Visa-Affäre:Die Grünen - kopflos

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Inwiefern die Lichtgestalt Joschka derzeit als Problem-Mann seine Partei belastet und warum auch manchem in der SPD mulmig zumute ist.

Von Nico Fried und Reymer Klüver

Eigentlich hatten viele bei SPD und Grünen sich diese politische Woche ganz anders vorgestellt. Nach einem Sieg bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein wollte man genüsslich dabei zusehen, wie in der Union der Streit um Angela Merkel und ihre Führungsqualitäten neu entflammt.

Nun aber hat plötzlich die Koalition ein Personalproblem, mit dem niemals jemand gerechnet hätte: Joschka Fischer. Und das gilt keineswegs nur für die Grünen. Auch wenn die Fakten der Wahlforscher keinen schlüssigen Beleg ergeben, dass die Visa-Affäre in Schleswig-Holstein bereits Stimmen gekostet hat, so macht sich doch in der SPD ein mulmiges Gefühl breit, dass dies bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen schon ganz anders aussehen könnte.

In der Fraktionssitzung am Dienstag berichteten mehrere Abgeordnete aus Schleswig-Holstein, etliche Bürger hätten sie dort im Wahlkampf kritisch auf die Visa-Affäre angesprochen.

Auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück befürchtet negative Auswirkungen auf seine Landtagswahl und meinte deshalb, die Angelegenheit dürfe auf keinen Fall bis zum 22.Mai "weiter brutzeln".

Verängstigte Wahlkämpfer

Das entscheidende Problem ist dabei nicht nur die Frage, ob Visa zu freigiebig verteilt wurden. Die Gefahr für die SPD besteht vielmehr in der Verquickung dieses Themas mit der Zahl von fünf Millionen Arbeitslosen.

Gerade klassische SPD-Wähler in Arbeitnehmerschichten könnte die Vermengung von schlechter wirtschaftlicher Lage und zu geringer Kontrolle des Zustroms ausländischer Schwarzarbeiter verunsichern.

Deshalb birgt es auch innerkoalitionären Sprengstoff, wenn die Grünen weiter offensiv versuchen, die Visa-Affäre in eine prinzipielle Debatte über einen freundlichen Umgang mit Ausländern umzuinterpretieren - eine Argumentationsfigur, die in der SPD überhaupt nicht verfängt. Ohnehin findet man bei den Sozialdemokraten keinen, der die Verteidigungsstrategie Fischers und seiner Partei besonders positiv bewerten würde.

In der SPD muss zudem ein Ausgleich gefunden werden zwischen den verängstigten Wahlkämpfern in Nordrhein-Westfalen und der Bundes-SPD, die helfen will, den Außenminister zu retten.

In Berlin gilt die Devise, dass Fischer erst in den Untersuchungsausschuss gehen sollte, wenn ihm und den Abgeordneten die Aktenlage ausreichend bekannt ist. Alles andere, sagt ein SPD-Mann, "könnte zu einem peinlichen Ausgang führen". Deshalb, meint ein anderer, müsse man Steinbrück "klar sagen, dass er das Thema so schnell nicht los wird".

Bei den Grünen wird einerseits die Kritik am Krisenmanagement lauter, andererseits will man auch nicht in Hektik verfallen. Der Europaabgeordnete und Fischer-Vertraute Daniel Cohn-Bendit nennt das Verhalten der Grünen in einem Zeit-Interview "lächerlich" und fordert, seine Parteifreunde sollten aufhören, zu jammern und dem politischen Gegner Kampagnen-Politik vorzuwerfen.

Stattdessen hätten sich die Grünen schon vor drei Monaten, als die Vorwürfe gegen den Volmer-Erlass sich verdichteten, politisch erklären sollen.

Lappalien als Stolperstein

"Da sind einige kopflos", schimpft dagegen ein Berliner Stratege und meint damit die Freunde in Nordrhein-Westfalen. Allen voran hatte Bärbel Höhn, die grüne Frontfrau am Rhein, für eine frühe Aussage Fischers geworben - als könne man so das Thema vom Tisch bekommen.

Der Problem-Mann selbst zuckte auf entsprechende Bitten im Parteirat ratlos mit den Schultern. Fischer weiß es, seine Berater, alle Pragmatiker in Partei- und Fraktionsspitze wissen es, dass es zur Zeit keine Lösung gibt. "Double-Bind-Situation" nennen sie es, eine Lage, in der man dummerweise in doppelter Hinsicht gebunden ist.

Zieht Fischer jetzt in den Untersuchungsausschuss und macht aus Unkenntnis eine Aussage zu einem Punkt, an dem er vielleicht noch nicht ganz sattelfest ist, und muss das dann später revidieren: Schon wäre er in einer Situation, in der ein Rücktritt - horribile dictu! - fast unausweichlich erschiene.

Die Grünen haben inzwischen Untersuchungsausschüsse und Rücktritte genau studiert und wissen, dass Minister am Ende nur zu oft wegen Lappalien gehen mussten. Dann doch lieber, so die grünen Spin-Doktoren, jetzt die Attacken der Unionisten und Recherchen der Medien aussitzen.

Und die Hoffnung hegen, dass in den Aktenbergen des Ausschusses nicht allzu viel Material für neue unangenehme Fragen auftaucht.

© SZ vom 23.02.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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