Der Mann, Mitte vierzig, schwankt zwischen Resignation und Verzweiflung. "Bei uns herrscht wenig Hoffnung und viel Zynismus", erzählt er. "Wir haben kaum noch die Erwartung, dass das gutgeht." Zu lange werde um eine Lösung gerungen, zu heftig sei die Gegenwehr, zu winzig seien die Erfolge, um noch auf ein gutes Ende zu setzen. Der Mann, der das düstere Bild zeichnet, könnte die Lage einer abstiegsbedrohten Fußballmannschaft beschreiben. Oder die gesundheitliche Situation seines Großvaters schildern. Tut er aber gar nicht. Er spricht über die politische Lage Angela Merkels in Europa.
Nun könnte man sagen, dass derlei Äußerungen Einzelmeinungen seien und deshalb vernachlässigt werden könnten. Zumal es genügend Menschen gibt, die den Flüchtlingskurs der Kanzlerin ablehnen. Doch der Mann hier arbeitet seit Jahren als Beamter im Bundeskanzleramt. Merkel ist seine oberste Chefin. Er erzählt also letztlich davon, wie der Kanzlerin im eigenen Haus die Zustimmung abhandenkommt.
Es sind Zweifel, die sich im Mauerwerk von Merkels Apparat einfressen. Ihr wichtigster Mitstreiter, Kanzleramtsminister Peter Altmaier, muss nicht mehr nur mit den Kritikern in der EU und den Gegnern in der CDU ringen. Er kämpft noch gegen einen ganz anderen Widersacher: den Pessimismus in der eigenen Truppe, bei den Beamten. Sie müssen Merkels Ziele umsetzen. Und sie plagen immer größere Zweifel. Als ob es nicht genug Probleme gäbe.
"Wir müssen selbst die Bremse reinhauen", sagt ein hoher Beamter
Zumal der Mann kein Einzelfall ist. Es gibt zwar derzeit keine Personalversammlungen in den Ministerien, die ein Stimmungsbild liefern könnten. Und es gibt erst recht keine internen Umfragen, die wiedergeben würden, was die Beamten vom Kurs ihrer Regierung halten. Doch wer sich umhört in den einzelnen Häusern, begegnet immer wieder einem erstaunlichen Pessimismus. Öffentlich sagen würde so etwas niemand. Zu groß wäre die Gefahr, dass er oder sie ihre Karriere aufgeben müsste. Das Beamtenrecht verpflichtet sie zur Verschwiegenheit, Konsequenzen wären unvermeidbar. Die Krise treibt aber trotzdem viele um, und das in den meisten großen Ministerien der Berliner Regierung.
Zweifel und Pessimismus kann man seit Längerem auch im Bundesinnenministerium begegnen. "Wir können nicht mehr so weitermachen", klagt einer, der schon unter Otto Schily und Wolfgang Schäuble an einflussreicher Stelle wirkte. "Wir können nicht mehr auf die EU oder die Griechen hoffen. Wir müssen selbst die Bremse reinhauen." Für die Kanzlerin sind das keine schönen Sätze; wenn der Zweifel zu nagen beginnt, wenn konträre Überzeugungen wachsen, wird es schwerer, den Apparat auf Kurs zu halten.
Dazu muss man wissen, dass im Bundesinnenministerium viele Beamte zwei Aufgaben zu erfüllen haben. Sie müssen einerseits den Flüchtlingskurs umsetzen, also so schnell wie möglich bei der Organisation der Aufnahme helfen. Dabei müssen sie allen Rufen nach Schließung der Grenzen, nach Flüchtlingsobergrenzen, nach der Grenze der Möglichkeiten trotzen. Andererseits müssen sie stets die Sicherheitslage im Blick haben. Sie sind im Zweifel über Jahrzehnte darauf getrimmt worden, bei jeder Frage, jedem Problem zuallererst die Gefahren durch Betrug, Diebstahl, Gewalt auszumachen.
Dass sie hinter Flüchtlingen, die, wie im Herbst geschehen, zu Tausenden unregistriert ins Land kamen, auch eine Gefahr wittern, kann nicht überraschen. Und dass sie sich in ihren oft düsteren Szenarien bestätigt fühlten, als Fälle von Dschihadisten bekannt wurden, die als Flüchtlinge einreisten, darf auch nicht verwundern. Das Problem ist nur: Es beißt sich mit Merkels grundsätzlich offener Botschaft und zwingt zu einem Spagat, der schon in normalen Zeiten wehtäte.
Quasi täglich eine neue Portion Zweifel
Seit den Terroranschlägen von Paris führt er bei vielen in Thomas de Maizières Innenministerium zu fast absurden Doppelbelastungen. Das gilt für den Minister selbst, und es dürfte im täglichen Geschäft noch mehr seine Staatssekretärin Emily Haber zerreißen. Sie ist für die Flüchtlinge wie für den Anti-Terror-Kampf zuständig und muss zugleich das Anwachsen rechtsextremer Gewalt bremsen. Dabei ringt sie weiter für Merkels Lösung mit der Türkei, gehört aber auch zu jenen, die beim Thema Familiennachzug eine harte Linie verfechten, weil sie inzwischen alles, was aus ihrer Sicht Migranten weiter anlocken könnte, vermeiden möchte. Beamte, die diesen Spagat erleben, sammeln quasi täglich eine neue Portion Zweifel.
Im Auswärtigen Amt zeigt sich das Problem wieder anders. Auch hier steht die politische Spitze zur Linie, mit der Türkei um sichere Außengrenzen und in der EU um eine Lastenteilung zu kämpfen. Aber auf den Fluren gibt es fast nur ein Thema: welche Wirkung Merkels "Wir schaffen das" im Nahen und Mittleren Osten auslöste. "Wir haben das Gefühl losgetreten, unsere Tore seien offen", beklagt ein hoher Diplomat, "und wir haben bis heute keine Gegenbotschaft, mit der diese Welle wieder gestoppt werden könnte." Solche Sätze waren auch im vergangenen Herbst schon zu hören. Inzwischen aber sind sie der Normalfall, nicht mehr die Ausnahme.