, scheint es auf den ersten Blick klar: Frauen denken progressiver, Männer deutlich konservativer. Doch bei genauerer Analyse lösen sich alle Unterschiede in Luft auf.

Von Barbara Vorsamer

Unterscheiden sich Frauen und Männer in ihrer politischen Einstellung? Für unseren Wahl-Thesentest haben wir 501 Kandidaten und Kandidatinnen für das Europaparlament sowie Abgeordnete befragt. 201 von ihnen haben auf einer Skala von 0 ("Ich stimme absolut nicht zu") bis 100 ("Ich stimme absolut zu") Stellung bezogen. Dabei kam folgendes heraus - in Klammern jeweils die Durchschnittswerte aller befragten Frauen und Männer:

Frauen sind eher für den Mindestlohn (67 versus 45), Männer wollen arbeitslosen Zuwanderern die Sozialleistungen kürzen (57 versus 36). Männer finden es eher ok, wenn Unternehmen jedes Steuerschlupfloch nutzen (44 versus 29), Frauen befürworten es häufiger, dass sich Asylbewerber das EU-Land aussuchen dürfen (64 versus 38). Mit Kürzungen der Agrarsubventionen sind Männer eher nicht einverstanden (42 versus 32), Frauen dagegen haben was gegen die umstrittene Energiefördermethode Fracking (72 versus 60).

Anhand dieser Zahlen scheint das Ergebnis unseres Tests ganz klar: Frauen denken eher links, Männer eher konservativ. Und alles, was die politische Wissenschaft bisher zu diesem Thema herausgefunden hat, deckt sich mit diesen Zahlen.

Trotzdem ist diese Interpretation Quatsch.

Denn die wichtigste Erkenntnis zum Zusammenhang zwischen Geschlecht und politischer Einstellung ist: Sobald man alle anderen Einflussvariablen kontrolliert, gibt es keinen mehr. Werden also nur Männer und Frauen verglichen, bei denen Einkommen, Familienstand, Herkunft und Konfession übereinstimmen, sind auch keine signifikanten Unterschiede bei der Einstellung zu politischen Themen mehr festzustellen.

Auch in unserem Wahl-Thesentest lassen sich die auf den ersten Blick deutlichen Unterschiede zwischen Männern und Frauen anders erklären. Die 120 Männer und 81 Frauen, die uns geantwortet haben, sind sehr unterschiedlich auf die Parteien verteilt. Während zum Beispiel doppelt so viele grüne Frauen (11) wie grüne Männer (5) an der Umfrage teilgenommen haben, sind es 17 Männer und sechs Frauen bei den Freien Wählern.

Analyse der beiden Volksparteien

Wenn wir also alle Männer und alle Frauen in jeweils einen Topf werfen und die beiden Töpfe dann vergleichen (wie oben geschehen), ignorieren wir den Faktor Parteizugehörigkeit komplett. Dass aber - holzschnittartig gesprochen - die Männer von den Freien Wählern andere politische Ansichten als Frauen von Bündnis 90/Die Grünen haben, sollte nicht überraschen.

Um die Parteizugehörigkeit als Faktor auszuschließen, haben wir uns in der weiteren Analyse auf die großen Parteien CDU und SPD beschränkt und hier Männer und Frauen verglichen - also die 35 CDU-Männer den 14 CDU-Frauen gegenübergestellt und den 26 SPD-Männern die 28 SPD-Frauen.

Unterschiede bestehen weiterhin. So lehnen die CDU-Männer die Aussage "Asylbewerber sollten sich das EU-Land aussuchen können, in dem sie Asyl beantragen" deutlich stärker ab (19) als die CDU-Frauen (39). Die SPD-Kandidatinnen und Kandidaten sind sich bei diesem Punkt eher unentschlossen - Männer (42) wie Frauen (46).

Der Aussage "Es ist legitim, dass Unternehmen sämtliche legale Möglichkeiten zur Steueroptimierung nutzen, die es in Europa gibt" stimmen die CDU-Männer eher zu (66), die Frauen in der CDU sind neutral (50). Die SPD-Abgeordneten sind mit dieser Aussage durch die Bank nicht einverstanden (15), Frauen sind jedoch ein klein weniger kritisch (19) als die SPD-Männer (11).

Eine klare "Richtung" hat der Einfluss des Geschlechts also nicht. CDU-Männer sind nicht generell konservativer als ihre Parteifreundinnen, die SPD-Frauen nicht linker als die Parteifreunde. Die Gruppen unterscheiden sich, das ist korrekt. Aber bei den meisten Aussagen sind die Abgeordneten denen näher, mit denen sie die Partei gemeinsam haben, als denen, die zum selben Geschlecht gehören.

Unser Resümee lautet also: Es mag sein, dass - wie in zahlreichen Wahlforschungs-Studien nachgewiesen - sich Frauen heutzutage linken Parteien eher zugeneigt fühlen als Männer. Unser Wahl-Thesentest, bei dem nicht irgendwelche Frauen und Männer, sondern die Kandidatinnen und Kandidaten für das Europaparlament befragt wurden, konnte diesen Effekt jedoch nicht bestätigen. Möglicherweise unterscheiden sich Politikerinnen weniger von Politikern als Wählerinnen von Wählern. Es ist auch davon auszugehen, dass sich Menschen ja nur in einer Partei engagieren, wenn sie mit deren Zielen einverstanden sind, was erklären könnte, weshalb Frauen bei SPD und Grünen überdurchschnittlich vertreten sind. Und in jedem Fall ist der Faktor Geschlecht sehr gering.

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