UN-Bericht zur Armut:Heuchelei und Doppelmoral

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Vor fünf Jahren versprachen die Mitglieder der UN, die Armut schnell und rasch einzudämmen. Doch die erste Zwischenbilanz fällt ernüchternd aus. Nun warnen die UN, dass das kommende Jahrzehnt als Phase "verpasster Chancen, halbherziger Anstrengungen und fehlgeschlagener internationaler Zusammenarbeit" in die Geschichte eingehen könnte.

Arne Perras

Fünf Jahre nach dem großen Versprechen, die Armut in der Welt schnell und drastisch einzudämmen, fällt die erste Zwischenbilanz reichlich ernüchternd aus.

"Die Mehrheit der Länder liegt hinter den Zielvorgaben zurück", beklagen UN-Experten im 426-Seiten-Report der Entwicklungsagentur UNDP. "Das Versprechen gegenüber den Armen der Welt wird nicht eingelöst." Die Ergebnisse seien "deprimierend".

Zum Auftakt des Gipfels in New York warnen die UN vor der Gefahr, dass das kommende Jahrzehnt als Phase "verpasster Chancen, halbherziger Anstrengungen und fehlgeschlagener internationaler Zusammenarbeit" in die Geschichte eingehen wird.

Von den Staats-und Regierungschefs fordern die Autoren, "mit der Routine zu brechen". Beim Gipfel in New York sollte die Weltgemeinschaft Beschlüsse fassen, die beweisen, dass sie ihre Selbstverpflichtung tatsächlich ernst nehmen.

Das düstere Szenario, das die Studie entwirft, wird nur punktuell aufgehellt von einigen positiven Entwicklungen, die vor allem im asiatischen Raum zu beobachten sind: Vietnam, Malaysia und Bangladesch haben zum Beispiel bewiesen, dass sich der Kampf gegen die Kindersterblichkeit erheblich beschleunigen lässt.

Andererseits stellt der Report fest, dass 50 Länder mit einer Bevölkerung von fast 900 Millionen Menschen mindestens ein Millenniumsziel nicht erreichen werden. Die Hälfte dieser Staaten liegt in Afrika.

Hilfe, Handel und Konfliktmanagement

Setzt sich der Trend unverändert fort, so würde die versprochene Reduzierung der Kindersterblichkeit erst im Jahr 2045 erreicht, dreißig Jahre später als erhofft. Gegenwärtig leben etwa 2,5 Milliarden Menschen in größtem Elend.

Im Jahr 2015 wären es immer noch 1,7 Milliarden. Das Ziel, die Zahl der Armen weltweit zu halbieren, wird demnach weit verfehlt. Auch Bemühungen, alle Kinder wenigstens in die Grundschule zu schicken, oder armen Menschen sauberes Trinkwasser bereitzustellen, kommen nur schleppend voran.

Um mehr Schwung in die Armutsbekämpfung zu bringen, empfehlen die Verfasser des UN-Berichts Verbesserungen in drei Feldern der Politik: Hilfe, Handel und Konfliktmanagement. Kevin Watkins, der leitende Autor der Studie fordert, "das internationale Entwicklungshilfesystem wieder in Ordnung zu bringen".

Trotz der Ankündigung der G-8- Staaten, die Hilfe aufzustocken, rechnen die Experten damit, dass im Jahr 2010 noch immer eine Finanzlücke von etwa 30 Milliarden Dollar klafft. Sie müsste geschlossen werden, wenn es noch eine Chance geben soll, die Millenniumsziele zu erreichen.

Außerdem beklagt der Report, dass die Geberländer ihre Hilfe untereinander nicht genügend abstimmen und deshalb ineffizient arbeiten. Reiche Länder sollten ihre so genannten Lieferbindungen aufgeben, mit denen sie Hilfszusagen an Einkäufe aus dem eigenen Land koppeln.

Die armen Staaten könnten ohne dieses Zwangssystem fünf bis sieben Milliarden Dollar sparen und für andere Zwecke einsetzen. Besonders die USA und Italien setzen laut UN immer noch stark auf solche Lieferbindungen, aber auch Deutschland und Japan hätten im Vergleich zu skandinavischen Ländern einen hohen Anteil an "gebundener Hilfe".

Harsche Kritik übt der Report an der "unfairen Handelspolitik", die Millionen Menschen den Weg aus der Armut verbaue. "Heuchelei und Doppelmoral" seien schlechte Grundlagen für ein multilaterales System. Industriestaaten müssten Milliarden-Subventionen streichen und Handelsschranken abbauen.

Weil viele Armutsprobleme durch bewaffnete Konflikte entstehen, plädiert der Bericht dafür, einen eigenen Fonds einzurichten, der die Aufbauhilfe nach Ende eines Krieges langfristig sichert, damit die labilen Staaten nicht wieder in die Gewalt zurückfallen.

© SZ vom 14. 9. 2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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