Umbruch in Ägypten:Demokratie per Dekret

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Eine Formation von MIlitärjets über den Tahrir-Platz: Die starke Rolle des Militärs bereitet vielen Ägyptern große Sorgen. (Foto: REUTERS)

In nur sechs Monaten Übergangszeit will Ägyptens provisorische Regierung das Land zu freien Wahlen führen. Experten erarbeiten Korrekturen für die islamische Verfassung, später soll das Volk darüber abstimmen. Doch ist es fraglich, ob die Zeit ausreicht, um die Konflikte im Land zu überwinden - zumal auch der neue Fahrplan zur Demokratie in den Händen weniger mächtiger Männer liegt.

Von Sonja Zekri, Kairo

Während der Graben zwischen den politischen Lagern in Ägypten unverändert groß ist, hat die Arbeit an der neuen Verfassung begonnen. Am Sonntag ist eine Expertenkommission aus vier Jura-Professoren und sechs Richtern zusammengetreten. Diese soll in den nächsten 30 Tagen Korrekturen an der Verfassung vorlegen.

Der Anfang Juli durch Massenproteste und das Militär entmachtete Präsident Mohammed Mursi hatte mithilfe der Islamisten unter dem Protest von Säkularen, Moderaten und Christen im Herbst 2012 eine Verfassung durchgesetzt. Nach seinem Sturz war diese außer Kraft gesetzt worden. Interimspräsident Adli Mansur erließ per Dekret eine Rumpfverfassung, in der einige der umstrittenen islamistisch geprägten Passagen enthalten sind, ebenso wie die Unabhängigkeit der Militärgerichte.

Auch der Zeitplan für die neue Verfassung und Wahlen ist nach Ansicht von Beobachtern ambitioniert. So soll das erste juristische Gremium nach 30 Tagen seine Vorschläge einer Kommission mit 50 Mitgliedern vorlegen, unter ihnen Vertreter aus Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, der Ashar-Universität, von Militär und Polizei sowie der Jugend und Frauen. Zwei Monate später soll die Kommission ihren Entwurf Übergangspräsident Mansur vorlegen, der wiederum 30 Tage später ein Referendum abhalten soll. Danach werden ein neues Parlament und der Präsident gewählt. Alles in allem soll diese neue Übergangsphase kein halbes Jahr dauern.

Verwirrung um angebliche Untersuchungshaft für Mursi

In der aufgeheizten Atmosphäre haben bisher nur wenige politische Gruppen erfasst, dass auch dieser neue Fahrplan zur Demokratie in den Händen weniger mächtiger Männer liegt, dass er von der Armee verordnet, von Richtern umgesetzt und von einer verstörten Öffentlichkeit kaum in allen Details erfasst werden kann. Damit ist es wahrscheinlich, dass die Vorschläge der Kommission und der Öffentlichkeit eben dieses bleiben werden: Vorschläge.

Die Muslimbrüder und ihre Anhänger halten an ihrem Protest gegen die Entmachtung Mursis fest. Am Montag starben bei Zusammenstößen vier Menschen. Auf dem Tahrir-Platz in Kairo wurde ein Demonstrant getötet, in Kaljub am Nordrand der Hauptstadt starben laut Polizei drei weitere Menschen. Die Muslimbrüder lehnen jede Teilnahme am politischen Leben ab, solange Mursi nicht zurückkehrt. Dabei ist nicht einmal klar, wo sich der frühere Präsident aufhält. Seine Familie beschuldigte am Montag die Armee, Mursi entführt zu haben. Sie mache das Militär verantwortlich für die "Sicherheit" ihres Vaters, sagte seine Tochter Schaimaa.

Auch die Außenminister der EU forderten am Montag in Brüssel die Freilassung Mursis - sowie indirekt die USA. Washington verlange ein Ende aller politisch motivierter Festnahmen und Inhaftierungen in Ägypten, sagte Regierungssprecher Jay Carney am Montag. "Und wenn ich das sage, schließt es auch Präsident Mursi mit ein", fügte er hinzu. Alle Parteien sollten die Freiheit haben, an der Gestaltung der politischen Zukunft des Landes mitzuwirken.

Verwirrung hatte eine Meldung in der staatlichen Zeitung Al-Ahram ausgelöst, in der von einer 15-tägigen Untersuchungshaft für Mursi die Rede war. Armeesprecher Ahmed Ali hatte diese Meldung scharf zurückgewiesen, der Chefredakteur der Zeitung, Abdel Nasser Salama, sei daraufhin vom Staatsanwalt vorgeladen worden. Insofern ist es fraglich, ob die EU-Außenminister mit ihrer jüngsten Forderung nach zügigen Neuwahlen wirklich zur Stabilisierung des Landes beitragen. Gewiss, der Aufruf zur Freilassung der aus politischen Motiven Festgenommenen trägt der Angst der Islamisten vor einer neuen Verfolgungswelle Rechnung. Auch die Mahnung an das Militär, die Streitkräfte dürften keine politische Rolle in einer Demokratie spielen, wäre dringend zu beherzigen.

Viele Ägypter würden die Muslimbrüder am liebsten aus der Politik ausschließen

Allerdings gehen Experten davon aus, dass eine sechsmonatige Übergangsphase eher zu knapp als zu lang ist und ganz sicher nicht ausreicht, um die tief greifenden Differenzen und das Misstrauen auf beiden Seiten auszuräumen. Viele Ägypter reagieren mit Unmut auf die zaghaften Integrationsversuche der Regierung; diese möchten die Muslimbrüder und die Islamisten am liebsten aus dem politischen Leben ausschließen. Dies aber wird nur um den Preis weiterer Unruhen und damit einer größeren Rolle der Sicherheitskräfte zu erreichen sein.

Die Muslimbrüder und die Islamisten, das zeigen die Proteste der vergangenen Tage, vertreten Millionen Menschen in Ägypten. Die Versuche, sie aus dem politischen Prozess auszuschließen, ähneln frappierend den Versuchen der Islamisten, die den Einfluss der Säkularen und Moderaten begrenzen wollten. Zwei Jahre nach dem Ende des Regimes von Hosni Mubarak ringt Ägypten verbitterter denn je um seine Identität.

© SZ vom 23.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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