Urteil II:Diskriminierend

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Der Europäische Gerichtshof entscheidet, dass die katholische Kirche einem geschiedenen Chefarzt in Deutschland nicht kündigen darf.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg. (Foto: H.-D. Falkenstein/epd)

Es war eine sehr private Entscheidung - aber den Chefarzt eines katholischen Krankenhauses in Düsseldorf hätte seine zweite Ehe beinahe den Job gekostet. Scheidung und Wiederheirat - das wollte sein Arbeitgeber nicht dulden und schickte ihm die Kündigung. Seit fast zehn Jahren führt der Mann deshalb einen Rechtsstreit. Nun hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein Machtwort gesprochen, das die Arbeitsverhältnisse bei kirchlichen Arbeitgebern umkrempeln wird: Die Kündigung war diskriminierend und verstößt gegen EU-Recht.

Das Verfahren ist zwar noch nicht ganz zu Ende, es geht zurück ans Bundesarbeitsgericht (BAG). Aber die Vorgaben des obersten EU-Gerichts sind eindeutig. Zwar dürfen Kirchen, ganz grundsätzlich, auch aus europäischer Perspektive von ihren Mitarbeitern eine gewisse Loyalität fordern. Aber eben nur, soweit dies für die Art der Tätigkeit wirklich notwendig ist. Es müsse sich um eine "wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos dieser Kirche" handeln - eine Vorgabe, die vollständig gerichtlich überprüfbar sei.

Letztlich ist das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen also dort am stärksten, wo es ums religiöse Kerngeschäft geht. Wer mit Glaubensfragen befasst ist, wer am Verkündigungsauftrag mitwirkt, wer die Kirche nach außen vertritt, der darf strengeren Anforderungen unterworfen werden, auch bei Ehe und Scheidung. Für die Leitung der Abteilung "Innere Medizin" als Chefarzt hingegen, so schreiben die Richter, "erscheint die Akzeptanz dieses Eheverständnisses für die Bekundung des Ethos (...) nicht notwendig". Soll heißen: Auch mit wiederverheirateten Chefärzten kann die katholische Kirche ihre Position zur Ehe glaubwürdig aufrechterhalten. Der Mann arbeitet übrigens bis heute im selben Düsseldorfer Krankenhaus, weil der Gerichtsstreit noch nicht beendet ist.

Mit dem Urteil gehen die Europa-Richter auf Konfrontation zu Karlsruhe

Zwar hat auch die katholische Kirche inzwischen ihr Anforderungsprofil zumindest ein wenig den Scheidungsraten angepasst. Die Chefarzt-Kündigung beruhte noch auf den strengen Regeln der "Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse" von 1993. Weil die Ehe nach kanonischem Recht unauflöslich ist, drohte bei einer neuerlichen standesamtlichen Heirat regelmäßig der Rauswurf. Im Jahr 2015 wurden die Regeln reformiert. Die neuerliche Heirat katholischer Mitarbeiter ohne besonders kirchenrelevante Funktion wird danach nur bei Vorliegen "besonderer Umstände" als schwerwiegender Loyalitätsverstoß eingestuft. "Einen Fall wie diesen wird es nach der neuen Grundordnung nicht mehr geben", vermutet Rechtsanwalt Norbert Müller, Anwalt des Chefarztes. Dennoch ist das Kündigungsrisiko nicht aus der Welt.

Mit dem Urteil geht der EuGH auf Konfrontationskurs zum Bundesverfassungsgericht. Denn er fasst das kirchliche Selbstbestimmungsrecht sehr viel enger als das Verfassungsgericht, das den Kirchen seit Jahrzehnten in arbeitsrechtlichen Fragen einen äußerst großzügigen Spielraum einräumt. Was für die Glaubwürdigkeit der Kirchen notwendig sei, das bestimmten die Kirchen selbst, entschied Karlsruhe 2014 in ebendiesem Fall des gekündigten Chefarztes. Maßgeblich sei das "glaubensdefinierte Selbstverständnis" der Kirchen. Den staatlichen Gerichten bleibe nur eine Plausibilitätskontrolle.

Dass der EuGH hier einen Paradigmenwechsel anstrebt, kündigte sich bereits im April an. Damals ging es um einen befristeten Referentenjob bei einem Evangelischen Werk; eine konfessionslose Bewerberin war abgewiesen worden, hatte geklagt und bekam recht. Damit begann die Definitionsmacht der Kirchen für kirchliche Sonderregeln zu schrumpfen. Laut EuGH dürfen sie nicht in eigener Hoheit festlegen, wie viel Glaubensnähe für das Heilen von Patienten oder das Pflegen alter Menschen in kirchlichen Einrichtungen notwendig ist. Darüber befinden staatliche Gerichte.

Die Deutsche Bischofskonferenz will am Ende des Verfahrens prüfen, "ob die Entscheidungen mit den Vorgaben des Grundgesetzes im Einklang stehen". Womöglich trägt die Kirche das Thema erneut nach Karlsruhe. Und dass das Bundesverfassungsgericht das Feld kampflos räumt, ist nicht sonderlich wahrscheinlich.

© SZ vom 12.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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