Von Bagdad nach Berlin:Das Echo einer wüsten Knallerei

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Warum zwei BND-Agenten zu ihrem Irak-Einsatz nun ganz geheim Bundestagsabgeordneten Rede und Antwort stehen müssen.

Hans Leyendecker

Es ist ein lausiger Film mit miserabler Bildführung. Der Kameramann muss ziemlich nervös oder unkonzentriert gewesen sein. Doch wenigstens wird scharf geschossen. Zu sehen sind einige Männer in der Wüste, sie sind im Konvoi unterwegs, haben ihre Jeeps verlassen und zielen mit Revolvern auf Kanister oder Ölfässer.

Die Schützen sind nur vage zu erkennen. Beim Schwenk auf die Umstehenden fällt ein Mann auf, der sich die Ohren zuhält. Dann zeigt der kurze Streifen, der in diesen Tagen in der deutschen Geheimdienst-Szene kursiert, wie die Auto-Kolonne nächtens in Bagdad ankommt.

Alles war nur ein Riesen-Spaß

Kurz darauf schießt ein auffällig kurzhaariger Mann auf einen gepanzerten weißen Jeep. Er visiert die Karosserie an und müht sich erfolgreich, die ebenfalls schusssicheren Scheiben nicht zu treffen. Zwei Männer inspizieren die Einschussstellen. Sie juxen und grinsen. Es war alles nur ein Riesen-Spaß.

Die von einem der Süddeutschen Zeitung nicht bekannten Filmer aufgenommenen Sequenzen stammen aus den Mai-Tagen 2003 - sie zeigen zwei ausgekochte Spezialisten des Bundesnachrichtendienstes (BND) nach ihrer Mission im Irak-Krieg: Der Kurzhaarige in dem Filmchen ist der BND-Agent Volker H., der nicht nur bei der Ballerei in der Wüste mittendrin war.

Der andere, der sich die Ohren zuhielt, weil er das Geknalle in der Ödnis nicht hören wollte oder so vornehm tat, ist sein Kollege Reiner M. Die Frage, was sie zwischen Februar und April 2003 in der irakischen Hauptstadt gemacht haben oder nicht, ist in Deutschland ein Politikum und kann über politische Karrieren entscheiden.

Seit ein paar Tagen halten sich die beiden im kalten Berlin auf, um sich auf den Einsatz auf einem gefährlichen Parkett vorzubereiten: Am Mittwoch traten sie vor den Mitgliedern des geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG) auf und berichteten über ihre Zeit in Bagdad. Was sie den Parlamentariern sagten, welchen Eindruck sie bei den Abgeordneten hinterließen, ist geheime Kommandosache.

Über die Feinheiten des PKG darf nicht öffentlich berichtet werden, die staatlichen Instanzen schotten sich ab. "Ein Geheimdienst ist geheim, weil er geheim arbeitet," sagt ein hochrangiger Nachrichtendienstler, der natürlich seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will.

Nur Non-Targets genannt?

Fest steht: Die Rohmeldungen über den Krieg, die Reiner M. und Volker H. aus Bagdad absetzten, landeten auch beim Pentagon-Geheimdienst Defense Intelligence Agency (DIA) in Stuttgart, und der gab das an die US-Luftwaffe weiter. Nach Darstellung des BND haben die beiden nur Non-Targets genannt.

Sie hätten Aufstellungen ziviler Ziele geliefert, die nicht angegriffen werden dürften - Krankenhäuser oder Schulen zum Beispiel. Amerikanische Quellen hingegen wollen auch zielrelevante Informationen vom deutschen Nachrichtendienst bekommen haben - Hinweise auf Panzer oder andere Fahrzeuge.

Es war ein Geheimkommando, und deshalb lief vieles wie hinter Milchglas ab. Theorien über ihren Einsatz wuchern auch in Pullach. Ohnehin neigen Nachrichtendienstler zu Verschwörungstheorien. Der Spruch: "Wenn ein Geheimdienstler Blumen riecht, schaut er sich nach einem Sarg um", skizziert das umlaufende Gerede in Pullach. Jeder traut fast jedem alles zu. Vor allem das Schlechteste. Da sind Geheimdienstler noch schlimmer als Politiker.

Was die beiden Troupiers vom BND machten, war jedenfalls angeblich Neuland für den Bundesnachrichtendienst. Die Pullacher Zentrale schickte erstmals nach langer Planung Leute in den Krieg. Die alten Residenten, Männer mit vielen Verbindungen, waren abgezogen worden.

Unterschlupf in der französischen Botschaft

Volker H. und Reiner M. hatten sich freiwillig für die heikle Mission gemeldet. Im Februar trafen sie in Bagdad ein, ausgestattet mit verschlüsselten Satellitentelefonen und einem gepanzerten Mercedes-Geländewagen. Sie fanden in der Residenz und in der französischen Botschaft Unterschlupf. Ein so genanntes Safehouse in Bagdad gab es auch.

Was sie meldeten, wurde Stoff für Vorlagen des BND bei der Bundesregierung. Gute Berichte steigern gewöhnlich das Ansehen des Dienstes bei den Regierenden. Ob und welche Verbindungen Reiner M. und Volker H. selbst zu amerikanischen Diensten hatten, ist noch Spekulation. Als im Dezember 2002 in der Zentrale in Pullach über die Kooperation zwischen BND und DIA im Kriegsfall gesprochen wurde, war keiner der beiden dabei.

Mittlerweile arbeiten sie getrennt: Reiner M. ist seit Sommer 2004 an der deutschen Botschaft im australischen Canberra. Volker H. dient an der deutschen Botschaft in Kairo. Allzu viel ist jedoch nicht bekannt über die beiden, nicht einmal das genaue Alter ist überliefert. Volker H. könnte Ende zwanzig sein, Reiner M. Mitte vierzig.

Von Canberra aus hatte er sich im Internet auf einer inzwischen abgeschalteten Homepage unter seinem Klarnamen mit Fotos und Familie präsentiert. Er hat eine nette Frau und zwei Kinder. Der Sohn ist schon - wie der Vater stolz im Internet verkündete - "bei der Truppe".

Der Biedermann im Internet

Wenn Fotos aufs Leben schließen lassen, ist M. ein Biedermann. Wer seine Homepage anklickte, stieß gleich auf das Bild einer Dose Holsten-Bier. Es handele sich nur um das Testbild für eine Kamera, wurde in der Unterzeile erklärt.

Andere Fotos zeigen den fröhlichen Agenten mit Freunden oder Bekannten im Garten in Canberra. Seine Adresse dort hat er ebenso auf der Homepage verraten wie seine Vorliebe fürs Reisen. Er muss Golfer sein, denn er macht einen entsprechenden Hinweis.

Offenkundig ist er kein Geheimdienstler von der alten Truppe. Früher jedenfalls war im Dienst alles ordentlich geheim geregelt. Jeder anständige BND-Mann hatte einen Decknamen - "Gänseblümchen", "Cäsar" oder "Caruso". Seit ein paar Jahren aber hat fast jeder nur noch seinen Klarnamen und neuerdings mancher auch seine Homepage: "Reiner, first on net, last to bed", war bei ihm zu lesen.

Aber über Männer wie ihn, dem das US-Militär nach dem Krieg einen Orden verlieh, sollte niemand spotten. Er betrachtet sich, erzählen Freunde, als deutschen Patrioten, und mancher im Dienst sieht in ihm auch einen Helden, der in Bagdad sein Leben riskiert hat.

"Belohnung für Bagdad"

Er ist ein höflicher Mann mit Stil. Als ihn vor ein paar Wochen der Fernsehjournalist Jörg Armbruster, der ihn 2003 in Bagdad kennen gelernt hatte, scheinbar zufällig, in Wirklichkeit aber auf Bitten des ARD-Magazins "Panorama" anschrieb, war M. ganz schön eitel. Er verriet, dass die Versetzung 2004 "down under" nach Canberra eine "Belohnung für Bagdad" gewesen sei, und wollte dann mehr über das Begehren des Journalisten wissen.

In seinem Geschäft glaube man "nicht an Zufälle dieser Art", schrieb er. Er wollte wissen, welche Bedeutung die E-Mail "aus der Vergangenheit" habe. "Ende März/Anfang April", teilte Reiner M. mit, werde er in Berlin sein. Nun ist alles ganz anders gekommen.

© SZ vom 19.01.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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