US-Wahlkampf: Test in Iowa:Ein Schatz im Maisfeld

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Reden, Hände schütteln, Ferkel streicheln: Bei der "Straw Poll" in Iowa, der traditionellen Testabstimmung der Republikaner für die Präsidentschaftswahlen, erweist sich Mitt Romney als Bester. Doch der Weg ins Weiße Haus ist weit

Christian Wernicke

Laetitia Rotter ist mit einem Lächeln gesegnet, das nie verfliegt. Darauf darf Wilbur, ihr Ehemann, seit nunmehr sechs Jahrzehnten bauen. Überhaupt ist die alte Dame ein Mensch, der Treue hält und Traditionen pflegt. Nie hat die 78-jährige Republikanerin ihre Partei im Stich gelassen. Schon gar nicht in Zeiten wie diesen, da der "Grand Old Party" und ihrem Präsidenten George W. Bush der Wind ins Gesicht bläst.

Gewinner am Grill: Mitt Romney ist mit seiner Frau Ann in Iowa in den Wahlkampf gestartet (Foto: Foto: AP)

Immer war sie da. Als junges Fräulein jubelte Laetitia Rotter in den fünfziger Jahren schon Dwight "Ike" Eisenhower zu, Amerikas 34. Präsidenten. Und wen immer ihre Republikaner seither in den Kampf ums Weiße Haus schickten, Laetitia aus Iowa stand ihnen bei.

Sie pflegt die Erinnerungen bis heute, hat Souvenirs gesammelt wie jene Original-Buttons aus längst vergangenen Wahlschlachten, die jetzt an ihrem Strohhut stecken: der stramme Rechtsaußen Barry Goldwater, der in Schande gestürzte Richard Nixon, Gerald Ford neben Ronald Reagan, Bush Senior wie dessen Junior George W. - alle sind dabei. "Und ich habe sie alle verehrt", sagt sie und lächelt selig.

Politik der leeren Stühle

Laetitia hat sich sommerfein gemacht an diesem Samstag. Trägt diesen Hut über ihren schlohweißen Haaren, dazu die Bluse mit patriotisch rot-weißen Streifen und dem goldenen Elefanten am Kragen, dem Wappentier der Republikaner. Und ihr Wilbur, so witzelt sie, sei wohl "so ziemlich der Einzige unter all den Tausenden hier im Saal, der sich eine Krawatte umgebunden hat."

Aber so gehört sich das, jedenfalls für die Rotters. Schließlich sei man im lauten Hilton-Coliseum der Iowa State University doch zusammen gekommen, um Großes zu vollbringen. Es gilt, den Mann zu finden, den die Nation zu ihrem 44. Präsidenten wählen soll - "und das muss wieder ein Republikaner sein, selbstverständlich."

Einfach wird das nicht. Denn es steht miserabel um die Partei. Wie miserabel, das lehrt der Blick auf die Tribüne: Auf vielen der roten Plastiksitze im Basketballstadion sitzt - niemand. Die insgesamt elf Anwärter, die um die republikanische Präsidentschaftskandidatur rangeln, haben es nicht vermocht, genügend Anhänger auf die Beine zu bringen und nach Ames zu locken.

Das verschlafene Uni-Städtchen liegt, wie die Amerikaner sagen, "in der Mitte von Nirgendwo". Also im Herzen von Iowa, jenem so bodenständigen wie sehr platten Agrarstaat im Mittleren Westen, der zweierlei zu bieten hat: Mais, unendlich viel Mais - und das Privileg, alle vier Jahre als erster der 50.US-Bundesstaaten darüber zu entscheiden, mit wem die Demokraten und Republikaner in den Wahlkampf ums Weiße Haus ziehen wollen.

Dieser sogenannte "Caucus", ein überaus ernstes Palaver der jeweiligen Parteianhänger in allen 99 Landkreisen von Iowa, findet jeweils im Januar eines Wahljahres statt, diesmal vielleicht sogar schon im Dezember davor. Und als Vorspiel auf diese Vorwahl wiederum haben sich die Republikaner vor knapp 30 Jahren ihre "Straw Poll" ausgedacht - eine bunte Polit-Kirmes mit Grillfest, viel Radau und echten Stimmzetteln, die sehr früh und noch recht vage die Stimmung im Bauch der Partei testet.

Eigentlich könnten Laetitia und Wilbur zufrieden sein. Mitt Romney, erklärter Favorit der Rotters, hat die Straw Poll haushoch gewonnen. 31,5 Prozent der Stimmen ergatterte der frühere Gouverneur von Massachusetts, ein Wert ungefähr so vielversprechend wie anno 1999 der für George W. Bush. Dessen Marsch zur Macht hatte damals hier begonnen: Aus dem Hilton-Coliseum zu Ames führte sein Weg ins Oval Office in Washington.

Botschaft für den Wandel

"Dies ist eine Botschaft an das ganze Land", tönt Romney prompt in der Nacht zum Sonntag, "eine Botschaft für den Wandel." Nur, mit 4516 Stimmen klingt Romneys Fanfare an die Nation weitaus dünner als seinerzeit der Weckruf des Texaners. Für den hatten 7418 Bürger von Iowa votiert. Romneys Prozentzahl überstrahlt die düstere Wahrheit, dass diesmal fast 10000 Parteianhänger weniger Lust verspürten, ihren Strohhalm überhaupt für irgendeinen Kandidaten in den Hut zu werfen, wie das früher Sitte war.

Wilbur Rotter hat es geahnt. Stunden zuvor, am frühen Nachmittag, steht ihm bereits die Unlust ins Gesicht geschrieben: "Früher war das hier anders", brummt der Rentner missmutig. "Da hat man sich erst alle Reden der Kandidaten angehört - und nachher abgestimmt!" Das jedoch ist Romneys Wahlkampf-Maschine zu riskant. Seine Wahlhelfer geleiten die Rotters vom Parkplatz direkt zur Stimmabgabe, erst danach dürfen sie sich unterm Zeltdach bei Grillfleisch, Bohnen und Kartoffelchips stärken.

Mitt Romney, der Selfmade-Mann und Multimillionär, greift tief in die Tasche für den Sieg. Insgesamt neun Millionen Dollar hat der 60-jährige Mormone angeblich aus privatem Vermögen abgezwackt und in seine nationale Kampagne gesteckt; TV-Spots auf Iowas Fernsehkanälen verschlangen davon seit Februar allein 2,4 Millionen Dollar. Zudem bezahlt er den Bus für die weite Anreise seiner 50 Sympathisanten aus dem Südwestzipfel Iowas und erstattet die 35 Dollar Eintritt, die jeder Republikaner in Ames an die Parteikasse entrichtet.

Im Vergleich dazu kosten all die T-Shirts, die während seiner Rede den Basketball-Court mit einer eigelben, jubelnden Menschenmenge überschwemmen, nur Kleingeld. Romneys "Operation Straw Poll" dürfte mehr Geld verschlungen haben, als die meisten seiner Konkurrenten seit Jahresbeginn im ganzen Land an Spenden auftreiben konnten.

Männer mit Kanten

Romney hat alles auf eine Karte gesetzt - und in der Provinz die erste Pokerrunde gewonnen. Nur, das stand schon vor dem Wochenende fest. Denn sein härtester Konkurrent, New Yorks ehemaliger Bürgermeister Rudy Giuliani, trat in Ames gar nicht erst an. Vor Monaten schon erkannten Giulianis Strategen, dass sie in Iowa keine Chance hatten gegen Romneys geballte Wahlkampf-Maschine.

Ein zweiter oder dritter Platz bei der Straw Poll jedoch hätte den Nimbus des moderaten Konservativen lädiert: National weisen alle Umfragen Giuliani bisher als Favoriten der Partei aus. Romney hatte also freies Feld in Iowa. Auch John McCain, der ewige Parteirebell, traute sich nicht nach Ames. Der Stern des bald 71-jährigen Senators sinkt rapide, seiner Kampagne droht der Bankrott. Die finanzstarke Basis der Partei, allen voran das Netzwerk der christlichen Rechten, lässt McCain einen langsamen und einsamen Hungertod sterben.

Ohne starke Konkurrenz im Feld musste Romney nie wirklich bangen um seine Ernte auf Iowas Äckern. Und die erzkonservative Parteibasis, bibeltreue Christen zum Beispiel oder radikale Abtreibungsgegner, trauen dem Mormonen nicht wirklich, der als Gouverneur in Massachusetts zu lange "massenhaften Kindesmord geduldet" habe.

Am ehesten beeindruckt Romney diese Klientel, wenn er als zehnfacher Großvater das hohe Lied auf Amerikas Familien singt: Die will er, genauso wie US-Armee und -Wirtschaft, "in Liebe und Freiheit stärken". Also steht er auf Iowas Agrarmesse in Des Moines mit Gattin Ann eine halbe Stunde am Grill, wendet Schweinekoteletts und schwitzt nicht mal. Beim Rundgang im Zuchtstall wartet stets eine der fünf blonden Schwiegertöchter auf ein Zeichen des Patriarchen - schon hält Romney etwa Parker Mitt, "unsere Nummer neun", auf dem Arm, oder er posiert mit Ferkeln für die Fotografen.

Der harte, rechte Kern der Republikaner hingegen sucht kantigere Idole als Romney. Einen wie Tom Tancredo zum Beispiel. Den Kongress-Abgeordneten aus Colorado haben xenophobe Kampfansagen gegen illegale Einwanderer berühmt gemacht. In Ames stellt er Hispanics ohne Papiere auf eine Stufe mit Terroristen: Amerika sei unter Beschuss - "von den Gotteskriegern im Ausland und durch Multikulti daheim". Solche Sätze belohnen Tancredos Anhänger mit Jubelschreien.

In der zwölften Reihe springt Jim Oliver sogar auf den Klappstuhl, reckt die Faust und klatscht. Der 51-Jährige arbeitet als Produzent bei einem religiösen TV-Sender in Cedar Rapids. Dass Tancredo neulich ankündigte, im Falle eines Terroranschlags mit schmutzigen Nuklearwaffen mit US-Angriffen auf die heiligen Stätten in Mekka und Medina zu antworten, findet Oliver richtig: "Meine Stimme dafür hat er. Höchste Zeit, dass die das mal begreifen." Bei der Straw Poll landet Tancredo auf Platz vier, mit 13,7 Prozent.

Elvis soll's richten

Als wirklicher Sieger, gleich hinter Gewinner Romney, aber darf sich Mike Huckabee fühlen. Der gelernte Baptisten-Prediger und Ex-Gouverneur von Arkansas hat mit Platz zwei bei der Straw Poll vorerst das Rennen um die Gunst der christlichen Rechten in der Partei gewonnen. Sein härtester Konkurrent um diese Rolle, der erzkatholische Senator Sam Brownback, wurde nur Dritter. Beide stänkerten in Iowa gehörig gegen Romney - den aalglatten Sonnyboy, den zu reichen Stimmenfänger von Ames.

Brownback wetterte öffentlich, Romneys Wende zum Abtreibungsgegner sei mehr taktischem Kalkül als quälendem Gewissensdruck geschuldet. Gottes Kinder unter den Republikanern - misstrauisch wider Romney, gar entsetzt ob eines Pro-Choice-Kandidaten wie Rudy Guiliani - sollten in Ames in sein Zelt flüchten. Zu Burger und Bohnen.

Huckabee meidet solch Attacken, aus Rücksicht auf die eh geschundene Seele der Partei. Eher ficht er mit dem Florett, oder noch lieber: mit der Bassgitarre. In Jeans und schwarzem Hemd spielt er munter auf, mit "Jailhouse Rock" und Zuspruch von Elvis Presley aus dem Jenseits: "Er ist heute hier. Irgendwo läuft Elvis hier rum und wird für mich stimmen."

Trotzig verspottet er Romneys teure Wählerwerbung ("Ich kann Eure Stimmen nicht kaufen, ja nicht mal mieten"), um am Ende zu triumphieren: "Wir haben für 10 Cent Einsatz mehr Stimmen bekommen als andere für zehn Dollar."

Doch Ames ist auch Endstation. Die Spreu vom Weizen zu trennen, das ist noch so eine Aufgabe der Straw Poll. Zwei, vielleicht vier Kandidaten dürften nach diesem Wochenende aufgeben. Klar erledigt ist Tommy Thompson, der auf Platz 6 landete und doch mindestens Zweiter werden wollte.

Neue Kandidaten am Horizont

Präsident Bushs ehemaliger Gesundheitsminister hatte Großes im Sinn, zum Beispiel wollte er die Geißel des Krebs besiegen: Keine Frau sollte ab 2015 mehr an Brustkrebs sterben, Karzinome an Prostata und Magen wollte er bis 2020 respektive 2025 killen. Das wird nun nichts.

Schon zeichnen sich an Iowas flachem Horizont neue Kandidaten ab. Allen voran Fred Thompson, ehemals Senator und Filmheld, wird zugetraut, die recht verlorene Rechte an sich zu binden. Thompson ist ein Mannsbild ganz nach dem Geschmack auch von Laetitia Rotter. Groß, stark, wortgewaltig.

Die alte Dame jedenfalls weigert sich, schon jetzt einen Button von Mitt Romney an ihren Hut zu stecken. Sie hat für ihn gestimmt in Ames, aber das reicht nicht: "Erst muss Romney die Nominierung der Partei gewinnen." Das wird sich bis zum Februar 2008 hinziehen. Mindestens.

© SZ vom 13.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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