Wahl in Jemen:Machttransfer unter explosiven Bedingungen

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Bei der Wahl in Jemen gibt es nur einen Kandidaten - die USA finden das vorbildlich. Abd Rabbu Mansur al-Hadi, der wahrscheinlich neuer jemenitischer Präsident wird, gilt als Kompromisskandidat. Junge Revolutionäre kritisieren, dass Washington der Kampf gegen al-Qaida wichtiger sei als ein demokratischer Neuanfang für ihr Land.

Sonja Zekri, Kairo

Es war eine Anweisung, in der das ganze Dilemma der Wahl enthalten ist, die Frage nach der verbleibenden Macht des alten Präsidenten und seiner Rolle im künftigen Jemen: Präsident Ali Abdullah Salih habe Behörden und Institutionen im ganzen Land angewiesen, sein Bild von öffentlichen Plätzen, aus Gebäuden und Büros zu entfernen. Stattdessen, so zitiert ihn die staatliche Agentur Saba, solle das Porträt von Abd Rabbu Mansur al-Hadi aufgehängt werden, dem einzigen Kandidaten und wahrscheinlichen künftigen Präsidenten.

Kompromisskandidat: Ein Plakat wirbt für Jemens Vizepräsident Abd Rabbu Mansur al-Hadi. (Foto: dpa)

Nach einem Jahr der Proteste und der Empörung, die einzig die Absetzung von Präsident Salih zum Ziel hatten, verfügt der Ungeliebte noch aus dem vorübergehenden Exil in Amerika die Details einer öffentlichen Inszenierung der Machtübergabe. An diesem Dienstag sind zwölf Millionen Menschen im ärmsten und jüngsten aller arabischen Länder aufgerufen, Salihs Vize al-Hadi zum Präsidenten zu küren, so wie es die reichen Herrscher vom Golfkooperationsrat in einem Friedensplan dargelegt und in monatelangen Verhandlungen durchgesetzt haben. Gegenkandidaten sind nicht vorgesehen, juristische Verantwortung die Hunderten Toten der vergangenen Monate oder Vergehen in den 33 Amtsjahren Salihs ebenso wenig. Präsident Salih, der termingemäß zu medizinischen Untersuchungen nach Amerika reiste, genießt Immunität.

Obama ist "optimistisch"

Glaubt man den Golfkönigen und ihren Verbündeten in Washington, hat Jemen gerade damit aber das Zeug, zum Modell für einen friedlichen Machttransfer unter explosiven Bedingungen zu werden, eine Alternative zu Bürgerkrieg, Zerfall und dem Aufstieg al-Qaidas. US-Präsident Barack Obama ließ ausrichten, Jemen könne zum Vorbild für andere arabische Völker werden, er jedenfalls sei "optimistisch" und unterstütze al-Hadi.

In Syrien versucht die Arabische Liga derzeit, dem bedrängten Präsident Baschar al-Assad einen ähnlichen Plan schmackhaft zu machen - bislang umsonst. Auch Jemens Friedensnobelpreisträgerin Tawakul Karman warb auf ihrer Facebook-Seite um Unterstützung für al-Hadi und rief zu massenhafter Wahlbeteiligung auf. Al-Hadis Präsidentschaft sei "einer der Siege der jemenitischen Jugendrevolution", die Salih vertrieben habe, zitieren Zeitungen sie. Zwei Jahre solle er nun Zeit bekommen, in denen die Jemeniten einen modernen Staat schaffen sollen. Sie, Karman, werde gemeinsam mit anderen Aktivisten den Reformdruck durch ihr Zeltlager aufrecht erhalten.

Vielen Beobachter erscheint es bis heute als ein Wunder, dass es in Jemen trotz vieler Waffen zwar immer wieder Scharmützel gab - zwischen mächtigen Clans wie den al-Ahmars und Teilen der Regierungstruppen, zwischen Stämmen und Staat, zwischen alten Eliten. Aber die befürchteten großen Verheerungen blieben dank der schwer durchschaubaren Kompromissmöglichkeiten einer Stammesgesellschaft aus.

Al-Hadi ist ein Karrieresoldat aus dem Süden, der seit dem Bürgerkrieg zwischen Nord- und Südjemen 1994 Salihs Stellvertreter ist. Der 66-Jährige gilt als Mann ohne überwältigende Hausmacht bei einem Stamm oder im Volk und damit als bindungsloser Kompromisskandidat. Er vertritt Salih bereits, seit dieser im Juni bei einem Bombenanschlag schwer verletzt wurde.

Anderen hingegen erscheint jeder politische Pragmatismus als Zynismus, ja, als Verrat an den Toten der Revolution. Sie kritisieren, dass dies keine echte Wahl sei, sondern ein Referendum, ja, bestenfalls eine Meinungsumfrage und Salih vor juristischer Ahndung geschützt werde. Möglicherweise kehre er sogar zurück in die jemenitische Politik als Vorsitzender der regierenden Volkskongress-Partei GPC. "Es gibt kein Gesetz, dass Ali Abdullah Salih von einer Karriere als Politiker abhalten kann", sagte Vize-Informationsminister Abdul al-Janadi: "Wir alle erwarten, dass er auf absehbare Zeit Teil der politischen Landschaft bleiben wird."

100.000 Soldaten sollen den Wahlgang sichern

Vor allem Amerika diskreditiert sich in den Augen vieler junger Leute, weil es demokratische Prinzipien an die Sicherheitspolitik verrät, die Kontinuität im Kampf gegen al-Qaida höher hält als einen radikalen Neuanfang. Welche Chancen habe denn das Bemühen um einen neuen modernen Staat, wenn Salihs Söhne und Neffen mit warnendem Verweis auf die militanten Islamisten weiterhin den Sicherheitsapparat kontrollieren und dieser wiederum weite Teile des Staates beherrscht? Und wie solle ausgerechnet al-Hadi, der die Revolution immer abgelehnt habe, nun der Demokratie zum Sieg verhelfen, fragen sie. "Dies ist eine Revolution, keine politische Krise", skandierten in Sanaa empörte Protestierende, die seit langem das Gefühl haben, dass ihr Freiheitskampf von anderen missbraucht wird.

100.000 Soldaten sollen den Wahlgang sichern. Innenminister Abdulqader Qahtan sagte, es werde möglicherweise "einige Störungen" geben, aber nur wenige. Allerdings wurden im Süden Wahlbüros angegriffen. Der Süden fühlt sich vernachlässigt, ja okkupiert, daran hat der friedliche Volksaustand nichts geändert. Die Falken im Süden fordern die Abspaltung, die meisten zumindest mehr Autonomie. Nun rufen sie zum Boykott und zu "zivilem Ungehorsam" auf: "Nein zu den Wahlen, ja zur Abspaltung", fordert ein Plakat in der südlichen Stadt Aden. Auch die Huti, eine schiitische Rebellengruppe im Norden, die das Sicherheitsvakuum genutzt hat und inzwischen eine ganze Provinz kontrolliert, will die Wahlen boykottieren.

© SZ vom 21.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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