US-Soldaten im Irak:Das Gift des Krieges

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Der Streit über einen eventuellen Abzug aus dem Irak spaltet den amerikanischen Kongress.

Christian Wernicke

Daheim in Ohio ist Jean Schmidt bei Freund und Feind bekannt. Als Mean Jean, also etwa als "fiese Jean", erwarb sich die eingefleischte Konservative in ihrem Wahlkreis nahe Cincinnati einen eindeutigen Leumund.

In Amerikas Kongress jedoch, wo die drahtige 53-jährige Frau seit gerade erst 75 Tagen für die Republikaner im Repräsentantenhaus sitzt, war sie bisher ein unbeschriebenes Blatt. Nun kennt sie auch dort jeder. Am Abend des vergangenen Freitags nämlich löste die Abgeordnete einen Eklat aus.

Vom Pult des Hohen Hauses wetterte Jean Schmidt gegen all jene Demokraten, die angesichts des militärischen Desasters im Irak einem baldigen Rückzug der US-Truppen das Wort redeten.

Sie habe, so geiferte Frau Schmidt, allen Kriegsgegnern Grüße von einem Oberst der Marines auszurichten: "Dem Abgeordneten Murtha soll ich bestellen: Feiglinge machen sich auf und davon, Marines tun das niemals!"

Der Saal tobte. Mit lautem Gebrüll scharten sich sämtliche Demokraten zur Verteidigung ihres Parteifreundes John Murtha, der tags zuvor unter Tränen den sofortigen Rückzug aller US-Soldaten aus Bagdad gefordert hatte. "Ihr seid jämmerlich", schimpfte ein Demokrat hinüber zur republikanischen Fraktion.

Später, da sich der Tumult endlich gelegt hatte, nahm Jean Schmidt ihre Attacke zurück. Und ein Fraktionskollege erklärte entschuldigend, die Novizin habe schlicht nicht gewusst, dass sie mit dem 73 Jahre alten Verteidigungsexperten Murtha nicht nur einen allseits respektierten Kollegen, sondern eben einen dekorierten Vietnam-Veteranen und Ex-Marine angegangen sei.

Nur, das half nichts mehr, um das Gift aus dem Hohen Haus zu vertreiben.

Wie nie zuvor seit Kriegsbeginn spaltet der Irak-Konflikt inzwischen den Kongress, zeihen sich Demokraten und Republikaner des Verrats und der Lüge.

Schein-Resolution zum sofortigen Rückzug

Zumal, da die Mehrheitsfraktion in der Nacht zum Samstag den Graben zwischen beiden Lagern noch vertiefte: Um die Opposition vorzuführen, präsentierten die Republikaner eine Schein-Resolution, die zum - so ausdrücklich - sofortigen Rückzug aus Bagdad aufrief.

Das sollte alle Kriegszweifler noch einmal zum Schwur zwingen: Mit 403 zu drei Stimmen wurde der Tabu-Bruch verworfen. Aber draußen, auf den Korridoren des Kapitols, ging die Schlammschlacht weiter.

Die Demokraten, so polterte der Republikaner Geoff Davis vor Journalisten, hätten sich "schändlicher Erklärungen" schuldig gemacht. Indem die Opposition den Sinn und Zweck des Krieges in Frage stelle, falle sie den eigenen Truppen in den Rücken.

Die stehen im Irak seit Wochen in hartem Kampf. So erlebte das besetzte Land, in dem am 15. Dezember Parlamentswahlen stattfinden sollen, am Wochenende wieder eine neue blutige Anschlagswelle. In nur zwei Tagen gab es knapp 90 Tote; seit Freitag kamen durch Rebellen-Angriffe mehr als 160 Menschen ums Leben. Auch etliche US-Soldaten sind unter den Opfern.

Vor diesem Hintergrund sei Kritik am militärischen Engagement der USA Wasser auf die Mühlen der Al-Qaida-Terroristen, sagte der Republikaner Davis.

Nicht ganz so weit gingen die Erklärungen, mit denen Präsident Bush von seiner Asienreise aus das heimische Gezänk begleitete: Unmittelbar vor den geplanten Wahlen im Irak sei "nicht die Zeit, um vor Terroristen zu kapitulieren".

Die Eskalation an der Heimatfront kommt der Bush-Regierung nicht ungelegen. Immerhin hilft der Grabenkampf, die eigenen Reihen zu schließen. Zuletzt hatten selbst die Republikaner den Präsidenten unter Druck gesetzt und eine Strategie zum "erfolgreichen Abschluss der Mission im Irak" verlangt.

Nun, nach der Abstimmung im Repräsentantenhaus, herrschen wieder scheinbar eindeutige Verhältnisse.

Jean Schmidt triumphiert. Ihre Schmähung hat sie aus dem Sitzungsprotokoll streichen lassen. Aber sie legt schon wieder nach. Schon 1970 habe sie als Studentin begriffen, wo die Schlacht um die Freiheit geschlagen werde.

Damals tobte noch der Vietnam-Krieg, aber Schmidt hatte den eigentlichen Feind anderswo lokalisiert. "Es geht um den Nahen Osten. Dort wollen sie uns vernichten und von dort aus die ganze Welt erobern."

© SZ vom 21.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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