Als Held ist er in den Krieg gezogen, als Krüppel kehrte er zurück. Zwanzig Operationen hat er hinter sich. Und die Ärzte sagen, dass es ein Leben ohne Schmerz für ihn nicht mehr geben wird. Purpurrot brennen Narben auf Armen und Beinen.
Schrauben halten den rechten Fuß zusammen, zum Gehen braucht er einen Krückstock. Unter seinen wasserblauen Augen hat er tiefe Ränder, er schläft nicht gut. Terry Petersen, 24 Jahre alt, ist einer von inzwischen mehr als 10.000 schwer verwundeten US-Soldaten aus dem Krieg im Irak. Und er ist einer von denen, die das Gefühl haben, im Stich gelassen worden zu sein. "Ich liebe mein Land", sagt der junge Mann, "aber ich hasse die Armee."
Die Empörung war groß in Amerika, als vor ein paar Wochen die ersten Berichte auftauchten über das Los der Kriegsversehrten, die die US-Army unmittelbar nach ihrer Verwundung zwar erstklassig versorgt, dann aber verkommen lässt. Die meisten in einem Hospital ausgerechnet in der Hauptstadt Washington, gerade einmal fünf Meilen vom Weißen Haus entfernt.
Mäuse im Krankenzimmer
Der Präsident preist seine Soldaten regelmäßig als "America's finest", die Besten, die das Land zu bieten habe. Doch im Walter-Reed-Hospital in Washington, wo die Schwerverwundeten behandelt werden, herrschen erbarmungswürdige Zustände.
Mäuse flitzen durch die Krankenzimmer. Schimmel kriecht die Wände hoch. Und keiner zeigt wirklich Verantwortung für die an Leib und Seele verstümmelten Soldaten. Als die Washington Post die Missstände jetzt ans Licht brachte, war der öffentliche Aufschrei so mächtig, dass der Chef des Krankenhauses, der Generalarzt der Armee, und sogar der Armeeminister gehen mussten. Zu offenkundig war, dass Amerikas Armee die Versehrten mit einem System grausamer Gleichgültigkeit empfängt und sie mit Geringschätzung für ihren Dienst entlohnt.
Auch Terry Petersen war im Walter Reed. Kurz vor Weihnachten 2005 wurde er hingebracht. Eine Bombe war neben seinem Humvee explodiert, dem großen Geländewagen, am 8.Dezember gegen halb elf Uhr morgens in Bagdad.
Er erinnert sich an den Knall, "so laut, das gibt es im zivilen Leben nicht", und den dicken schwarzen Rauch. Und dann das Blut, das aus seinem linken Arm pumpte, und dann den Schmerz. Damals, in den ersten Stunden und Tagen, arbeitete das Rettungssystem der Armee mit bewundernswerter Präzision.
Hilfe von den Nachbarn
Binnen Minuten war der dem Verbluten nahe Oberleutnant im Bagdad Hospital. Er wurde nach Landstuhl in der Pfalz ausgeflogen und nach zwei Tagen weiter nach Washington. Drei Wochen lang war seine linke Hand an die Hüfte genäht, wurde von dort mit Blut versorgt. So verhinderten die Ärzte eine Amputation der Hand.
Nur Stunden nach der Explosion hatte die Armee seine Mutter benachrichtigt. Sogar Terrys Kommandeur in Bagdad rief sie an. Sie wurde informiert, wann er in Washington eintreffen würde. Alles klappte.
Nur im Nachhinein wurde ihr klar, dass da die Kette der Nachlässigkeiten schon begann: Irgendwie hatte es keiner für nötig befunden, ihr zu sagen, dass sie auf Kosten der US-Armee nach Washington hätte fliegen können. Eine Kleinigkeit gewiss.
Doch kommt die Betreuung ihrer verwundeten Kinder oder Ehepartner die Angehörigen ohnehin teuer zu stehen: Flüge, Hotel, Verpflegung, der Verdienstausfall daheim. Terrys Mutter Petra, 50 Jahre alt, eine Versicherungsangestellte und durchaus eine energische Frau, nahm unbezahlten Urlaub, um ihrem Sohn in den ersten Wochen beizustehen.
Inzwischen haben sich auf den Kreditkarten der Familie 11 000 Dollar Schulden angesammelt. Und es wären noch viel mehr, hätten Nachbarn in Warrenville, einem Schlafstädtchen im Westen Chicagos, nicht einen Benefizabend für Terry organisiert. Nachbarn, die auch eine Karte wie die geschickt haben, die bei Petersens aufgeklappt auf dem Küchentisch steht und auf der in Goldlettern zu lesen ist: "Möge Gott Dir Mut geben, dass dein Körper Kraft findet und die Seele Frieden."
Terry ist inzwischen, eineinviertel Jahre nach seiner Verwundung, zu Hause. Er hat Heimaturlaub. Den kann er getrost nehmen. Im Hospital in Fort Stewart in Georgia, wohin er verlegt wurde, geschieht ohnehin nichts.
Die Armee hat es nicht eilig, ihn, so gut es geht, wiederherzustellen. Er sitzt am Küchentisch, da kann er sein steifes Bein ausstrecken. Auf seinem rechten Unterarm, der bis auf die Hand unverletzt blieb, ist Miss Liberty, die Dame von der Freiheitsstatue, im Negligé eintätowiert.
"Es gab eine Zeit", sagt Terry, als er den Blick auf das Tattoo bemerkt, "da dachte ich, wir tun das alles für die Demokratie. Das haben wir uns jedenfalls eingeredet." Nach einer Pause setzt er gedankenverloren hinzu: "In Wahrheit ist es wohl nicht so. Und das ist Teil der Wut, die in einem steckt."
Und dann geschah nichts
Die staute sich auf, als er im Februar vergangenen Jahres, nach zwei Monaten stationärer Behandlung, zur Rehabilitation entlassen wurde und seine Odyssee ins absurde Dasein eines Kriegsversehrten begann. Terry wurde in einem Gästehaus auf dem Gelände des Hospitals in Washington untergebracht.
Und dann geschah nichts, einfach nichts. "Ich war ein Geist, ich existierte nicht für sie." Die Sachbearbeiterin der sogenannten Medhold, der Militärorganisation, welche die weitere Behandlung der Rekonvaleszenten organisieren soll, wusste nicht, wer er war.
Dem für die Offiziere zuständigen Hauptfeldwebel im Hospital sagte er fünf Mal, dass er auf weitere Behandlung wartete. Nichts passierte. Jedes Mal musste er seinen Fall neu vortragen, als wäre er ein frischer Patient. "Denen war alles egal."
Zur Apathie kam Schikane. In seinem Zimmer fiel die Klimaanlage aus. Niemand kümmerte sich um die Reparatur, obwohl die schwüle Sommerhitze in Washington unerträglich ist. Irgendwann wurde er in ein nahes Hotelzimmer ausquartiert. Die Kosten dafür musste er vorstrecken.
Als er um Erstattung bat, sollte er schriftlich nachweisen, dass er tatsächlich verwundet worden war. Als wäre er zu seinem Vergnügen da. Das Geld hat er bis heute nicht. 22 Formulare muss ein verwundeter Soldat im Schnitt ausfüllen.
Und von jeder Station schriftliche Aufenthaltsnachweise vorlegen: von Bagdad Hospital über Landstuhl bis nach Walter Reed. "Wenn du gerade um dein Leben kämpfst, achtest du nicht wirklich darauf, ob du alle Papiere zusammen hast."
Die Angst vor der Angst
Desinteresse mischte sich mit Chaos. Über Wochen blieb unentdeckt, dass sein Fuß wieder gebrochen war, er hatte sich an Schmerzen gewöhnt und Ärzte sah er nicht. Zu überlastet waren sie mit der Versorgung der Neuzugänge.
Ein Arzt setzte schließlich Terrys Verlegung in ein Militärkrankenhaus in Georgia durch. Doch auch dort geht nichts voran. Seit fast einem halben Jahr ist Terry dort. Auf zwei anstehende Operationen wartet er noch immer.
Wenn man eine Weile mit Terry am Küchentisch seiner Mutter gesprochen hat, bekommt man eine Ahnung davon, dass es in ihm ähnlich ausschauen muss wie auf seinen narbenübersäten Armen und Beinen. Bis ins Innerste ist er verwundet. Hat unkontrollierte Zornausbrüche. Träumt von verkohlten Leichen. Gerade die Nacht zuvor ist er aufgeschreckt und wollte nach einem durchgeladenen Gewehr greifen, weil er sicher war, dass jemand die Tür zu seinem Zimmer aufbrechen wollte.
"Ich weiß, dass ich eine Therapie bräuchte", sagt er. In Washington war er zunächst in Behandlung. Dann ist er nicht mehr hingegangen, warum, weiß er auch nicht so recht. Vielleicht, sagt er, weil es im Militär als unmännlich gilt, Ängste zu offenbaren. Niemanden kümmerte es, dass er nicht mehr kam.
Als er nach Georgia verlegt wurde, hat er seine psychischen Probleme gar nicht erst angesprochen: "Die würden mich eh nur wieder auf Beruhigungsmittel und Schlaftabletten setzen", sagt er. "Da sind sie gut drin." Tatsächlich, so hatten die Enthüllungen der vergangenen Wochen ergeben, sind Schmerz- und Beruhigungsmittel so ungefähr das Einzige, was in den Militärhospitälern ohne Schwierigkeiten erhältlich ist.
Befragungen ergaben, dass drei von vier Verwundeten ihren Aufenthalt im Walter-Reed-Hospital als Stress empfanden. Zehn Monate mussten sie im Durchschnitt ausharren, manche sogar zwei Jahre.
So gesehen hat Terry fast ein bisschen Glück, dass er in ein anderes Krankenhaus überwiesen wurde. Doch, sagt er, die Missstände sind eben nicht auf das Walter-Reed-Hospital beschränkt. "Die haben die ganze Armee erfasst, Tausenden ergeht es wie mir."
Inzwischen hat die Regierung reagiert. Der Präsident hat getan, was er gewöhnlich tut, wenn er unter Druck gerät: Er hat eine Kommission berufen. "Wir schulden ihnen alles, was wir geben können", hatte George W. Bush kurz vor Weihnachten bei seinem jüngsten Besuch im Walter-Reed-Hospital gesagt.
Bush wurde bei diesen Visiten stets auf die Amputiertenstation Ward 57 gelotst: Das ist die Vorzeigestation, renoviert und blitzblank geputzt. Den Rest des Hospitals hat das Militär dem Oberkommandierenden lieber nicht gezeigt.
Die Armee selbst hat inzwischen einen altgedienten General als neuen Leiter des Krankenhauses in Washington eingesetzt, der jetzt das bisher Unaussprechliche konstatiert: "Ein Gefühl des Misstrauens ins System ist verbreitet."
Ein Brigadegeneral wurde abgestellt, die Bürokratie auf Trab zu bringen. Eine Wounded Warrior Transition Brigade wurde geschaffen, den Verwundeten beim Papierkrieg zu helfen. Deren neuer Chef sagt schneidig: "Wir sorgen uns um ihre Probleme, die Verwundeten müssen sich nur darum kümmern, gesund zu werden."
Ähnliche Probleme in Großbritannien
So sollte es wohl sein. So war es nicht. Auch in Großbritannien nicht, das ebenfalls Tausende Soldaten in den Irak geschickt hat. Doch in Britannien gibt es keine Militärhospitäler mehr, die Verwundeten werden in staatlichen Krankenhäusern behandelt - und genauso schlecht versorgt wie die Durchschnittspatienten, wie sich an diesem Wochenende herausstellte.
Die Petersens sind patriotische Leute, für die der Dienst in der Armee selbstverständlich war. Bislang. Neben der Haustür flattert das Sternenbanner im kalten Märzwind, das einzige in der Nachbarschaft der gepflegten Siedlung mit kleinen, eng aneinandergeklebten zweigeschossigen Reihenhäusern.
Ins Wohnzimmerfenster haben sie eine zweite Fahne gehängt: roter Rand, weißer Grund und zwei blaue Sterne in der Mitte. Damit jeder sieht, dass zwei Leute aus diesem Haushalt im Einsatz sind fürs Vaterland. Außer Terry dient auch sein Stiefvater.
Er bildet Soldaten aus für den Häuserkampf im Irak -"ausgerechnet in drei Fuß hohem Schnee in Wisconsin", sagt Petra Petersen, und der Sarkasmus steht ihr ins Gesicht geschrieben. So hätte sie früher nie geredet.
Ein purpurfarbener Orden
"Was Terry und was wir durchstehen mussten, war der blanke Wahnsinn", sagt sie. Noch immer macht sie die Erinnerung an die frustrierenden Wochen ganz verrückt, in denen sie durch die Korridore des Armeehospitals von Büro zu Büro gehastet ist auf der vergeblichen Suche nach jemandem, der sich für ihren Sohn verantwortlich fühlte.
"Das muss aufhören", sagt sie. "Diese Jungs gaben alles. Ihr Leben ist nicht mehr dasselbe, sie sind nicht mehr dieselben." Sie bricht ab, weil sie nicht aussprechen will, was sie nach all dem denkt: Die jungen Soldaten werden zerschossen - und es kümmert niemanden in der Armee, der sie so gerne dienten.
"Das", sagt Petra Petersen nun, "das ist unentschuldbar." Es ist das Gefühl verraten zu werden, verraten und verkauft, von jemandem, dem man glaubte, blind vertrauen zu können. Schließlich war sie es, die ihrem Sohn geraten hat, zur Armee zu gehen. Das setzt Leuten wie den Petersens zu. Und Terry, der junge Oberleutnant, fügt mit einem dünnen Lächeln hinzu: "In die Luft gejagt zu werden, war noch das Einfachste."
Er stemmt sich ächzend am Küchentisch hoch und humpelt ins Wohnzimmer. Terry will das Röntgenbild von seinem Fuß holen, dem mit den fünf Schrauben. Und sein Purple Heart, den kleinen, purpurfarbenen Orden für die Verwundeten. Purpurrot wie seine Narben.