Umstrittenes Projekt: Stuttgart 21:Was für den Neubau spricht

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Neues Stadtviertel, mehr Grünfläche, schöneres Stadtbild, Anbindung an den Flughafen, schnellere Züge und alles demokratisch legitimiert.

Von Martin Kotynek

Kaum ein Projekt erregt die Stuttgarter derzeit so sehr wie der Neubau ihres Hauptbahnhofs, dessen Nordflügel seit Mittwochmittag abgerissen wird. Am Abend versuchten Hunderte Gegner, die Bauarbeiten zu stoppen. Doch was spricht nun tatsächlich gegen "Stuttgart 21"? Und welche Gründe gibt es für das Projekt? Wie bei jedem Urteil, so muss auch eine Entscheidung in dieser Sache alle Argumente würdigen und gewichten. Hier die Argumente pro "Stuttgart 21".

Aus dem begehbaren Dach wölben sich gläserne Lichtaugen nach oben, durch die Tageslicht nach unten dringt: Modell der künftigen Bahnhofshalle. (Foto: dpa)

Neues Stadtviertel, mehr Grünfläche, besseres Stadtbild

Eine Brache aus Stahl teilt Stuttgart heute in zwei Hälften. Die gewaltigen Gleisanlagen des Hauptbahnhofs liegen mitten in der Innenstadt, sie schlagen eine Schneise durch die City und schneiden Norden und Osten der Stadt voneinander ab. Das Projekt "Stuttgart 21" wird diese Teilung aufheben und damit das Stadtbild stark verändern: Sämtliche Gleise verschwinden unter der Erde, und der Abstellbahnhof am Rosensteinpark wird nach Untertürkheim verlegt.

So werden im Stadtzentrum etwa hundert Hektar frei - Land, das für die Entwicklung der Stadt in dem engen Talkessel dringend gebraucht wird. Rosensteinviertel soll der neue Stadtteil heißen, der auf den ehemaligen Schienensträngen entstehen soll. Wenn der neue, unterirdische Hauptbahnhof fertig ist, sollen in dem Viertel 11.000 Wohnungen und 20.000 Arbeitsplätze entstehen. Während andere Städte nur mehr an ihrer Peripherie zulegen können, könnte in Stuttgart ein neues Viertel in zentraler Lage wachsen. Zu dem Stadtteil sollen auch der Pragfriedhof sowie das bestehende Nordbahnhofviertel und der Rosensteinpark gehören. Seit dem Bau des Hauptbahnhofes vor etwa hundert Jahren musste der Park immer neuen Schienen, Straßen und Gebäuden weichen - nun soll er erstmals größer werden. Auf den 20 Hektar zusätzlichem Parkland sollen 2000 Bäume gepflanzt werden.

Auch dort, wo heute die Gleise der Bahnstrecke enden, ändert sich das Stadtbild. Zwar bleibt das historische Bahnhofsgebäude des Architekten Paul Bonatz aus dem Jahr 1928 bis auf seine Seitenflügel bestehen. Vor dem Bonatz-Bau entsteht jedoch direkt oberhalb des neuen Tiefbahnhofes ein neuer, begrünter Platz mit einer interessanten Architektur: Aus dem begehbaren Dach wölben sich kuppelartige, gläserne Lichtaugen nach oben, durch die Tageslicht in die daruntergelegene, zwölf Meter hohe Bahnsteig-Halle dringt. Das Konzept des Düsseldorfer Architekten Christoph Ingenhoven sieht vor, dass der Tiefbahnhof ohne zusätzliche Heizung klimatisiert wird: Im Sommer kühlt das Erdreich den Bahnhof, im Winter isoliert es gegen die Kälte.

Aufgrund dieser Änderungen im Stadtbild bezeichnen die Befürworter von "Stuttgart 21" ihr Projekt als städtebauliche Chance für die Stadt.

Wer mit der Bahn von Stuttgart nach Ulm fahren will, muss über die Geislinger Steige. Dort gilt es, binnen fünfeinhalb Kilometern in engen Kurven 112 Meter Höhenunterschied zu überwinden. Das ist auch für moderne ICE-3-Züge eine Herausforderung, schneller als mit 80 Kilometer pro Stunde können auch sie nicht auf die Schwäbische Alb hinauffahren.

Daher brauchen die Schnellzüge auf der steilen Filstalstrecke für die 94 Kilometer zwischen Stuttgart und Ulm auch beinahe eine Stunde. 28 Minuten sollen es nur noch sein, wenn "Stuttgart 21" fertig ist. Dann gibt es von Wendlingen aus eine völlig neue Trasse entlang der Autobahn A8. Fast die Hälfte der 60 Kilometer langen Neubaustrecke verläuft dann in fünf Tunneln.

Ein neuer Tunnel soll auch den Hauptbahnhof mit dem Flughafen Stuttgart verbinden. Heute braucht die S-Bahn 27 Minuten, um den Flughafen auf der Filder-Hochebene oberhalb des Stuttgarter Talkessels zu erreichen. Künftig sollen ICE-Züge in acht Minuten oben sein. Von Ulm aus ist man dann in 25 Minuten am Stuttgarter Flughafen.

Umstritten war das Projekt bei sämtlichen Abstimmungen, egal ob im Gemeinderat, im Landtag oder im Bundestag. Doch schließlich haben alle Parlamente für "Stuttgart 21" gestimmt. Für die Befürworter reicht das aus, um das Projekt auch ohne einen Bürgerentscheid als "demokratisch legitimiert" zu bezeichnen.

Auch die rechtliche Prüfung des Projekts ist nach jahrelangen Verfahren zum Großteil abgeschlossen. In den Planfeststellungsverfahren wurden etwa zehntausend Eingaben bearbeitet, vor Gericht mehrere Klagen verhandelt - sie gingen alle für das Projekt positiv aus.

Nach Angaben der Deutschen Bahn würde zudem ein Ausstieg aus dem Projekt 1,4 Milliarden Euro kosten - das umfasst Planungskosten und bereits erteilte Aufträge an Baufirmen. Für 459 Millionen Euro hatte die Stadt im Jahr 2001 der Bahn die freiwerdenden Gleisflächen abgekauft - diesen Grundstückskauf rückgängig zu machen, wäre teuer. Zudem ist unklar, ob der Bund nach einem Stopp des Projekts ein Alternativprojekt erneut mit 1,2 Milliarden Euro unterstützen würde.

Um 13 Uhr lesen Sie auf sueddeutsche.de in einem Text der SZ-Redakteurin Dagmar Deckstein, welche Argumente gegen den Bau von Stuttgart 21 sprechen.

© SZ vom 26.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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