Venezuela: Chavez schließt Sender:Im Studio riefen sie noch einmal: "Freiheit!"

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Auch die EU protestierte heftig: Venezuelas Staatschef macht einen Fernsehsender dicht, der zum Putsch aufgerufen hatte. Die 53 Jahre alte private TV-Station wird durch eine staatliche Anstalt ersetzt.

Peter Burghardt

Als der Sonntag zu Ende ging, da war die Ära von Venezuelas ältesten Fernsehsender vorbei, fürs erste zumindest. In den letzten Stunden zeigte Radio Caracas Television (RCTV) noch einmal tränenreiche Rückblicke auf 53 Jahre Spektakel, Seifenopern und ein wenig Politik.

Das Publikum mochte vor allem die seichten Fortsetzungsgeschichten, genannt Telenovelas. Sie hatten den Privatkanal zum populärsten Medium des Landes gemacht und zu einem erfolgreichen Exporteur. Außerdem, und darum geht es, war RCTV der lauteste Kritiker von Präsident Hugo Chavez. "Freiheit", riefen die Moderatoren. Kurz vor Mitternacht wurde die Nationalhymne gespielt, danach blieb der Bildschirm für einen Moment schwarz. Kurz darauf ging auf derselben Frequenz der staatliche Nachfolger namens Televisora Venezolana Social (Teves) auf Sendung - während auf den Straßen für und gegen diesen Wechsel demonstriert wurde.

Der Fall fand internationale Beachtung. Die Europäische Union habe "mit Sorge von der Entscheidung erfahren, die Lizenz . . . ohne eine offene Ausschreibung für die Nachfolgelizenz auslaufen zu lassen", hieß es in einer von der deutschen Ratspräsidentschaft veröffentlichten Erklärung. Die EU erwarte, dass Venezuela die Meinungs- und Pressefreiheit als "grundlegende Elemente der Dekokratie" gewährleiste. Auch der US-amerikanische Senat und die Interamerikanische Pressevereinigung kritisierten Chavez` Vorstoß.

Trotz heftiger Gegenwehr hatte der Staatschef von Venezuela seine Drohung wahr gemacht, RCTV aus dem frei empfangbaren Programm zu nehmen. Offiziell lief lediglich die Lizenz aus und wurde nicht verlängert. Andere wie Venevision und Globovision dürfen trotz ihrer Regierungskritik weitermachen. RCTV habe ständig "die öffentliche Moral überfahren" und sich "in eine Bedrohung für das Land, für die geistige Gesundheit der Kinder verwandelt", erläuterte Chavez. Nun schließe sich ein Zyklus.

Er bezeichnete den Konzern als Organ der Wirtschaftselite, ganz besonders beim gescheiterten Putschversuch 2002. Damals schilderte RCTV genüsslich, wie der frühere Fallschirmjäger von Teilen der Armee aus dem Amt befördert wurde - und unterschlug, wie er nach drei Tagen von treuen Offizieren wieder eingesetzt wurde. Noch vor kurzem rief ein RCTV-Mann die Streitkräfte mehr oder weniger direkt dazu auf, den mehrmals gewählten Staatschef zu stürzen.

Unterwegs zum Totalitarismus?

Auf ähnliche Weise hatte sich Chavez nach einem Generalstreik 2003 an der Ölgesellschaft PdVSA revanchiert und tausende Mitarbeiter entlassen. RCTV-Direktor Marcel Granier bezeichnete den Umgang mit seinem Sender als "politische Rache" und "Diskriminierung". Die Maßnahme sei "willkürlich und illegal". Venezuela befinde sich nicht auf dem Weg in den Sozialismus des 21.Jahrhundert, wie Chavez behaupte, sondern sei unterwegs zum Totalitarismus.

Tausende Demonstranten protestierten in Caracas gegen das Ende der öffentlichen Übertragungen, darunter viele der 3000 Angestellten von RCTV. Vereinzelt kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei. RCTV kündigte zwar an, via Kabel weiter machen zu wollen. "Verliert nicht die Hoffnung, wir sehen uns bald wieder", erklärte ein Sprecher, "wir kehren zurück." Doch der Oberste Gerichtshof gab Chavez recht und will sogar die Sendeausrüstung dem neuen Kanal übereignen. Der Präsident fällt seine Entscheidungen allein und bekam vom Parlament umfassende Sonderrechte.

Laut Umfragen sind wegen der geliebten Telenovelas mehr als 70 Prozent der Venezolaner gegen das Ende von RCTV, die überzeugtesten Chavez-Anhänger allerdings feierten. Teves spielte zum Einstand ebenfalls die Nationalhymne und zeigte anschließend Werbespots der Regierung und einen Beitrag über Simon Bolivar, Chavez' Vorbild.

© SZ vom 29.5. - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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