Verfassungsgericht:Politische Entpolitisierung

Lesezeit: 2 min

Die Union beruft einen neuen Spitzen­richter für weniger Ein­mischung.

Von Heribert Prantl

Stephan Harbarth. Man wird sich den Namen merken müssen. Er wird eines der wichtigsten Ämter der Republik bekleiden. Erst wird er Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts werden, dann wird er Andreas Voßkuhle, dem jetzigen Präsidenten, nachfolgen.

Harbarth, 46 Jahre alt. Beruf? Derzeit zwei. Der erste: Bundestagsabgeordneter der CDU seit 2009, stellvertretender Fraktionschef. Der zweite: Wirtschaftsanwalt, Spezialist für Finanzmarktrecht. Im Handbuch für Wirtschaftskanzleien wird er als "fairer Kollege mit exzellenten Rechtskenntnissen" beschrieben. In einem anderen Handbuch, dem des Bundestags, wird sein Einkommen aus dem zweiten Beruf, "Nebenverdienst" genannt, jenseits der 250 000 Euro-Marke notiert. Wenn man seine Vita studiert und boshaft sein will, könnte man sagen, dass es künftig im Verfassungsgericht merzelt; wie Merz ist Harbarth von der Wirtschaftswelt geprägt.

Aber nicht deshalb hat der Juristinnenbund seine Wahl kritisiert. Die Juristinnen monieren, dass zum dritten Mal hintereinander ein Mann den Chefposten in Karlsruhe bekleidet. Es wird auch wenig kritisiert, dass ein Politiker ins höchste Richteramt einrückt. Das liegt daran, dass Harbarth nicht im Rampenlicht agiert hat.

Selbst bei Rechtspolitikern gilt er als unbeschriebenes Blatt - vielleicht deshalb haben seiner Wahl (die CDU hatte das Vorschlagsrecht) auch SPD, FDP und Grüne zugestimmt. Man erinnert sich verdutzt an die furchtbaren Streitigkeiten in früheren Zeiten, als Herta Däubler-Gmelin (SPD) Vizepräsidentin in Karlsruhe werden wollte und von der Union mit Macht abgeblockt wurde.

Günter Krings, CDU-Staatssekretär im Bundesinnenministerium, ursprünglich als Favorit für Karlsruhe im Gespräch, wollten vor allem die Grünen nicht, weil er ihnen zu parteipolitisch war. Angelika Nußberger, Vizepräsidentin des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, gilt zwar als CDU-nah, war aber, wie man hört, der Union zu menschenrechtslastig. So griff man dort zu einem Juristen, den man als kapitalmarktlastig bezeichnen könnte. Harbarth ist Mit-Herausgeber der Zeitschrift Die Aktiengesellschaft. Die Herausgeberschaft von "Die Menschenrechte" hätte wohl mehr gestört.

Was die Wahl des neuen Verfassungsrichters Stephan Harbarth bedeutet

Es gehört nun aber zu den Wundern der Bundesrepublik, dass das parteipolitisch gelenkte Auswahlverfahren zumeist respektable Ergebnisse gezeitigt hat: Richter, die ihre Unabhängigkeit trotz Vorab-Befürchtungen bewiesen haben. Das gilt auch für die, die vorher Politiker waren und an die Spitze des Gerichts rückten: Ernst Benda (CDU), Roman Herzog (CDU), Jutta Limbach (SPD). Das wird, hoffentlich, auch für Harbarth gelten.

Die Politisierung, die dem Gericht diesmal drohen könnte, ist eigentlich eher eine Entpolitisierung. Die Parteien, zumal die Union, haben immer wieder kritisiert, dass sich Karlsruhe zu viel in ihre Politik eingemischt habe - obwohl das, in Form der Gesetzeskontrolle, gerichtliche Aufgabe ist. Die Wahl Harbarths könnte der Versuch sein, das zu korrigieren und in Karlsruhe andere Akzente zu setzen. Anders als alle bisherigen Verfassungsrichter, die aus der Politik kamen, ist Harbarth vom Verfassungsrecht so gut wie unbeleckt.

Der Politiker Harbarth hat gegen die Ehe für alle gestimmt; in der inneren Sicherheit gilt er als Hardliner. Damit mögen sich bei Konservativen Erwartungen an den Richter Harbarth verbinden. Es wäre gut, wenn er diese enttäuschte.

© SZ vom 26.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: