Umweltbewegung:Für eine Welt ohne Müll

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Die Umweltpolitikerin Monika Griefahn (SPD) ist Vorsitzende des Vereins Cradle to Cradle (Wiege zu Wiege): Ressourcen sollen nicht auf der Mülldeponie enden, sondern biologisch und technisch wiederverwendet werden. (Foto: Axel Heimken/dpa)

Abbaubare Turnschuhe: Eine Umweltbewegung probt die Abkehr vom Wegwerfwahn - und zeigt, dass es funktioniert.

Von Peter Burghardt, Lüneburg

Natürlich ist es erst mal ein Desaster, wenn man die Sache als Wohlstandsbürger betrachtet. Verpestete Luft, erodierte Böden, abgeholzte Wälder, überfischte Meere. Autofahrten und Flugreisen sind Beiträge zur Klimakatastrophe, Waschgänge spülen Schadstoffe und Mikrofasern in die Abwässer, die landen irgendwann im Blut. Selbst Muttermilch ist belastet. Man braucht sich bloß seine Schuhe und Klamotten anzuschauen und zu überlegen, was da so alles drin ist und wo das Zeug landet. Von Pestiziden oder Tonern ganz schweigen. Das wäre der "negative Fußabdruck". In der Lüneburger Universität Leuphana wurde am Samstag das Gegenmodell besprochen, Motto: "Umdenken für einen positiven Fußabdruck."

Es war der zweite Kongress einer wachsenden Bewegung namens "Cradle to Cradle", Wiege zu Wiege. In dieser Denkschule enden die Ressourcen aus der Wiege Natur nicht wie sonst beim Wegwerfwahnsinn "Cradle to grave" im Massengrab Mülldeponie, sondern bleiben als Nährstoffe erhalten, biologisch und technisch wiederverwendbar. "Wir definieren den Menschen als Nützling statt als Schädling", erläutert die junge Umweltingenieurin Nora Sophie Griefahn, eine Geschäftsführerin des Vereins Cradle to Cradle. Die Vorsitzende ist ihre Mutter, die Umweltpolitikerin Monika Griefahn. Der Pionier ist ihr Vater, der Chemiker und Hochschulprofessor Michael Braungart vom Unternehmen Epea. "Man muss sein Gehirn anschalten, man kann anders", sagt der Wirtschaftswissenschaftler Tim Janßen, der zweite Geschäftsführer. Das Problem: "Es gibt so viele Leute, die nicht verstehen, wovon wir reden."

Um das Mantra grüner Effizienz geht es dabei nicht, weil ein Liter weniger Benzin und eine Nuance weniger Reifenabrieb immer noch der Gesundheit schaden. "Das ist doch falsch gedacht", findet Nora Sophie Griefahn. "Oft legen uns diejenigen, die klassisch in Nachhaltigkeit unterwegs sind, die schwersten Brocken in den Weg." Manches klingt dogmatisch und missionarisch, doch Cradle to Cradle hat ein überschaubares Segment der Praxis erreicht. Helfer für 600 Gäste der Tagung trugen biologische Shirts. Es gab regionale Bio-Getränke und Gemüse, das viele Agrarbetriebe sonst nur wegen falscher Krümmung wegschmeißen und mit dem gewöhnlich Demonstranten bekocht werden. Es standen abbaubare Waschmittel, Turnschuhe oder Handtücher zum Verkauf. Und in den Hörsälen dozierten Praktiker der Szene mit dem Kürzel C2C.

Wie müssen Produkte gemacht sein, damit sie weder uns noch unserem Planeten schaden? Das ist die Frage. Antworten gibt zum Beispiel der Österreicher Ernst Gugler, dessen Druckerei nicht wie die meisten anderen für jeden Katalog, jede Zeitschrift oder jede Visitenkarte Dutzende Chemikalien ins Papier presst, sondern natürliche Farben. "C2C ist ein Prozess, kein Projekt", sagt er. Da ist der Schweizer René Walpen, CEO der Möbelfirma Stoll Giroflex AG, die für Basics wie Bürostühle dauerhaftes und ungiftiges Material verwendet. Da ist Helmy Abouleish, der mit seiner Sekem-Gruppe einen Teil der ägyptischen Wüste ökologisch nutzbar verwandelt hat, Ägyptens Verbrauch von Pestiziden wurde um 90 Prozent gesenkt. "Jeder Abfall wird zu Nahrung", verkündet Helmy Abouleish. "Kompost hat die tote Wüste lebendig gemacht. Ein Wunder, aber wir dürfen da nicht stehen bleiben."

C2C sei im Grunde uralt, erinnert der Bodenkunde-Professor Martin Kaupenjohann: "Wir könnten jeden ernähren, wenn wir die Landwirtschaft von vor 2000 Jahren anwenden würden." Es gibt auch schon zertifizierte Kühlschränke und Fernseher. Die dänische Großreederei Maersk lässt nach dem Konzept C2C sogar Containerriesen bauen, die sich recyceln lassen. Selbst ein McKinsey-Mann versichert, dass sich das Prinzip Cradle to Cradle auf Dauer lohnt. Das ganze System ließe sich ändern, verspricht der Vordenker Braungart. "Es kommt auf euch an. Just do it." Grundsätzlich, befürchtet der saubere Drucker Gugler, "denken wir Menschen eh zu viel und tun zu wenig."

© SZ vom 02.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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