USA:Der Krieg frisst sich ins Land

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Jeff Hubbard hat zwei seiner Söhne im Irakkrieg verloren. Über seinen Versuch, mit der Trauer umzugehen.

Reymer Klüver

Ein jegliches hat seine Zeit, sagte der Reverend. Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit. Da konnte Jeff Hubbard nicht mehr. So sehr er sich gemüht hatte, die Fassung zu wahren. In der Linken hielt er seine Brille, in der Rechten das weiße Taschentuch, um sich die Tränen aus den Augen zu wischen. Denn es war Nathans Zeit gekommen zu sterben. 21Jahre ist sein Jüngster alt geworden.

Jeff Hubbard (r.) mit seinem letzten noch lebenden Sohn Jason (Foto: Foto: AP)

Vor ein paar Tagen haben sie ihn zu Grabe getragen im San Joaquin Valley in Kalifornien. Ein strahlend heiterer Sonnentag war es, und die Berge der Sierra Nevada flimmerten in der Hitze. Hunderte waren da, säumten den Straßenrand, mit Sternenbannern in der Hand. Die Route von der Kirche St. Anthony in Fresno zum District Cemetry, dem Friedhof von Clovis, der Heimatstadt des Jungen, hatten sie mit den Farben der Nation geschmückt für Nathans letzten Weg. Blau und rot und weiß, Meile um Meile. Männer salutierten, als der weiße Leichenwagen vorüberfuhr.

So wie vor drei Jahren. Da hatten sie Jared dort zur Ruhe gebettet, wo sie nun auch Nathans Eichensarg ins trockene Erdreich senkten, während der Ehrensalut durch das Tal rollte. 21 Schuss. Nathan und Jared sind Brüder, und beide sind sie gefallen im Irak, Opfer eines Krieges, den die Nation nicht mehr will und der doch nicht enden wird. Und jede Nachricht vom Verlust eines weiteren Soldaten wirft erneut und noch eindringlicher die Frage auf, welchen Sinn das Sterben in der Ferne hat. Erst recht, wenn der Tod eine Familie nun schon zum zweiten Mal heimsucht.

Nathan war am 22. August in einem Hubschrauber bei einem Anti-Terror-Einsatz über der Wüste abgestürzt. Sein älterer Bruder Jared ist vor drei Jahren gefallen, von einer Bombe zerfetzt. Wenigstens der 33-jährige Jason soll Peggy und Jeff Hubbard nun bleiben. Ihr Ältester. Auch er hatte im Irak gekämpft, im selben Zug sogar wie Nathan. Er war dabei, als seine Kameraden die Leiche aus dem Hubschrauberwrack bargen.

Nun hat ihn die Army nach Hause geschickt. Einen dritten Toten in einer Familie wollen sie im Pentagon nicht riskieren. Schon da überschlugen sich die Agenturen und Kabelsender in ihrer Berichterstattung. Und alle kamen sie auf die im Zweiten Weltkrieg entwickelte Regel des Militärs zu sprechen, einer Familie jedenfalls einen Sohn zu lassen.

Im Vorgarten weht die US-Fahne auf Halbmast

Es ist eine stille Vorstadtstraße, in der die Hubbards in Clovis wohnen. Solche Straßen mit gedrungenen Einfamilienhäusern gibt es zu Abertausenden in Amerika. Der Rasen ist sauber gemäht, die Ränder zum Plattenweg sind präzise abgestochen. Im Vorgarten weht die US-Fahne, auf Halbmast. Im Flur haben Peggy und Jeff Fotos ihrer Kinder aufgehängt, große Farbporträts mit breiten Holzrahmen auf beige getünchter Wand.

Die drei Bilder der ernst dreinschauenden Jungs hängen untereinander, alle sind sie in Uniform, Jason und Nathan im Dunkelgrün der Army, Jared im schwarzen Ausgehrock der Marines. Doch wie viel mehr sagt ein Foto, das die Hubbards nicht aufgehängt und gerahmt haben. Ein Foto, aufgenommen um die Weihnachtszeit 2004, nach Jareds Tod. Es zeigt die Eltern mit ihren beiden damals einrückenden Söhnen. Jeff, hochgewachsen und stoisch hinter den beiden Jungs, die das schwarze Barett der 25. Infanterie-Division tragen. Rechts die zierliche, blonde Peggy, die sich an die Schulter ihres Jüngsten hängt - als könnte sie ihn noch zurückhalten.

Sie seien keine der typischen Militärfamilien, in denen es einfach dazugehört, zur Truppe zu gehen, sagt Jeff, der Alte. Ihm selbst war es nie in den Sinn gekommen. Aber als seine Söhne sich freiwillig melden wollten, hat er ihnen nicht abgeraten. "Ich habe sie auf die Gefahren hingewiesen. Ich habe sie darauf hingewiesen, dass es, wenn sie es schon machen wollten, clevere Arten gibt und nicht ganz so clevere.''

Aber am Ende war es ihre Entscheidung. Und Nathan war "ein wilder Kerl''. Mit Flausen im Kopf, wie man sie eben hat mit 20. Unterwasser-Schweißen hat er gelernt und Free-Climbing. Nach seiner Zeit beim Militär wollte er erst einmal Rodeos reiten, vielleicht auch nach Alaska gehen. Jason, sein Bruder, hatte schon Frau und Kind. Aber er wollte den Jüngeren nicht allein lassen, sagt der Vater, "für ihn war das ein großes Opfer.''

Zweifel gab es

Natürlich haben sie sich Sorgen gemacht, "sure'', sagt Jeff, ganz sicher. "So wie damals, als Jared, der Mittlere, unbedingt Football spielen wollte, und wir wussten, wie gefährlich das Ganze ist. Dass es schwerste Verletzungen und sogar Tote bei den Spielen gab.'' Ob er manchmal Zweifel habe, seinen Söhnen das Richtige gesagt zu haben. "Sicher'', sagt Jeff wieder und holt tief Luft. Das Kostüm der Gefasstheit ist sehr dünn. Und er muss sich spürbar zusammenreißen, den Schmerz nicht herauszulassen. Das ist das Letzte, was er will.

Monoton spricht der großgewachsene Mann, der die wenigen Haare, die ihm geblieben sind, über die lichten Stellen kämmt, den Scheitel links akkurat gezogen. 55 Jahre ist er alt und nach drei Jahrzehnten bei der Polizei in Clovis im Vorruhestand. Im Ordnungsamt der Stadt hilft er nun regelmäßig aus, im Teilzeitjob.

Er spricht mit leicht schnarrender Stimme, ohne Betonungen, so wie er es wohl gelernt hat, wenn er Zeugen oder Verdächtigen ihre Aussagen nochmal vorlas, ehe sie gegenzeichneten. Und fast klingt es so wie im Polizeibericht, wenn er die Gründe darlegt, warum seine Söhne in den Krieg gezogen sind und er sie daran nicht hindern wollte. Nüchtern, emotionslos.

Fragen wehrt er ab, wie sie nun mit dem Verlust eines weiteren geliebten Menschen an diesen Krieg umgehen. Jeder zeige Trauer auf seine Art, sagt er, das sei doch von Mensch zu Mensch ganz verschieden. "Wir müssen damit allein zurechtkommen, und das tun wir. Die Sonne geht jeden Morgen auf, und niemand fragt uns, was wir davon halten.'' Manchmal müssten sie jetzt allein sein, er und seine Frau, aber eigentlich wollten sie sich nicht zurückziehen, sondern "Teil der menschlichen Gesellschaft bleiben'', wie er sich ausdrückt.

Jared, der Mittlere, hatte sich im Oktober 2001 freiwillig gemeldet, im Monat nach 9/11. "Da war schon viel Patriotismus im Spiel'', sagt sein Vater. "Er glaubte, dass es richtig war, so zu reagieren. Das zu tun, was die Regierung für richtig erachtete.'' Die Hubbard-Jungs ließen sich damals drei pechschwarze Raben auf ihren linken Bizeps tätowieren, als Jared in den Krieg zog. Wie das junge Leute gerne machen. Drei schwarze Raben waren es, die einen Lebenskreis formen. Unzertrennlich. Ein Band brüderlicher Liebe.

"Das war für sie logisch''

Als Jared gefallen war, war den beiden anderen eines klar: "Sie mussten die Sache ihres Bruders fortsetzen'', sagt ihr Vater, "das war für sie ganz logisch.'' Nicht, dass sie scharf darauf waren, in den Irak zu kommen. Jeff will seine Söhne nicht zu Helden machen. Und zu Rambos schon gar nicht. Ihr Land - "die Leute, die an der Regierung in der Verantwortung stehen'', wie Jeff formuliert - hatte sich zum Krieg gegen den Terror entschieden. Und deshalb meldeten sie sich.

Zuerst Jared, und als der dann tot war, seine Brüder. "Wir sind vielleicht eine etwas altmodische amerikanische Familie, wie es sie immer weniger gibt'', sagt Jeff, der Polizist. Seinen Kindern habe er immer beigebracht, dass jeder seinen Teil tun müsse. "Pitch in'' ist das Wort, was er gebraucht, einspringen, sich in die Bresche werfen. "Und wenn andere es nicht tun, muss man es eben selbst machen.''

In Clovis lässt sich nicht mehr übersehen, wie tief der Krieg sich allmählich ins Land frisst. Sieben Kids aus der kalifornischen Stadt mit 90.000 Einwohnern sind in vier Jahren im Irak umgekommen. An der New Hope Community Church in der Nees Avenue haben sie einen Erinnerungs-Brunnen geweiht. Hier treffen sich die jungen Leute, wenn wieder einer der Ihren weggeschossen wurde, zünden Teelichter an, legen Blumen nieder, stecken Zettel dazu, mit ein paar Gedanken über die Toten. Die Stadt will nun ein offizielles Kriegerdenkmal errichten. Letzte Woche haben sie im Rat darüber diskutiert.

Krieg hat seine Zeit, hatte der Reverend in St. Anthony gesagt, als sie von Nathan Abschied nahmen. Friede hat seine Zeit. Der Krieg hat seine Zeit genommen - und nur einen der Hubbard-Brüder übrig gelassen.

© SZ vom 11.09.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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