Vertrag von Aachen:Zwei für Europa

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Es ist gut, wenn Deutschland und Frankreich in der EU vorangehen. Aber es wäre verheerend, wenn sie dabei die anderen Mitgliedstaaten abhängen würden.

Von Daniel Brössler

Nach diesem Tag, nach diesen Unterschriften von Aachen wird man Emmanuel Macron und Angela Merkel noch vieles vorwerfen können, aber eines nicht: dass sie den Ernst der Lage verkannt hätten. Der Präsident Frankreichs und die Kanzlerin Deutschlands haben der Versuchung widerstanden, die Zeremonie zur Unterzeichnung ihres Vertrages zum Anlass zu nehmen für wolkige Verkündungen. Stattdessen haben sie ein handfestes gemeinsames Gelöbnis abgelegt. Sie haben sich zur Verantwortung Frankreichs und Deutschlands bekannt für ein Europa, das bedroht von außen wie von innen in existenzieller Gefahr schwebt. So sehr um jedes Wort im Vertrag von Aachen, der nach 56 Jahren anknüpft an den Élysée-Vertrag, gerungen worden sein mag, so wenig kommt es auf jede Einzelheit an. Entscheidend wird nun sein, was Deutsche und Franzosen aus ihrer erkannten Verantwortung machen.

Macron hat in Aachen einen Weg gewiesen, der geradezu selbstverständlich zum Ziel zu führen scheint. Jeder Schritt, den Deutsche und Franzosen sich aufeinander zubewegten, verringere die Distanz, sagte er. Das ist richtig, beschreibt aber auch das Problem in einer auf vielfältige Weise auseinanderstrebenden Europäischen Union. Jeder Schritt, der Deutsche und Franzosen einander näher bringt, kann sie gemeinsam entfernen von anderen Ländern. Über Jahrzehnte haben Deutschland und Frankreich die europäische Einigung vorangetrieben. Der Vertrag von Aachen soll diesen Antrieb modernisieren und leistungsfähiger machen. Deutsche und Franzosen schaffen darin neue Institutionen, verpflichten sich zu noch engeren Absprachen. Daran ist nichts per se verkehrt - aber in der EU der 28 und von Ende März an wohl der 27 auch nichts automatisch richtig. Für die Ausrichter der Feier von Aachen spricht, dass sie das erkannt haben.

So war der vielleicht wichtigste Gast weder Deutscher noch Franzose, sondern Pole. EU-Ratspräsident Donald Tusk ist aus Danzig angereist, wo er am Begräbnis des ermordeten Bürgermeisters Paweł Adamowicz teilgenommen hatte. In Aachen fiel Tusk der Part des Mahners zu, der den Gastgebern das Versprechen abforderte, mit engerer Kooperation im kleineren Kreis das europäische Projekt im Großen nicht zu gefährden. Tatsächlich ist ein deutsch-französischer Vertrag 2019 nur zu verantworten, wenn er etwa den Menschen in Danzig keine Angst macht.

Darin liegt die ungeheure Schwierigkeit. Nur Deutschland und Frankreich können das Kraftzentrum Europas bilden; es gibt kein anderes. Im Süden wie im Osten testen regierende Populisten und Nationalisten die Einheit der Union. Bei den Europawahlen im Mai haben die EU-Feinde und Europaskeptiker die Chance, die Union an den Rand der Unregierbarkeit zu führen - und womöglich sogar darüber hinaus. Deutschen und Franzosen bleibt also keine andere Wahl, als einen verlässlichen Kern zu bilden. Die Kunst besteht darin, das zu tun, ohne die Gegner zu stärken. Der EU dient, was sie effizienter, handlungsfähiger macht. Ihr schadet, was die Furcht vor Fremdbestimmung und Ausgrenzung anheizt.

In diesem Spannungsfeld muss sich der Aachener Vertrag bewähren. Natürlich ist es gut, wenn Deutsche und Franzosen sich in der Außenpolitik besser abstimmen; auch engere militärische Kooperation ist nicht verkehrt. Seinen Zweck erfüllt das aber nur, wenn die EU als Ganze ernster genommen wird. Bündeln Paris und Berlin ihre Kräfte, sind sie zwar stärker, aber immer noch schwach. Schon jetzt ist klar, dass Europa in den kommenden Jahrzehnten weder wirtschaftlich noch politisch einen Platz in der Welt einnehmen kann, der auch nur annähernd dem eigenen Selbstbild entspräche. Für die Europäer geht es darum, sich im wilden Tanz der Großmächte ihrer Haut zu erwehren. Umso bedauerlicher ist, dass im Aachener Vertrag die Idee eines EU-Sitzes im UN-Sicherheitsrat begraben wird. Das schwächt Macrons Mantra, nur gemeinsam seien Europas Völker noch souverän. Falsch wird es dadurch nicht.

Noch wichtiger als diese Erkenntnis ist, dass sich den Menschen der Nutzen der EU auch im Kleinen erschließt. Das Votum für den Brexit war möglich, weil die Lügen der Brexiteers stärker waren als die von den Briten im eigenen Leben wahrgenommen Vorzüge der Gemeinschaft. In Frankreich sollen Schauermärchen der Populisten von rechts wie links die deutsch-französische Vereinbarung diskreditieren und Ängste vor deutscher Übermacht schüren. Die richtige Antwort darauf ist der praktische Teil des Aachener Vertrages, der das Leben in den Grenzregionen einfacher machen und die Grenze als alltägliches Hindernis verschwinden lassen soll. Am Ende haben die Bürger die Wahl zwischen Propaganda und Praxis.

Bei der Zeremonie am Dienstag hat Rumäniens Präsident Klaus Johannis zu Recht den "Geist von Aachen" beschworen. Nicht für Deutschland und Frankreich, sondern für Europa.

© SZ vom 23.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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