Vom Krieg in den US-Kongress:Ein Feldzug auf Augenhöhe

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Als Soldatin im Irak verlor Tammy Duckworth beide Beine, nun will sie als Politikerin mit der Bush-Regierung abrechnen. Die 38-jährige ist dabei voller Stolz auf ihr Land - und ihren Einsatz.

Christian Wernicke

Der Krieg ist ein Fluch. Für das Land, und ganz besonders für diese Frau. Weshalb Tammy Duckworth lieber von anderen Dingen spricht, wann immer sie erklären will, "wofür ich stehe und warum ich kämpfe". Reden kann sie, stundenlang sogar. Selbstsicher wirkt sie, so als sei diese Tammy Duckworth in ihren 38 Lebensjahren nie etwas anderes gewesen als Politikerin, Demokratin in Chicagos Vorstadt Lombard, Kandidatin im 6. Wahlbezirk von Illinois für den Kongress in Washington. Sie kennt genügend Hospitäler von innen, um die Misere des Gesundheitssystems zu beklagen. Routiniert zitiert sie Zahlen und Kennziffern, sobald sie schimpft, wie der Präsident im Weißen Haus den Kindern der kleinen Leute die Stipendien fürs Studium streicht, während er mächtige Großunternehmen mit überteuerten Milliarden-Aufträgen füttere.

Tammy Duckworth kandidiert für die Demokraten in Chicago (Foto: Foto: SZ)

Sie hat es doch erlebt, drüben in Bagdad: "Unseren Tanklastern fehlt die Schutzausrüstung, aber wir kriegten jeden Sonntag Steak und Hummer." Und das alles nur, damit eine Tochterfirma von Halliburton, bekanntlich einst der Arbeitsplatz von George W. Bushs Vize Dick Cheney, mit Armee-Essen ihren Reibach habe machen können. "Deshalb will ich in den Kongress", wettert Duckworth, "ich will aufstehen, Minister Rumsfeld in die Augen schauen und ihn nach diesen Verträgen fragen."

Mitleid will sie nicht

Das kommt an beim Publikum. Zumal bei den zwei Dutzend Parteifreunden, die sich an diesem lauen Sommerabend in Elk Grove Village hinter einem Bungalow im liebevoll gehegten Familiengarten versammelt haben, zum späten "Coffee with Tammy". Es ist eine beschauliche Runde unterm Sonnenschirm, mit selbstgebackenen Keksen, Saft und Eistee. Demokratische Diaspora, die meisten Nachbarn wählen rot, also Bush. Der Gastgeber, ein freundlicher Mittelständler, hat vorhin erzählt, wie er mit seiner Frau nach Bushs Wiederwahl 2004 überlegte, mit den drei Kindern nach Australien auszuwandern: "Ich habe die Nase voll, diese Regierung ist eine Schande." Derweil ist Tammy Duckworth mit ihrer bitteren Anekdote doch wieder da gelandet, wo sie herkommt - im Irak, im Krieg.

Es ist ein Teufelskreis, Fluchtversuche sind zwecklos. Wie denn auch? Mit ihrer linken Hand stützt sich Duckworth auf einen schwarzen Gehstock, und während sie jetzt auf einem Barhocker hin und her rutscht und redet, schimmert zwischen den weißen Söckchen und dem Saum ihrer blauen Hose das nackte, graue Metall hervor. Das also sind sie, die beiden Prothesen. Mancher schielt hin, und alle wissen Bescheid. Duckworth spürt die verstohlenen Blicke, nutzt die Neugierde: "Seht her, mein rechtes Bein ist hunderttausend Dollar wert." Für zwei, drei Sekunden hebt sie den stählernen Unterschenkel, dann punktet sie: "Als Soldatin hatte ich die beste medizinische Versorgung. Aber was wäre gewesen, wenn ich meine Beine drüben auf dem Highway bei einem Autounfall verloren hätte?" Da nicken alle, ein paar Zuhörer klatschen leise. Und einer murmelt "Rollstuhl, lebenslang."

Getragen von den Prothesen - und der Zuversicht

Mitleid will Duckworth nicht, das bringt sie keinen Schritt weiter auf ihrem weiten Weg nach Washington. Beifall, Spenden, Wählerstimmen - nur das zählt. Der Ertrag dieses Abends fällt bescheiden aus: In der Kristallschale, die zwischen Keks-Teller und Wassergläsern auf dem Gartentisch steht, stecken drei dünne Umschläge und ein paar lose Dollarscheine. Immerhin, in der Adressenliste für potenzielle Wahlhelfer entdecken Duckworths Mitarbeiter zwanzig neue Namen, was ihre Chefin prompt als "einen schönen Erfolg" verbucht.

So ist sie. Von dieser trotzigen Zuversicht wird sie getragen, viel mehr als von ihren zwei High-Tech-Prothesen. "Ich habe ja nichts zu verlieren", sagt Duckworth und legt dieses breite, mädchenhafte Lächeln auf. Das hat sie von ihrer Mutter geerbt, einer Thai, die während des Vietnamkriegs einen amerikanischen GI traf und heiratete. Duckworth, mithin ein Kind von Amerikas Kriegen, hatte Glück: "Mein Dad stand zu uns, andere Soldaten haben ihre Kids einfach dagelassen." Es sei nur "eine Laune des Schicksals" gewesen, dass sie im klimatisierten Auto saß, während draußen Gleichaltrige im Dreck nach verwertbarem Müll suchten. Diese Erfahrung speist einen unerschöpflichen Patriotismus. Trotz allem, bis heute: "Es könnte alles viel schlimmer sein. Ich bin nicht in Vietnam, ich bin hier, als Amerikanerin."

"Bush war mein Oberbefehlshaber"

Mit Mitte zwanzig meldete sich die Studentin der Politikwissenschaft zur Armee. "Ich wollte etwas zurückgeben." Deswegen ist sie mitgegangen, als der Marschbefehl für den Irak kam - mit Stolz, trotz innerer Skrupel. Noch heute senkt Duckworth die Stimme, wenn sie einräumt, sie habe "nie so recht an die Verbindung zwischen al-Qaida und Saddam geglaubt". Aber: "Meine Einheit, meine Männer" im Stich zu lassen, das wäre ihr wie Verrat vorgekommen. "Und Bush hatte die Stimmen der Amerikaner, er war mein Oberbefehlshaber." Ein Kamerad erzählt, in Bagdad habe Duckworth ihre Zweifel verschwiegen, wie fast alle, die ähnlich dachten. Wer das nicht begreife, solle sich noch mal den deutschen Film "Das Boot" anschauen: "Der U-Boot-Kommandant war auch kein Nazi."

Auch jetzt möchte Duckworth "nur dienen". Und sie möchte künftig frei aussprechen dürfen, was sie denkt. Das Amt im Kongress traut sie sich zu, "weil ich seit zwanzig Monaten irgendwie keine Furcht mehr kenne". Da ist sie wieder, die Referenz an den Krieg, die Erinnerung an den 12. November 2004: An jenem Tag steuerte die zierliche Majorin der Nationalgarde von Illinois einen Black Hawk über Bagdad, als eine Granate das Cockpit des Hubschraubers traf und ihr beide Beine und den rechten Arm zerfetzte. Ihr Co-Pilot wähnte sie tot, zog sie blutüberströmt aus dem Wrack. Zehn Tage später wachte Duckworth in einem Militärhospital nahe Washington auf. Nach zahllosen Operationen kämpft sie nun um ihr neues Leben. "Dies ist meine zweite Chance", sagt sie sehr ernst im Gespräch. Und lächelt wieder: "Ich weiß, es klingt kitschig: Aber ich spürte, ich muss mehr sein als ich war."

Inzwischen ist sie mehr, als ihr manchmal selbst geheuer sein mag. Denn ihre Parteiführung hat Duckworth - neben gleich einem Dutzend anderer Kriegsveteranen - nicht ohne Hintergedanken zur Kongresskandidatur gedrängt. Die Majorin, inzwischen mit dem "Purple Heart" ausgezeichnet und von Donald Rumsfelds Pentagon zur Heldin erklärt, soll den Demokraten als Schutzengel dienen: Mit ihr will die Opposition im Wahlkampf die Pfeile der Republikaner abwehren, die jeden Zweifel am Sinn des Irak-Einsatzes als unpatriotisch geißeln. Wann immer es ernst werde, würden die Demokraten kneifen, gab kürzlich Karl Rove, der Politstratege von George W. Bush, die Marschrichtung vor. Die Regierung bläst zur heimischen Schlacht um den Krieg.

Das Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats werden im November neu gewählt (Foto: Foto: AP)

Und die Demokraten sind schlecht aufgestellt. Da soll wohl auch Tammy Duckworth mit ihrer Kriegsverletzung herhalten, um jenen Streit zu verdecken, der im Innern der demokratischen Partei tobt: Die Linke will lieber heute als morgen die Truppen nach Hause holen, derweil moderate Senatoren wie Hillary Clinton jeden verbindlichen Fahrplan zum Rückzug ablehnen. Auch Duckworth, die Soldatin, warnt vor einem übereilten Abmarsch aus Bagdad: "Wir haben es vermasselt, also müssen wir so lange da bleiben, bis wir es hinkriegen." Aber beide Parteiflügel wissen offenbar, was sie an ihrer dekorierten Frau Major haben: Zu ihrem Sieg bei der demokratischen Vorwahl im März trug die finanzielle Nachhilfe von Hillary Clinton ebenso bei wie die von John Kerry, der inzwischen die Kriegsgegner für eine zweite Präsidentschaftskandidatur um sich zu scharen sucht.

Als Parteisoldatin hat sie keine Chance

Die Polit-Kadettin ahnt, dass ihr da zu viel aufgehalst wird. Sie atmet tief durch, spürt für einen Augenblick die Last ihrer Mission. Aber dann klopft sie mit der Holzkrücke dahin, wo einst ihr rechter Unterschenkel war, und übertönt das klingende Metall mit einem sehr lauten, sehr langen Lachen: "Tja, diese Beine müssen eine Menge tragen." Nein, einfach einspannen lasse sie sich von niemandem: "Wenn's mir reicht, melde ich mich zu Wort. Das wissen die."

Das sollen, das müssen auch ihre Wähler erfahren. Als reine Parteisoldatin hat Duckworth im DuPage County keine Chance. In den gutbürgerlichen Vorstädten westlich von Chicago, wo abends vor den schmucken Häuschen drei Autos in mancher Auffahrt parken und wo kein Unkraut wuchert im akkurat gemähten Vorgarten, stellen die Demokraten bei lokalen Wahlen oft nicht einmal Pappkameraden auf. Seit 32 Jahren haben sie hier immer denselben Republikaner in den Kongress geschickt. 16 Mal. Der tritt jetzt ab, und weil die Republikaner für diesen Erbhof einen strammen Rechten nominierten, setzt Duckworth mehr denn je auf Sympathien auch unter gemäßigten Republikanern.

Doch hoffen genügt nicht. Also hockt Tammy Duckworth derzeit stundenlang auf einem schwarzen Sofa in ihrer Wahlkampf-Zentrale und umgarnt am Telefon potenzielle Sponsoren: "Ja, ganz genau, ich bin die Kandidatin, die im Irak verletzt wurde." Das Durcheinander im Büro erinnert an eine Bürgerinitiative im Gründerstadium: In drei Ecken stapeln sich leere Kartons, zwischen Papierbergen stehen halb leere Kaffeebecher, auf dem Tisch liegt ein kaltes Sandwich. Ihr Mittagessen.

Es gibt ein Kopf-an-Kopf-Rennen

Es ist ein trübseliges Ladenlokal am Stadtrand von Lombard, in dem die Duckworth-Kampagne untergekommen ist. Vorn im Geschäftsraum, wo einst eine Reiseagentur residierte, tippen sechs Studenten auf privaten Laptops allerlei Adressenlisten. Lohn dürfen sie nicht erwarten, nur das Passwort zum internen Computernetz kriegen sie geschenkt. Ganz hinten, wo der süß-saure Geruch vom benachbarten China-Restaurant in den fensterlosen Raum zieht, steht der Schreibtisch von Jon Carson. 30 Jahre jung ist der Wahlkampf-Manager, im März erst kam er zurück aus Honduras, wo er sich im US-Peace-Corps um Wasserprojekte kümmerte. Aber Carson gilt als alter Hase, vor sechs Jahren managte er für den damaligen Vize-Präsidenten Al Gore die Vorwahlen im Schlüsselstaat Iowa. Auch Carson ist ein unverbesserlicher Optimist. 700 Freiwillige habe er bereits rekrutiert, bis zum Herbst will er diese Zahl verdreifachen: "So viele hatte ich damals in ganz Iowa nicht."

Carson zitiert Umfragen, die Duckworth bis November ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit den Republikanern verheißen: "Beide Parteien im Distrikt liegen derzeit bei 40 Prozent." Um nach 14 Jahren wieder die Mehrheit im US-Repräsentantenhaus zu ergattern, müssen die Demokraten den Republikanern zusätzlich 15 der insgesamt 435 Mandate abjagen. "Tammy wird eines davon haben." Ausgerechnet der verfluchte Krieg könne für seine Kampagne zum Segen werden, glaubt er: "Unter allen Themen, die die Leute hier als wahlentscheidend nennen, steht der Irak ganz oben an."

Vorn im Laden, direkt gegenüber vom Eingang, prangt ein gelbes Poster an der Wand. Das Plakat hing monatelang über Duckworths Krankenbett, jetzt braucht sie es hier. Es ist "The Soldier's Creed", das Glaubensbekenntnis der US-Armee.

"Ich werde niemals eine Niederlage akzeptieren," steht da in gefetteten Lettern, und: "Ich werde niemals aufgeben."

© SZ vom 28.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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