USA: Vorwahlen in New Hampshire:Ein Volk auf der Suche

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Die Vorwahlen in New Hampshire machen eines deutlich: Amerikas Wähler tasten noch nach einem Gleichgewicht zwischen Wechsel und Stabilität.

Christian Wernicke

Seit knapp einem Jahr schon ziehen die Kandidaten von Amerikas beiden Großparteien nun übers Land. Und doch erahnt niemand, wer im November das Weiße Haus erobern wird. Jede Vorwahl setzt einen neuen Trend.

Amerika ist verunsichert über den eigenen Kurs. Die Nation will George W. Bush entkommen, der nicht nur die Welt, sondern auch das eigene Volk stets in Gut und Böse, in Links und Rechts teilte. (Foto: Foto: AFP)

Noch vorige Woche in Iowa schrie das Volk nach Erneuerung, nach dem demokratischen Erlöser Barack Obama und dem republikanischen Prediger Mike Huckabee. Nun wiederum rufen die Vorwähler zu New Hampshire nach Erfahrung und vermeintlich zur Vernunft - weshalb plötzlich wieder Hillary Clinton und John McCain, die zwei ältesten Gesichter im Favoritenfeld, erstrahlen.

Während sich die Nation berauscht, wird den Analysten schwindelig, taumeln die Parteistrategen im eigenen Wirbel. Dreht sich alles nur im Kreis, gar auf der Stelle?

Das Comeback im Doppelpack, das New Hampshire in der Nacht zum Mittwoch den beiden Polit-Veteranen Clinton und McCain bescherte, offenbart vorerst nur: Amerika ist verunsichert über den eigenen Kurs. Die Nation will George W. Bush entkommen, der nicht nur die Welt, sondern auch das eigene Volk stets in Gut und Böse, in Links und Rechts teilte.

Nur, noch tasten die Wähler unsicher nach einem Gleichgewicht zwischen Wende und Stabilität - in beiden Parteien.

Hillary Clinton verheißt programmatisch einen Bruch mit Bush, ihre Person jedoch symbolisiert die Rückkehr in die neunziger Jahre. Und der Republikaner John McCain, der im Januar 2009 mit dann 72 Jahren als ältester Präsident der US-Geschichte den Amtseid leisten würde, gilt seinen Landsleuten zwar als verlässlicher Fahrensmann. Wie kein zweiter verkämpft sich der Vietnamsoldat fürs Durchhalten im Irak. Aber Respekt erwarb sich McCain vor allem als widerspenstiger Kritiker der noch amtierenden Regierung.

Wohin also? Zurück in die Zukunft? Oder vorwärts in die Vergangenheit? Solche Formeln verkennen, wie sehr Barack Obama, der Verlierer von New Hampshire, bisher der Sieger dieses Wahlkampfs ist. Er artikuliert, so vage wie leidenschaftlich, die Sehnsucht nach einem fundamentalen Wandel in Washington.

"Change", nach diesem Zauberwort greifen inzwischen alle Aspiranten. Obamas Hoffnung auf einen anderen politischen Stil hat eine Art Volksbewegung losgetreten, die längst nicht mehr nur Demokraten fasziniert. Er verlangt im Kern eine Entideologisierung der Politik. In ihren Köpfen und auch mit Bauch und Herz haben sich Millionen von Menschen mit diesem Jung-Senator auf die Suche nach einer neuen Mitte gemacht, die nicht in seelenlosem Geschachere verendet.

Obama pflügt das Terrain um, will ausbrechen aus den verkrusteten Furchen der letzten sieben, ja 15 Jahre. Egal, was aus seinen Ambitionen wird: Je länger er durchhält, desto leichter wird es dem nächsten Präsidenten fallen, Washington von seinen elenden Reflexen, aus seiner lähmenden Selbstblockade zu befreien.

Als Erste und am heftigsten durchlebt diese Lektion gerade Hillary Clinton. Nein, es sind nicht nur ein paar (nie vergossene) Tränen, die vor allem die Frauen von New Hampshire nun mitleidig zu Clinton zurücktrieben. Ihr Gefühlsausbruch beim Kaffeekränzchen war, ob ungewollt oder gar inszeniert, ein Symbol der Selbstbefreiung: Bisher glaubte sie, sich Volk und Nation mit ihrer übermächtigen Wahlkampf-Maschine gefügig machen zu können.

Nun menschelt Hillary, offenbart sie Schwäche. Das stärkt die vermeintlich Unvermeidliche, vielleicht sogar im Ringen mit ihrem größten Manko - jenem fast unerklärlichen Hass, den viele Republikaner empfinden, sobald sie auf der Bildfläche erscheint.

New Hampshire, schon auserwählt als Friedhof der Clinton-Dynastie, hat Hillary wiederbelebt. Und McCain, der angebliche Greis, wirkt verjüngt. Kampagnen und Karawanen ziehen weiter, Amerikas Demokratie tobt sich aus. Der Anfang vom Ende des Wahlkampfs fand nicht statt. Es war nur das Ende vom Anfang.

© SZ vom 10.01.2008/bica - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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