Währungsunion:"Europa ist die Lösung, nicht das Problem"

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Pierre Moscovici, der EU-Kommissar für Wirtschaft und Finanzen, Steuern und Zoll, bei der Europäischen Kommission in Brüssel. (Foto: Emmanuel Dunand/afp)

Wirtschaftskommissar Moscovici mahnt zu deutsch-französischer Einigkeit, um den Euro zu stärken.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

Nur noch 14 Tage. Die Zeit ist knapp, aber für Pierre Moscovici sind die zwei verbleibenden Wochen bis zum EU-Gipfel von größter Bedeutung. "Wir brauchen endlich einen Durchbruch, der zeigt, dass Europa die Lösung ist und nicht das Problem", sagt der EU-Kommissar im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Der Wettlauf um Ideen und Interessen für die künftige EU, um Einfluss, Geld und die nächste Reform, ist auf der Zielgeraden angelangt. Wenn sich die Staats- und Regierungschefs Ende des Monats treffen, wollen sie die seltene Gelegenheit nutzen, um in wirtschaftlich guten Zeiten bei zwei entscheidenden Streitpunkten Einigkeit zu erzielen: in der Migrationsfrage und bei der Euro-Reform. Moscovici ist überzeugt: "Es ist höchste Zeit, in dieser unsicheren Welt, in die Offensive zu kommen." Nur vereint könne Europa den Großmächten USA, Russland und China gegenübertreten. Und wenn nicht? "Dann scheitert Europa."

Also, was tun? "Wir müssen den Bürgern Ergebnisse liefern, die sie erwarten." Nur: Was erwarten sie eigentlich? In einer Union von 28 Mitgliedern fällt die Antwort nicht leicht. Besonders dann, wenn immer mehr EU-Staaten Zweifel daran säen, ob es noch so etwas gibt wie gemeinsame Werte. Jüngstes Beispiel ist Italien. Die Entscheidung der neuen Regierung in Rom, ein Flüchtlingsschiff abzuweisen, hat Europa vor Augen geführt, warum es eine Lösung in der Migrationsfrage braucht.

Auch wenn Moscovici die Haltung der Regierung in Rom ablehnt, zeigt er Verständnis

Auch wenn Moscovici die Haltung der italienischen Regierung ablehnt, zeigt er Verständnis: "Ich kann verstehen, dass sich viele Italiener alleingelassen fühlen." Europa brauche eine "Balance aus Solidarität und Verantwortung". Und zwar in Sachen Migration als auch bei jenem Thema, das ihn als Wirtschaftskommissar besonders umtreibt: das Geld, unsere gemeinsame Währung, der Euro. Nächste Woche will Moscovici den neuen italienischen Finanzminister treffen. In einem Telefonat habe ihm Giovanni Tria zugesichert, dass er "jedes Szenario vermeiden will, das den Euro infrage stellt." Er habe sich auch dazu bekannt, die öffentliche Verschuldung zu verringern. Moscovici verspricht: "Wir werden den italienischen Haushaltsplan für 2019 genau prüfen."

Italien beunruhigt nicht nur in Brüssel die Gemüter. Auch in Paris und Berlin, wo die Finanzminister und ihre Unterhändler mit Hochdruck an einem gemeinsamen Vorschlag für eine Reform der Währungsunion arbeiten, schwebt die Angst vor einer Rückkehr der Eurokrise. Italien wäre, anders als Griechenland, schon allein wegen seiner Wirtschaftskraft ein Land, das ganz Europa in den Abgrund reißen könnte. Für Moscovici steht deshalb fest: Der Euro muss krisenfest gemacht werden. Der anstehende EU-Gipfel sei für eine längere Zeit die letzte Möglichkeit, warnt der Kommissar; denn nach dem Sommer werde man sich mit den Europawahlen beschäftigen, die im Frühjahr 2019 stattfinden.

Der Schlüssel zum Erfolg soll, so sieht es jedenfalls der ehemalige französische Finanzminister Moscovici, aus dem Dreieck Berlin-Paris-Brüssel kommen: "Die Kommission hat ihre Vorschläge präsentiert, Frankreichs Präsident Macron seine Ideen vorgestellt - und die Antwort von Bundeskanzlerin Merkel zeigt, dass sich ein Konsens abzeichnet, um die Eurozone zu stärken." Nun müsse es in den kommenden zwei Wochen zu einer Einigung kommen. "Wir warten, dass weißer Rauch aufsteigt."

Frankreich dringt auf eine Vollendung der Bankenunion. Berlin will davon nichts wissen

Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire und sein deutscher Kollege Olaf Scholz werden wohl noch mehrere Verhandlungsnächte brauchen, um eine Einigung zu erzielen. Noch immer gibt es eine Vielzahl von Streitpunkten, die ungelöst sind. Frankreich etwa dringt auf eine Vollendung der Bankenunion, zu der auch eine gemeinsame Einlagensicherung zählt. Doch Berlin will davon nichts wissen. "Ich verstehe, dass es in Deutschland Widerstand gibt. Mir ist auch klar, dass es Zeit braucht", sagt Moscovici. Aber der Gipfel solle klar machen, dass die Tür zur Einlagensicherung offen sei. "Das ist aus meiner Sicht das Mindeste."

Einigkeit besteht darüber, dass der Euro-Rettungsfonds zu einem Europäischen Währungsfonds (EWF) ausgebaut werden soll. Offen ist, ob dieser auch dann Kredite vergeben darf, wenn ein Eurostaat unverschuldet wirtschaftliche Probleme bekommt - wenn etwa der Brexit Irland in eine Krise stürzen sollte. Merkel ist dafür offen, ESM-Chef Klaus Regling hat sie davon überzeugt. Die Kanzlerin will, dass ein künftiger EWF zwischenstaatlich organisiert ist - also unter der direkten Kontrolle der Eurostaaten. Moscovici hält davon nichts. "Ein solcher Fonds sollte in den EU-Verträgen verankert werden und gegenüber dem Europäischen Parlament verantwortlich sein", fordert der Kommissar. Ihm geht es um mehr demokratische Kontrolle. Und darum, dass die Kommission nicht entmachtet wird, wenn es darum geht, wer die wirtschaftliche Lage der Mitgliedstaaten künftig beurteilt.

Hoch umstritten ist zwischen Paris und Berlin ein weiterer Vorschlag, der Moscovici sehr am Herzen liegt: "Wir brauchen eine Stabilisierungsfunktion oder einen Investivhaushalt, wie Madame Merkel sagt." Die Kanzlerin hat von einem unterem zweistelligen Milliardenbereich gesprochen. "Das tun wir in der Kommission auch", sagt Moscovici. "30 Milliarden, das ist ein bescheidender Vorschlag." Dieser Betrag ist weit von Macrons Forderung nach einem großen Euro-Haushalt entfernt.

Bleibt trotzdem die Frage: Woher soll das Geld kommen? Kommissar Moscovici sieht vor allem zwei mögliche Einnahmequellen: die Digitalsteuer und die Finanztransaktionsteuer. Die Abgabe auf Börsengeschäfte ist schon seit der Finanzkrise in der Diskussion - gekommen ist sie bis heute nicht. Und während Paris die Kommission für ihren Digitalsteuer-Vorschlag lobt, signalisiert Berlin Ablehnung.

Wie gesagt, viel Zeit bleibt nicht mehr, um sich auf Reformen zu einigen. Am 19. Juni findet ein deutsch-französischer Ministerrat statt. Zwei Tage später treffen sich die Euro-Finanzminister in Luxemburg. Dann ist es noch eine Woche bis zum Gipfel.

© SZ vom 14.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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