Urteil gegen Liu Xiaobo:Protest der Ungehorsamen

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Zehntausende trotzen ihrer Angst vor dem Regime: In China wächst der Widerstand gegen Staatswillkür - ein maßloses Urteil kann da nicht abschrecken.

Henrik Bork

Ein subtiler, aber deutlich spürbarer Wandel hat China ergriffen. Der zivile Ungehorsam an der Basis wächst. Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass dieser Trend ausgerechnet mit dem harten Urteil gegen den Dissidenten Liu Xiaobo sichtbar geworden ist.

Chinesische Polizisten beobachten Unterstützer des prominenten Dissidenten Liu Xiaobo, der in Peking zu elf Jahren Haft verurteilt wurde. Weil er für die Demokratie in China kämpft. (Foto: Foto: AFP)

Vor dem Gerichtsgebäude, in dem Chinas kommunistische Führung den Schauprozess inszenierte, standen diesmal nicht nur die üblichen ausländischen Reporter und Diplomaten, wie das früher stets der Fall war. Vielmehr riefen chinesische Unterstützer Liu Xiaobos Parolen, entrollten Spruchbänder und riskierten bewusst ihre eigene Festnahme durch die Staatssicherheit. Nur eine Handvoll Mutiger fand den Weg zum Gericht. Doch sie zeigte, dass die Einschüchterung nicht mehr so absolut funktioniert wie früher.

Haft als Strafe für Demokratie-Aufsätze

Elf Jahre Haft für ein paar Aufsätze sind eine grausame Strafe. Selbst an Chinas eigenen Maßstäben gemessen, den Maßstäben einer wirtschaftlich erfolgreichen, politisch rückständigen Entwicklungsdiktatur, ist dieses Urteil unverhältnismäßig streng.

Daran ist zu erkennen, dass Pekings Politbüro an dem 53-jährigen Literaturprofessor und Vorsitzenden des unabhängigen chinesischen PEN-Zentrums ganz bewusst ein Exempel statuieren will. In diesem Punkt hat sich also nichts verändert in China, allem westlichen Wunschdenken vor den Olympischen Sommerspielen in Peking zum Trotz. Wer wie Liu mit seiner "Charta 08" die Machthaber direkt angreift, wer noch dazu mit einer Unterschriftensammlung eine Art politische Organisation begründet, der bekommt unverändert die volle Härte der Obrigkeit zu spüren.

Zehntausende Unterstützer

Das Interessante und Neue an der "Charta 08" ist jedoch, wie viele Chinesen sich diesem Aufruf zur Demokratisierung mit ihrem Namen angeschlossen hatten. Keiner konnte sich damals sicher sein, dass am Ende nur einer der Initiatoren exemplarisch an den Pranger gestellt würde, wie es nun geschehen ist. Es brauchte Zivilcourage, ja echten Mut, als Chinese diese "Charta 08" zu unterschreiben. Und auch jetzt, nachdem so gut wie jeder der 303 Erstunterzeichner Besuch von der Staatssicherheit bekommen hat, sagte sich nicht ein einziger der mittlerweile mehr als 10.000 Unterzeichner öffentlich davon los.

Dieser neue Trend ist nicht bloß auf klassischen politischen Protest wie die von Liu geforderte demokratische Verfassungsreform beschränkt. Mutige Anwälte der "Weiquan"-Bürgerrechtsbewegung verteidigen die Opfer von Behördenwillkür jeder Art. Und sie verteidigen sich gegenseitig. Als kürzlich in Chongqing ein Anwalt eingesperrt wurde, reisten mehrere Kollegen aus Peking an, um ihm zu helfen.

Auch die Zahl der friedlichen und gewaltsamen Bürgerproteste in China wächst. Die Menschen verstoßen bewusst gegen das Demonstrationsverbot, wenn sie Angst vor Müllverbrennungsanlagen oder Chemiefabriken haben. Bauern stecken Polizeistationen in Brand, wenn ihr Land usurpiert wird. Im Internet artikulieren Chinesen ihren Protest gegen die Vertuschung von Lebensmittelskandalen, gegen Justizirrtümer oder Zwangsumsiedlungen.

Chinas Regierung weicht hier und da vor dem Druck zurück, räumt indirekt Fehler ein und verbessert ihre Verwaltung. So wurden schärfere Regeln für den Umgang mit Untersuchungshäftlingen erlassen, nachdem es mehrmals zu öffentlichem Protest gekommen war. Doch insgesamt versagt die Partei kläglich bei der Aufgabe, die Kommunikation mit ihren Kritikern in konstruktive Bahnen zu lenken. Das Urteil gegen Liu Xiaobo ist dafür ein neues Beispiel. Es wird den vom Regime gewünschten Effekt wieder nur teilweise zeigen und die Menschen eben nicht einschüchtern. Gleichzeitig wächst neue Verbitterung, neuer Ungehorsam. Mit jedem Schauprozess erledigt die Partei damit selbst, was sie Liu Xiaobo vorwirft: Sie untergräbt die Staatsgewalt.

© SZ vom 28.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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