Viktor und Viktor:Ein Duo wie die Ukraine

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Die Rückkehr von Viktor Janukowitsch an die Schalthebel der ukrainischen Macht weckt Befürchtungen. Dabei spiegelt die Machtbalance aus dem neuen Premier und dem bisherigen Präsidenten Viktor Juschtschenko die Kräfteverhältnisse im Lande wider. In der neuen Konstellation liegen daher auch Chancen.

Paul Katzenberger

Zum Showdown kam es in pechschwarzer Nacht, so etwa zwischen Mitternacht und drei Uhr morgens - wie es sich eben für einen richtigen Politkrimi gehört.

Arbeiten künftig nicht mehr gegen-, sondern miteinander: Viktor Janukowitsch (links) und Viktor Juschtschenko. (Foto: Foto: AP)

Als der ukrainische Präsident Viktor Jutschenko in den frühen Morgenstunden des Donnerstags dann aber vor die Öffentlichkeit trat, gab es nach einer viermonatigen Tragikomödie um die Macht immerhin ein konkretes Ergebnis: Er werde dem Parlament Viktor Janukowitsch als neuen Premierminister der Ukraine vorschlagen, verkündete der Präsident völlig überraschend, nachdem er noch sieben Stunden zuvor das Gegenteil behauptet hatte.

Mit Viktor Janukowitsch kehrt also ein Mann auf die politische Bühne der Ukraine zurück, der heftige Ambivalenzen auslöst.

Zur Schicksalsfrage stilisiert

Auch im Westen wurde das nun schon seit Monaten anhaltende Ringen um die Macht in Kiew zuletzt zur Schicksalsfrage für das Land stilisiert. Denn die politische Wiedergeburt des Wahlfälschers des Jahres 2004 geht mit großen Befürchtungen einher: Die Früchte der Orangenen Revolution seien nun endgültig perdu - die eben erst als Partner gewonnene Ukraine gerate wieder in den Einflussbereich Russlands, so die Logik in unseren Breiten.

Diese Sichtweise war allerdings schon immer viel zu holzschnittartig. Sie unterstellt, dass bei der Orangenen Revolution vor knapp zwei Jahren die "guten" Kräfte der West-Ukraine über die "bösen" Mächte des Ostens triumphiert hätten.

Kulturelle Unterschiede

Eine zutreffende Analyse der Lage im zweitgrößten Flächenstaat Europas war das allerdings noch nie. Denn Kategorien wie "gut" und "böse" eignen sich für kulturelle Unterschiede wie sie zwischen dem russisch geprägten Osten und Süden der Ukraine sowie dem österreichisch-polnischen Westen bestehen, nun einmal denkbar schlecht.

Denn neben den unterschiedlichen Auffassungen darüber, ob eher ein pluralistisches oder autoritäres Gesellschaftsmodell zum Zuge kommen solle, bestanden auf beiden Seiten auch gleichermaßen legitime Interessen. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Menschen im industrialisierten Osten der Ukraine die notwendigen Veränderungen und den Strukturwandel mit anderen Augen sehen als die Bevölkerung des landwirtschaftlich geprägten Westens.

Knapper Sieg

Noch schwerer wiegt allerdings, dass in der ersten Euphorie nach der Orangenen Revolution auch bei uns weitgehend übersehen wurde, wie knapp der Sieg des Reformlagers um Juschtschenko ausgefallen war. Nur mit dünner Mehrheit kam der neue Präsident ins Amt - das Land war in zwei nahezu gleich große Lager gespalten.

Für die Ukraine, in dem die demokratischen Institutionen keineswegs gefestigt sind, war dies schon per se keine gute Ausgangslage. Hinzu kam, dass sich das Reformlager zerstritt und Juschtschenko inzwischen als Zögerer und Zauderer gilt.

Die Hoffnungen der Menschen wurden so zunehmend enttäuscht: Nach wie vor grassiert die Korruption und auch der allgemeine Lebensstandard hat sich nicht wie erhofft verbessert. Die bis zum Jahr 2004 boomende Wirtschaft musste im ersten Amtsjahr des amtierenden Präsidenten sogar einen deutlichen Rückgang der Wachstumsraten hinnehmen.

"Gar nicht so ungut"

Ob es bei dieser Augangslage besser gewesen wäre, wenn das Reformlager erneut alle Schaltstellen der politischen Macht besetzt hätte, darf bezweifelt werden. Denn abermals hätte diese knappe Mehrheit die tatsächlich ja nahezu ausgeglichenen Kräfteverhältnisse nicht widergespiegelt. "Die jetzt eingetretene Kohabitation muss gar nicht so ungut sein", meint daher etwa der Ukraine-Experte Klaus Segbers von der Freien Universität Berlin.

Der Westen sollte die jetzt eingetretene Situation zum Anlass nehmen, das Land nicht immer nur nach den Kriterien "entweder - oder" zu beurteilen. Allzu gerne würde man hierzulande etwa gerne die Frage beantwortet wissen, ob sich das Land künftig näher am Westen oder an Russland orientieren will. Dabei kann die Antwort immer nur ein "sowohl als auch" beinhalten.

So sei die Ukraine beim Außenhandel zwar bereits zu zwei Dritteln auf den Westen ausgerichtet, dennoch werde das Land immer auch Beziehungen zu Russland unterhalten müssen, erklärt der Experte Segbers.

Chance

Die Herausforderung für die Ukraine besteht also nicht darin, möglichst dem westlich-orientierten Lager zum Sieg zu verhelfen, sondern den Antagonismus zwischen Ost und West unter einen Hut zu bringen. Insofern ist es möglicherweise sogar eine Chance für das Land, dass sich die beiden Akteure, die für diesen Kontrast stehen, nun zu einem Team zusammengerauft haben.

Dabei ist ein gewisser Optimismus auch deswegen erlaubt, weil viele der anstehenden Herausforderungen nur zum Teil unmittelbar mit dem russischen oder ukrainischen Nationalismus zu tun haben. Vielmehr geht es darum, die Ukraine wirtschaftlich voranzubringen. Die anstehenden Aufgaben seien verhältnismäßig trockener Natur - es gehe um die Haushaltspolitik, eine Banken- und Föderalismusreform sowie um eine klarere Regelung der Eigentumsrechte, betont Segbers.

Neue Absatzmärkte

Außerdem haben marktwirtschaftliche Reformen inzwischen auch für Janukowitsch ihren Reiz: Die Oligarchen, die offensichtlich seine Macht stützen, sind an neuen Absatzmärkten interessiert. Sollte die Ukraine ihren Reformkurs auch in der neuen Konstellation fortsetzen, lockt womöglich ein Freihandelsabkommen mit der EU. Dieses wäre nicht nur für den Präsidenten, sondern auch für den neuen Premier ein großer Erfolg.

Fragen von großer Brisanz wie die Nato-Mitgliedschaft oder der Status der russischen Sprache lösen sich im Laufe der Zeit hingegen möglicherweise von selbst. Denn die Nato-Mitgliedschaft steht auch aus Sicht des Verteidigungsbündnisses derzeit gar nicht zur Disposition. Die Militärs in Brüssel haben längst realisiert, wie aufwendig eine Integration der ukrainischen Streitkräfte wäre.

Orientierung an der Praxis

Die Anerkennung des Russischen als offizielle Staatssprache hätte wohl ihre Berechtigung. Denn im Alltag verständigen sich auch viele ethnische Ukrainer auf russisch. Sollte das Land möglicherweise doch langsam zusammenwachsen, könnten die Gesetzgeber in dieser Frage ganz unaufgeregt der Praxis folgen.

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