Umfrage:Fleiß und Mühe

Lesezeit: 2 min

Viele Deutsche glauben, wie hoch Bildungsabschluss und Einkommen sind, würde mehr von der eigenen Anstrengung abhängen als von den äußeren Umständen. Die Macher der Umfrage sehen das als potenzielles Hindernis für Bildungsreformen.

Von Bernd Kramer, München

Stellt man den Deutschen die große Frage, was über den Erfolg im Leben entscheidet, geben sie eine bemerkenswerte Antwort: 85 Prozent sind der Meinung, dass ein hoher Bildungsabschluss vor allem oder eher auf eigener Anstrengung beruht. Nur 15 Prozent sagen, die äußeren Umstände seien entscheidend. Auch beim Einkommen glauben viele Befragte an die Kraft des Einzelnen: Eine Mehrheit von 69 Prozent hält ein hohes Gehalt für das Ergebnis aus Fleiß und Mühe.

Zu diesem Ergebnis kommt das Ifo-Institut, das in seinem "Bildungsbarometer" jährlich die Stimmung der Deutschen erhebt. Diesmal wollten die Wissenschaftler des Münchener Wirtschaftsforschungsinstituts vor allem wissen, wie die Bevölkerung über Bildungsungleichheit denkt. Mehr als 4000 Menschen wurden dafür repräsentativ befragt. "Dass weite Teile der Deutschen vor allem die eigene Anstrengung für Einkommen und Bildungserfolg verantwortlich machen, ist auf den ersten Blick überraschend", sagt Philipp Lergetporer, Mitautor der Studie. Denn auf der anderen Seite sei den Deutschen durchaus bewusst, wie unterschiedlich die Bildungschancen im Land ausfallen. 55 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass Grundschulkinder aus günstigen sozialen Verhältnissen in Mathetests besser abschneiden. Damit liegt das Bauchgefühl der Mehrheit auf einer Linie mit den Ergebnissen internationaler Schulstudien.

Einen Teil der Befragten informierte das Ifo-Institut in einer Art Experiment über das tatsächliche Ausmaß der Bildungsungleichheit, ehe es wissen wollte, was nach Meinung der Deutschen über den Erfolg im Leben entscheidet. Die Wissenschaftler legten den Teilnehmern konkrete Zahlen dazu vor, dass Kinder aus ärmeren Familien seltener aufs Gymnasium wechseln. Der Anteil derer, die mit diesem Wissen den Bildungserfolg als Ergebnis eigener Anstrengung betrachtet, sank zwar. Aber mit 74 Prozent war immer noch eine große Mehrheit dieser Auffassung.

Studienautor Lergetporer mahnt allerdings, das Ergebnis mit Vorsicht zu betrachten. "Wir müssen noch viel genauer erforschen, in welchen Situationen die Menschen Ungleichheiten vor allem auf unterschiedliche Leistungen zurückführen und wann auf die Umstände", sagt der Bildungsökonom.

Paradoxerweise erhielten die Studienautoren ein konträres Ergebnis, als sie danach fragten, wer für schlechte Bildungserfolge von Kindern verantwortlich sei. 74 Prozent der Befragten meinten, die Gründe müsse man vor allem in Umständen suchen, auf die Kinder keinen Einfluss haben - etwa in der mangelnden Unterstützung durch die Familie. "Möglicherweise neigen viele Menschen dazu, bei Kindern eher die Umstände und bei Erwachsenen eher die Leistungen hervorzuheben", erklärt Lergetporer den vermeintlichen Widerspruch.

Auch auf die Fragen nach konkreten Reformen gegen Bildungsungleichheit äußerten sich die Teilnehmer widersprüchlich. 83 Prozent sind der Meinung, dass ärmere Studierende mehr Unterstützung bekommen, das Bafög also ausgeweitet werden sollte. 81 Prozent finden, dass Brennpunktschulen mehr Mittel vom Staat erhalten sollten; 61 Prozent würden es unterstützen, wenn Kinder erst nach der 6. Klasse auf weiterführende Schulen verteilt werden. Auch eine Kita-Pflicht würde die Mehrheit begrüßen.

Fragt man allerdings, wie der Staat zusätzliches Geld im Bildungssystem verteilen sollte, ergibt sich erneut ein unstimmiges Bild: Nur eine Minderheit ist dafür, dass die Mittel vor allem benachteiligten Personen zugute kommen sollen; die Mehrheit glaubt, sie sollten gleichmäßig an alle verteilt werden. Das sei ein Widerspruch, sagen die Ifo-Forscher. Den Kampf gegen Bildungsungleichheit, so Lergetporer, würde das womöglich erschweren.

© SZ vom 29.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: