USA:Aus der Tiefe der Vergangenheit

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Der Arzt Rick Bright bei einer Anhörung. (Foto: Greg Nash/AFP)

Die Konstruktion von "Obamagate": Donald Trump schießt sich auf seinen Vorgänger ein.

Von Alan Cassidy, Washington

Die Präsidentschaftswahl im November, das ist den meisten in den USA klar, wird zu guten Teilen ein Referendum darüber werden, wie Donald Trump das Land durch die Pandemie geführt hat. Genau das wollen Trump und seine Verbündeten verhindern. Sie tun viel dafür. Am Donnerstag hatte ein Whistleblower aus den US-Gesundheitsbehörden einen Auftritt vor einem Ausschuss im Kongress. Der Arzt Rick Bright hatte sich geweigert, von Trump angepriesene Behandlungsmethoden gegen Covid-19 zu unterstützen, für die es keine wissenschaftliche Belege gibt. Danach wurde Bright gefeuert. Vor dem Kongress legte er nun die Versäumnisse der Regierung im Umgang mit der Pandemie dar und warnte angesichts fehlender Pläne vor dem "dunkelsten Winter", der auf die USA zukomme.

Die meisten TV-Sender übertrugen die Anhörung live, führende Zeitungen machten damit auf. In der rechten Medienwelt aber, in der sich Millionen Amerikaner bewegen, fand der Auftritt praktisch nicht statt. In dieser Welt geht es derzeit nur noch am Rande um die 86 000 Toten oder um die 36 Millionen Arbeitslosen, die das Land in der Krise bereits verzeichnen musste. Stattdessen drehte sich bei Fox News, dem Haussender des Präsidenten, sowie bei Trumps Twitter-Konto schon die ganze Woche fast alles nur noch um ein Thema: "Obamagate".

Das FBI soll versucht haben, die neue Regierung vor dem ersten Amtstag zu sabotieren

Der Begriff stammt von Trump. Er verwendet ihn, seit das Justizministerium vergangene Woche das Verfahren gegen Trumps Ex-Sicherheitsberater Michael Flynn überraschend hat fallen lassen. Flynn stand am Anfang der Ermittlungen durch das FBI, die zur Russland-Untersuchung durch Robert Mueller führten. Er bekannte sich im Dezember 2017 schuldig, das FBI über seine Kontakte zu Russland belogen zu haben. Der Präsident und viele konservative Kommentatoren sehen den Fall Flynn als Teil einer Verschwörung der Obama-Regierung und des "tiefen Staates": Das FBI habe versucht, die neue Regierung schon vor dem ersten Amtstag zu sabotieren, indem es Flynn eine Falle gestellt habe. Ein Element von "Obamagate" ist in dieser Lesart eine Liste, die der Geheimdienstkoordinator Richard Grenell kürzlich den Republikanern im Senat übergeben hat. Auf dieser Liste stehen die Namen von Offiziellen der Obama-Regierung, die bei den Geheimdiensten Anfang 2017 die Identität einer Person erfragten, die mit dem russischen Botschafter in Washington telefonische Kontakte hatte. Bei dieser Person handelte es sich um Flynn. Geheimdienstler beschreiben diesen Vorgang als Routine. Für die Kreise um Trump ist das jedoch ein Beweis dafür, dass die Obama-Regierung ein Komplott baute.

Worin genau das Verbrechen Obamas bestehen soll, kann der Präsident nicht erklären

Worin genau das angebliche Verbrechen von Obama bestehen soll, kann der Präsident nicht erklären. Auf die entsprechende Frage eines Journalisten sagte Trump am Montag bloß: "Sie wissen, was das Verbrechen ist. Es ist für jeden offensichtlich." Am Donnerstag redete er bei Fox News darüber, dass Obama mindestens vor den Kongress geladen, besser aber gleich ins Gefängnis gesteckt gehöre, so wie auch sein damaliger Vizepräsident Joe Biden, der im Herbst für die Demokraten gegen Trump antreten wird.

Nun gibt es im Fall Flynn tatsächlich einige Fragezeichen. So erscheint es seltsam, dass das Justizministerium nicht vom FBI darüber informiert wurde, dass Flynn als neues Mitglied der Trump-Regierung im Januar 2017 von Agenten der Bundespolizei einvernommen wurde. Auch innerhalb der Bundespolizei war die Einvernahme umstritten. Das ändert jedoch nichts daran, dass Flynn vor Gericht zweimal zugab, unter Eid über seine Kontakte zu Russland gelogen zu haben. Das ist eine Straftat.

Trotzdem beantragte Trumps Justizminister William Barr vergangene Woche den Rückzug der Anklage gegen Flynn - ein beispielloser Schritt, der im Kontext von Trumps Bemühungen steht, die Geschichte der Russland-Untersuchung umzuschreiben. Der zuständige Richter hat diese Woche allerdings einen Gutachter eingesetzt, der nun prüfen soll, ob der Antrag des Justizministeriums rechtens ist - oder ob gegen Flynn eine neue Anklage wegen Missachtung des Gerichts ergehen soll.

© SZ vom 16.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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